Einwegbecher als Statussymbol: Was Starbucks so erfolgreich macht

Die Autoren einer Arte-Dokumentation werfen einen kritischen Blick hinter die Kulissen der internationalen Kaffeehauskette Starbucks und kommen zu spannenden Erkenntnissen.
- Der Erfolg der Kaffeehauskette Starbucks wird im TV in einer Arte-Dokumentation kritisch beleuchtet.
- Eine Journalistin berichtet aus erster Hand vom Arbeitsalltag bei Starbucks.
- Die Geschäftspolitik bei Starbucks bestehe aus Steuervermeidung und ungesunden Kaffeemischungen.
Straßburg – Eine seltsame Zeiterscheinung: eine Einwegverpackung gilt als schick. Und das gerade bei einer Klientel, die dem neuen Progressivismus zuzurechnen ist, in dem Umweltbewusstsein, soziale Ethik und kulturelle Vielfalt zusammenfließen. Oder zumindest zur Schau gestellt werden. Die Rede ist von einem schnöden Pappbecher mit Plastikbeschichtung, der zum Kaffeetransport Verwendung findet. Und zum Statussymbol erhoben wird, wenn vorn deutlich sichtbar das Logo des Unternehmens Starbucks zu erkennen ist.
Die Autoren Luc Hermann und Gilles Bobon stellen diesen Aspekt in ihrem umfänglichen Dokumentarfilm über Starbucks gleich zu Beginn prominent heraus. Denn auf diesem Kniff basiert der Erfolg der Kaffeehauskette, die heute weltweit 28.000 Filialen an erstklassigen Standorten betreibt.
Arte-Doku zu Kaffeehauskette Starbucks im TV: Im Zeichen der barbusigen Meerjungfrau
Als das Unternehmen 1971 in Seattle gegründet wurde, war diese Entwicklung nicht abzusehen. Drei Studienfreunde, ein Lehrer, ein Autor, ein Unternehmer, hatten genug vom damals üblichen labbrigen Einheitskaffee. In Berkeley gab es bereits ein erfolgreiches Fachgeschäft für hochwertige Kaffeebohnen. Gordon Bowker, Jerry Baldwin und Zev Siegl importierten die Idee nach Seattle, nannten ihr Ladengeschäft Starbucks und wählten als Markenzeichen die Silhouette einer – damals noch barbusigen – Meerjungfrau.
Das Geschäft florierte, bald konnten erste Filialen eröffnet werden. Mit der Einstellung von Howard D. Schultz im Jahr 1982 kam die Wende. Schultz sprach sich dafür aus, in den Starbucks-Läden frisch gebrauten Kaffee auszuschenken. Die Gründer waren dagegen, verkauften ihre Anteile an Schultz und gingen ihrer Wege.
Aus ökonomischer Warte erwies sich Schultz’ Umstrukturierung als richtig. Dank ausgeklügelter Marketingstrategien machte er Starbucks zum international erfolgreichen Unternehmen und brachte es 1992 an die Börse. Sein Privatvermögen wird auf vier Milliarden Dollar geschätzt.
Arte-Doku zu Starbucks im TV: Undercover unter Baristas
Öffentlich vertreten Schultz, dem bereits Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur nachgesagt wurden, und andere Führungskräfte Positionen, die mit denen der angestrebten Klientel übereinzustimmen scheinen. Das Stichwort lautet Fairness. Kaffee aus fairem Anbau, faire Arbeitsbedingungen. Wiederholt sprach sich Schultz für einen schuldenfreien Staatshaushalt aus. In dieser Hinsicht wäre hilfreich, wenn Großkonzerne wie Starbucks Steuern zahlen würden. Das aber wissen sie, zumindest in Europa, geschickt zu vermeiden, wie die französischen Dokumentarfilmer nachzuweisen vermögen.
In langwierigen, aufwändigen Recherchen haben sie die Selbstdarstellung der Kaffeebrauer auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht. Da die Angestellten des Unternehmens nicht öffentlich Stellung beziehen dürfen, hat sich eine beteiligte Journalistin selbst in einer Filiale anstellen lassen und berichtet aus erster Hand über den Arbeitsalltag der sogenannten „Baristas“.
Arte-Doku zu Starbucks im TV: Zucker für Gesundheitsbewusste
Starbucks hat perfektioniert, was Einzelhandelskaufleute bereits in der Ausbildung lernen: freundliche Ansprache des Kunden, Simulation persönlicher Zuwendung, aktiv verkaufen. An der Kaffeebar sind das die besonderen Geschmacksrichtungen, die besondere Milch, das Sahnehäubchen. Alles gegen Aufschlag, versteht sich. Und in manchen Fällen sehr ungesund. Ernährungswissenschaftler haben festgestellt, dass siruphaltige Kaffeemischungen und Kaltgetränke so viel Zucker enthalten können wie eine Dose Cola.
Geschätzt werden diese Angebote auch in gesellschaftlichen Milieus, in denen ansonsten großes Gesundheits- und Kalorienbewusstsein herrscht. Und doch stehen die Kunden – das Beispiel stammt aus Tours – stundenlang in der Kälte, um bei der Eröffnung einer neuen Starbucks-Filiale dabei zu sein und einen biologisch nicht abbaubaren Einwegbecher zu ergattern. Deren Entsorgung aus dem Steueraufkommen bezahlt werden muss…
Themenabend im TV: Arte zeigt nicht nur Starbucks-Dokumentation
Der neunzigminütige Dokumentarfilm ist ansprechend aufgemacht. Der Künstler Cédric Cassimo, der normalerweise mit Sand arbeitet, formt Bilder aus Kaffeepulver und verändert sie fortwährend mit schnellen kleinen Fingerstrichen, sorgt so für spannende und bildlich kommentierende Themenübergänge. Und, ganz wichtig, Starbucks ist keine solitäre Erscheinung. Aus den Inhalten dieses Films lassen sich weitergehende Rückschlüsse ziehen. Auf die Geschäftspolitik weltumspannender Unternehmen, auf die Manipulierbarkeit der Kunden, auf das widersprüchlichen Konsumverhalten von uns allen.
Arte ergänzt den Themenabend um die Dokumentarfilme „Das System Milch“ (21.50 Uhr) zum Thema Milchwirtschaft und „Armes Huhn – armer Mensch“ (23.20 Uhr) über die globale Eier- und Hühnerfleischproduktion.
Von Harald Keller
„Starbucks ungefiltert“, 02.06.2020, 20.15 Uhr, Arte
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