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Antisemitismus: "Kollegah ist in seiner Blase der Boss"

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Kollegah 2015: Wenn kleine Männer groß werden, greifen sie zur Cohiba-Zigarre. Sie soll zeigen: Ich hab?s geschafft, ich bin der Boss.
Kollegah 2015: Wenn kleine Männer groß werden, greifen sie zur Cohiba-Zigarre. Sie soll zeigen: Ich hab?s geschafft, ich bin der Boss. © Rolf Vennenbernd (dpa)

Was steckt hinter dem Skandal um die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang? Und wie antisemitisch ist die Rap-Szene in Deutschland?

Ein Musikpreis. Ein Rapper. Ein Skandal. Den Musikpreis „Echo“ wird es in Zukunft nicht mehr geben. So viel ist gewiss. Doch das Thema selbst ist noch lange nicht erledigt. Die Diskussion um die mit dem „Echo“ ausgezeichneten Gangsta-Rapper Kollegah (bürgerlich: Felix Blume) und Farid Bang hat etwas ins Rollen gebracht. Wie konnte ein eigentlich unspektakulärer Musikpreis wie der „Echo“, der sich an Chartplatzierungen und Verkäufen orientiert, überhaupt so einen Skandal provozieren?

Der „Echo“ spiegelt den Zustand der deutschen Musikbranche wider. Eine Branche, bei der es vor allem um die Umsatzrendite geht. Maßstab des Erfolgs ist, was sich verkaufen lässt. Damit steht die Musikindustrie nicht alleine da. Es ist ein Prinzip, das alle Lebensbereiche durchdringt. Bislang allerdings hatten sowohl die „Echo“-Jury als auch die Plattenfirmen mit problematischen Texten kaum Schwierigkeiten. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass im Jahr 2013 die Deutschrockband „Frei.Wild“ aus Südtirol den „Echo“ Pop gewann – ohne großen Aufruhr. Eine Band, die in der Kritik steht, rechtspopulistische Rockmusik zu machen.

Ist der Skandal um Kollegah und Farid Bang ein Beleg dafür, dass Rap in Deutschland insgesamt ein Antisemitismusproblem hat? Nein, das ist er nicht. Aber es gibt sicherlich Rapper, die ein Antisemitismus-Problem haben. Kollegah gehört dazu. Das Tragische ist, dass der Skandal die Vielschichtigkeit und Innovationskraft des Rap in Deutschland überschattet. Das Genre, in dem sich Kollegah bewegt, nennt man Battlerap. Dabei geht es den Teilnehmern darum, Aufmerksamkeit und Respekt zu gewinnen. Die Akteure benutzen das Stilmittel der Übertreibung und Überhöhung, die Improvisation, um gleichsam einen sprachlichen Boxkampf zu gewinnen.

Autoritäre Männlichkeit

In Deutschland versuchen Battlerapper wie Kollegah, maximal zu provozieren und die Bürgerschreck-Attitüde zu kultivieren. Das speist sich auch aus Sexismus, Homophobie und kruden Verschwörungstheorien von der Weltherrschaft finsterer Mächte. Theorien, die dann oft ins Antisemitische abrutschen. Kollegahs Texte sind gespickt mit Frauenverachtung, sprachlicher Gewalt, einem archaischen Geschlechterverständnis und einer autoritären Form von Männlichkeit. Das Ziel ist Provokation, die sich dann in Verkaufszahlen niederschlagen soll.

Deshalb erfüllt die Debatte, die um Kollegah entbrannt ist, genau das, was er bezweckt: Aufmerksamkeit. Weil Aufmerksamkeit im Internetzeitalter ein knappes und flüchtiges Gut ist, braucht sie die ständige Grenzverschiebung. Sie ist die Währung von Narzissten und Profiteuren. Der Softwareentwickler Georg Franck schreibt dazu in seinem Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.“ Mittlerweile hat sich Kollegahs Partner Farid Bang für seine menschenverachtende und zynische Textzeile entschuldigt. Und Kollegah? Ist er nun ein Antisemit? Kollegah ist natürlich eine Kunstfigur, die in der Grauzone der künstlerischen Freiheit wildert, nicht die Privatperson Felix Blume, der Jurastudent. Doch längst hat Felix Blume jede kritische Distanz zu seinem Alter Ego Kollegah verloren und ist mit ihm eins geworden. Die Kunstfigur Kollegah macht sich Verschwörungstheorien zu eigen, eine unkritische Pro-Palästina-Haltung ebenso wie eine unreflektierte Israelkritik, die in einer wilden Collage zusammengefügt werden. Sie lässt sich antisemitisch lesen – wie in dem Video „Apokalypse“.

In der Regel können Fans zwischen Kunstfigur und Privatperson unterscheiden. Bei Felix Blume ist das inzwischen sehr schwierig geworden. Zu sehen ist das in Youtube-Videos oder auf seiner Facebookseite. Dort verbreitet er Verschwörungstheorien und fabuliert von „Sprechverboten“ in Deutschland. Kritik des Außenministers Heiko Maas an seinen Provokationen kontert Kollegah etwa so: Wie wolle der Außenminister jüdisches Leben schützen, wo er doch arabische Masseneinwanderung unterstütze? Nicht nur an dieser Stelle ist Felix Blume anschlussfähig an die Neue Rechte in Deutschland, die überall Sprechverbote sieht, neuen Nationalstolz herbeisehnt, patriarchalische Geschlechterrollen propagiert und auf der identitären Unterscheidung der Ethnien besteht. Kollegah/Blume ist der mediale Rammbock gegen angebliche Political Correctness.

Unzählige Jugendliche

Ist am Ende Kollegah oder Felix Blume das Problem? Vermutlich beide. Viel problematischer aber ist, dass es eine neue Nachfrage nach dieser Einstellung gibt. Eine verbreitete Zustimmung in der Gesellschaft für Antisemitismus, Chauvinismus und auch ein neues Verlangen nach Autorität – nachzulesen in den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dabei überrascht es nicht, dass auch Felix Blume in einer virtuellen Filterblase lebt: Unzählige Jugendliche folgen ihm über soziale Netzwerke und bestätigen sein Handeln, seine Texte, seine Meinungen. Kollegah ist in dieser Blase der Boss. Und der Boss ist stolz auf seinen Rap, seinen Körper, seine Nation.

Was tun? Ein Ausweg wäre: Die Filterblasen platzen lassen, die kritische Auseinandersetzung suchen, nicht nur mit Blume/Kollegah, sondern mit dem wachsenden Kreis derer, die ein Bedürfnis nach solchen Einstellungen spüren. Und das sind besonders männliche Jugendliche, die häufig mit Angst in die Zukunft blicken, weil Arbeitsplätze wegautomatisiert werden, weil sie keine Perspektive und keinen sinnvollen Platz im Leben sehen – wenn man nicht der Boss ist.

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