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Ausstellung von Melanie Bonajo: Auf dem Sofa und im Rollstuhl

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Alte und junge Leute, Normalbürger, Aussteiger oder Sexarbeiterinnen: Sie alle finden sich auf Melanie Bonajos Filmbildern im Frankfurter Kunstverein.

Melanie Bonajo macht es dem Besucher des Frankfurter Kunstvereins sehr leicht. Sie stattet ihre erste große Einzelschau in Deutschland derart bequem mit Kuschelsofas aus, dass man völlig entspannt ihre Videos verfolgt. Dabei geht es in den fünf Filmen, die zwischen 29 und 55 Minuten dauern, keineswegs um leicht verdauliche Kost. Doch die 38-jährige Niederländerin weiß den Betrachter zu fesseln mit packenden Berichten und Bildern über alternative Lebensformen, über die Zukunft der Kinder oder die unterschiedlichen Welten von Jung und Alt.

Farbenfroher Schimmer

Schon beim Betreten des Kunstvereins fällt der ungewöhnlich farbenfreudige Schimmer auf, der das ganze Haus durchzieht, sind doch alle Fenster und Lampen mit transparenten Farbfolien abgeklebt. Die Farben bieten ein sinnliches Erlebnis und stimmen auf psychedelische Erlebnisse ein – aber keine Bange, es geht nicht um verklemmte oder enthemmte Spinner in der bis 27. August dauernden Schau.

Die komplette erste Etage widmet sich der Filmtrilogie „Night Soil“, was verschmutzte Erde oder Fäkalschlamm bedeuten kann. Im ersten Teil von 2014, dem „Fake Paradise“, dem vorgetäuschten Paradies, geht es um die Droge Ayahuasca, die am Amazonas zur Erweiterung des Bewusstseins, aber auch als Medizin eingesetzt wird. So berichtet eine Frau von ihrem gelähmten Körper, der erst nach langer Zeit geheilt wurde; ihre Worte werden begleitet von der nachgestellten Zeremonie, bei der sie mit allerlei Substanzen bedeckt wurde.

Eine andere Frau erzählt von ihrer langen Skepsis, bis sie ihren inneren Widerstand aufgab; allerdings ist sie in ihrem häuslichen Swimmingpool zu sehen, verrät folglich nichts von der Therapie. Bonajo lässt sehr verschiedene Frauen ausführlich zu Wort kommen und begleitet das mit eigenen, inszenierten Bildern. Man muss also aufpassen, dass man dem Sog der Bilder nicht allein vertraut, lieber den Worten lauscht – ein ungewöhnliches Verfahren in unserer bildmächtigen Zeit.

Tiere streicheln

Der zweite Teil zeigt junge Amateur-Sexarbeiterinnen, die in New York dafür kämpfen, dass Sinnlichkeit nicht länger versteckt werde, sondern ebenso wichtig werde wie das Geistige. Freilich sehen die Frauen vor allem die weibliche Sexualität als Macht. Der dritte Teil stellt alternative Landbearbeitungen vor. Bonajo zeigt keine Ausbeuter, sondern Aussteiger, die nur von dem leben, was die Natur ihnen gibt. Oder die ihre Tiere mit Hingabe streicheln, statt sie auf engem Raum einzupferchen.

Freilich widmet sich Bonajo nicht nur dieser fernen Welt abseits von Börsen und Banken, Konzernen und Kapitalisten. Nach den alternativen Lebensentwürfen auf der ersten Etage geht es eine Etage höher um glasklare Gegenwartsanalysen. Bonajo macht sich Gedanken um die Zukunft der Kinder, wie ihre neueste und noch nicht abgeschlossene Arbeit zeigt. Schon seit zehn Jahren sammelt sie Amateurfotos von Tieren, Pflanzen und Landschaften, die auf absurde Art inszeniert wurden, etwa ein Tier, das in einem Plastikstuhl eingeklemmt ist.

Darüber mag man zwar im ersten Moment schmunzeln, aber welches verquere Verhältnis zur Natur enthüllt solch ein Foto? Mit dieser und anderen Fragen erweist sich Bonajo tatsächlich als „Seismografin der Gesellschaft“, wie Kunstvereins-Chefin Franziska Nori meint. Bonajo erfährt in ihren Gesprächen mit den Kindern, dass sie die Natur nur durch Bilder aus den Medien kennen, bestenfalls noch aus dem Zoo. Die körperliche Erfahrung aber geht ihnen völlig ab. Beim letzten Film kann es sich der Besucher nicht mehr ganz so bequem machen. Denn nicht jeder mag sich in einen Rollstuhl setzen und bleibt dann doch lieber stehen bei dem mit knapp 55 Minuten längsten Film. Bonajo lässt zwei Welten aufeinanderprallen, zwei Generationen, die entweder mit der digitalen Revolution aufgewachsen sind oder an denen sie vorbeigegangen ist, also an jungen und alten Menschen. Viele der Senioren können nicht mit der Handykamera umgehen, geschweige denn mit einem Selfiestick – diese Generation ist mit Auto, Geschirrspüler und Festnetztelefon aber bestens vertraut.

Streit und Todesfälle

Berührend sind die Diskussionen zwischen Jung und Alt über das Mobiltelefon. Einig sind sich alle, dass Liebe, Streit, Trennung und Todesfälle von Angesicht zu Angesicht geklärt werden. Und während die ältere Generation das Schauen aufs Handy während eines Gespräches als denkbar unhöflich versteht, sieht das die Jugend viel lockerer, „weil sich jeder von uns mal kurz ausklinkt“. Für solche Diskussionen bleibt man im Kunstverein gerne stehen. Oder hätte man vielleicht doch lieber den Rollstuhl ausprobieren sollen?

Kunstverein, Steinernes Haus am Römerberg, Markt 44, Frankfurt. Bis 27. August, dienstags bis sonntags 11–19 Uhr, donnerstags 11–21 Uhr. Eintritt 8 Euro. Telefon (069) 21 93 140. Internet

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