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Nisman – Tod eines Staatsanwalts: Ein Fall, der jeden Hollywood-Thriller in den Schatten stellt

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Von: D.J. Frederiksson

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Alberto Nismann im Jahr 2015. ZDF-Info zeigt eine Mini-Serie über ihn
Alberto Nismann im Jahr 2015. ZDF-Info zeigt eine Mini-Serie über ihn © dpa/Cezaro De Luca

Die manchmal überwältigende, aber immer beeindruckende Doku-Miniserie über die weitreichenden Ursachen und Folgen der Ermordung eines argentinischen Staatsanwalts zeigt modernes Dokumentarfilmemachen in Bestform.

Das Genre der True Crime-Dokus ist seit seinem populären Durchbruch in Podcasts wie „Serial“ längst auch im Fernsehen auf dem Vormarsch. Miniserien wie „Making a Murderer“ oder „The Jinx“ haben sich sehr erfolgreich einen prominenten Kriminalfall vorgenommen und ihn mit Hilfe von unermüdlicher Recherche, raffinierter Inszenierung und faszinierenden Interviews auf mehrere hochspannende Episoden ausgebaut. Und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis dabei auch der Fall Nisman an die Reihe kommt. Denn auch wenn hierzulande kaum jemand von dem mysteriösen Tod eines argentinischen Staatsanwalts 2015 gehört haben dürfte – dieser Fall hat einfach alles: CIA, Iran, Israel, korrupte Richter, korrupte Staatspräsidenten, Nuklearwaffen.

ZDF-Info zeigt Doku über Nisman: Tod eines Staatsanwaltes

Alles beginnt mit einem Bombenattentat auf das zentrale jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires im Jahr 1994, bei dem 85 Menschen ums Leben kamen – der tödlichste Anschlag in der westlichen Welt vor dem 11. September. Ein Jahrzehnt lang glichen die Ermittlungen dazu einer Farce: Verschwundene Beweise, mitmischende Geheimdienste, schließlich ein Korruptionsskandal um Richter und Regierungskommissionen. 

Dann wurde der aufstrebende Staatsanwalt Alberto Nisman als Sonderermittler damit betreut, den Fall neu aufzurollen – und seine Erkenntnisse erschütterten das Land: Nicht nur identifizierte er die iranische Regierung eindeutig als Drahtzieher, sondern er beschuldigte auch die damalige argentinische Präsidentin Kirchner und den hiesigen Geheimdienst, die Täter zu decken und zu unterstützen. Und dann, einen Tag bevor er seine Ergebnisse vor dem argentinischen Parlament vorstellen sollte, wurde er mit einer Schusswunde im Kopf und ohne Kampfspuren tot in seinem Badezimmer gefunden.

Netflix-Serie Nisman auf ZDF Info

Erstmal ist der von Netflix und ZDF koproduzierten Miniserie hoch anzurechnen, dass sie sich nicht im Wust an internationalen Verstrickungen verliert: Allein die Spekulationen über den Verkauf von Nukleartechnologie von Argentinien an den Iran und Nismans vermeintliche Beziehungen mit der US-Botschaft oder deren Geheimdiensten haben das Potential, den Zuschauer in den Wahnsinn zu treiben.

Von der turbulenten jüngeren Geschichte Argentiniens ganz zu schweigen: ständig werden Präsidenten nicht nur abgewählt, sondern routinemäßig direkt im Anschluss der Korruption und des Hochverrats angeklagt und eingesperrt, nur um dann nach der nächsten Wahlperiode wieder rehabilitiert zu werden... es ist schwierig, in einer so gespaltenen Gesellschaft eine objektive Mitte und eine schlüssige Narrative zu finden.

Nisman (ZDF-Info): Überwältigende Mini-Serie

Die sechsteilige Miniserie, die am Freitag und Samstag ausgestrahlt wird, nachdem sie bereits vorab in der Mediathek zu sehen war, beginnt mit einer präzisen, aber noch verdaubaren Zusammenfassungen der groben Fakten. Neben einigen aktuellen Interviews sind es vor allem Archiv- und Nachrichten-Aufnahmen, die das Bild beherrschen, während zahlreiche Originaltöne die Tonspur bevölkern – diese Doku ist mit ihrer Informationsdichte nichts zum nebenbei Bügeln. 

31.1., 20.15, ZDFinfo

In jeder weiteren Folge nimmt sich der (u.a mit dem Grimme-Preis) international presigekrönte Dokumentarist Justin Webster ein besonderes Thema vor: Erst die Nacht von Nismans Tod, dann die Rolle der Geheimdienste und das Erbe der südamerikanischen Diktaturen, dann die vier Tage direkt nach Nismans Tod, und schließlich den aktuellen Ermittlungsstand und neu aufgetauchtes Beweismaterial – schließlich wurde Nismans Tod, ebenso wie der Bombenanschlag 20 Jahre vorher, gerade ebenfalls neu aufgerollt.

Denn nachdem eine erste Untersuchung zu dem Ergebnis Selbstmord gekommen war, wurde die Tat inzwischen als Mord anerkannt. Die Ermittlung einer Ermittlung einer Ermittlung also, und alle Seiten werfen sich gegenseitig Korruption vor. Wer eine Zukunft sehen will, in der Fake News, Korruption und Verschwörungen den gesellschaftlichen Diskurs einer gespaltenen Nation bestimmen, der bekommt hier einen bitteren Vorgeschmack. Und wer anspruchsvolles und herausforderndes, aber auch klug strukturiertes Dokumentarfilmemachen sehen will, der kriegt hier einen dieser wahren Fälle vorgestellt, die jeden Hollywood-Thriller in den Schatten stellen. Ein Fall, der einfach alles hat.

Von D.J. Frederiksson

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