Alles neu macht der März

Nach der Pensionierung von Harry Oberländer hat Björn Jager die Leitung der Bücher-Institution im Frankfurter Mousonturm übernommen.
Selbst unter Frankfurts Literaturkennern soll es welche geben, die nicht wissen, dass der Mousonturm auch eine wichtige Heimstatt des gelesenen Wortes ist. Das mag daran liegen, dass das Hessische Literaturforum, das hier angesiedelt ist, nicht jenen Bestseller- und Mainstream-Bereich abdeckt, für den es in dieser Stadt wahrlich andere Bühnen gibt.
Dennoch ist es, neben dem Literaturhaus an der Schönen Aussicht und der Romanfabrik im Ostend, der dritte große Ort für Lesungen, ohne den der Stadt und Region etwas Wesentliches fehlen würde: ein Zentrum, an dem (auch) Avantgarde ihren Platz hat, an dem (auch) Lyrik eine wesentliche Rolle spielt und an dem (auch) unbekannte Namen eine Chance haben.
Solch eine Institution zu leiten erfordert Wagemut und Fingerspitzengefühl. Björn Jager, der im Januar Harry Oberländer gefolgt ist, hat beides, und setzt mit der Renovierung des Veranstaltungssaals, der den Machern zugleich als Büro dient, schon zu Beginn des Neustarts ein deutliches Zeichen: Eine große Schrankwand sorgt künftig für genug Stauraum, um das Büro in einen an der neuen Bühne, die sich über die gesamte Längsseite erstreckt, orientierten Zuschauerraum umzuwandeln. Und noch eine Neuerung soll nicht verschwiegen werden, die für den traditionellen Umtrunk nach den Lesungen, der die Literaturforums-Veranstaltungen stets zu einem besonders intimen Ereignis werden lässt, nicht unwichtig ist: Außer Wein gibt es im Ausschank künftig auch Bier!
Literatur macht Spaß!
Björn Jager ist der rechte Mann für diese Position: ein seiner hessischen Heimat eng verbundenes Eigengewächs des Hauses, der es, in Wetzlar 1981 geboren, als Student der Anglistik und Germanistik in Gießen 2008 nach Frankfurt schaffte, wo er als Praktikant startete und beide ehemaligen Chefs, Harry Oberländer und zuvor Werner Söllner, durch seine ebenso bedachte wie zupackende Kompetenz von Anfang an beeindruckte.
Jager lässt sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen – eine nicht unwichtige Voraussetzung für seine Tätigkeit als Veranstaltungsmanager, Gastgeber und Dauermoderator (die Literaturforums-Mitarbeiter präsentieren 90 Prozent ihrer Veranstaltungen selbst!). Dabei vermittelt er seinem Gegenüber stets das Gefühl, alle Zeit der Welt zu haben, und weiß doch, seine Botschaften an den Mann zu bringen.
Oberstes Gebot: Die Veranstaltungen im Literaturforum „sollen Spaß machen“. Wer das obere Stockwerk im Mousonturm verlässt, sagt Jager, soll das in dem Gefühl tun, einen guten Abend gehabt zu haben. Jager ist derjenige, der mit seinem kleinen Team den Rahmen dafür schafft. Bis zu 80 Besucher fasst das Literaturforum, es dürfen aber gern auch weniger sein. „Wir werden künftig mehr Lyrik machen“, sagt Jager, und wenn man ihn dann ob des erwartbaren Zuschauerschwunds sorgenvoll anschaut, lächelt er das qualitätsbewusst weg: „Damit müssen wir dann leben.“ Er klingt aber, wenn er das sagt, eher kämpferisch, so, als meine er: „Wollen wir doch mal sehen!“
Schimpf und Schande
„Schimpf und Schande“ heißt eine weitere Reihe, die er gemeinsam mit seinem neuen Teamkollegen Malte Kleinjung erdacht hat: Am 23. März zum ersten Mal überprüfen Autoren Werke, die sie bislang noch nicht gelesen haben, und messen sie an den Vorurteilen, die sie ihnen gegenüber bislang pflegten. Das liegt nicht fern der Idee von „Campus“-Autor David Lodge, der einen renommierten Anglistik-Professor öffentlich bekennen lässt, „King Lear“ nicht gelesen zu haben. Den Auftakt machen übrigens Inger-Maria Mahlke und der Literaturforums-Chef selbst. Die Buchpreis-Nominierte behauptet forsch, Fontanes „Effi Briest“ sei „Madame Bovary für Jägerzaunbesitzer“. Und Jager stellt über Kleists „Michael Kohlhaas“ frech in den Raum: „Jemand Wichtiges nimmt jemand Unwichtigem Vieh weg. Das Ende vom Lied: die Geburt des Wutbürgers.“ Könnte heiter werden.
Ausgerechnet zum Auftakt am 10. März beschwört das Literaturforum den Untergang – und dürfte mehr als gut besucht werden: Es lesen Thomas von Steinaecker, Heinz Helle und Valerie Fritsch. Die jüngsten Romane der drei kreisen alle um eine Apokalypse. Schon einen Tag darauf (11. März) stellt Gila Lustiger in einer Buchpremiere ihren Essay „Erschütterung. Über den Terror“ vor. Im April geht es weiter mit Thomas Glavinic und Etgar Keret.
Noch kümmert sich Jager gründlich ums Renovieren, gerade ist Estrich ins untere Stockwerk geflossen. Der Chef nimmt auch dies gelassen. Doch in einem Monat steht wieder die Literatur im Zentrum, und alle Veranstaltungen wollen gründlich vorbereitet sein. Jedes Buch, das vorgestellt wird, sagt Jager, lese er zwei Mal. Man glaubt ihm das aufs Wort.