„Dass Opa ein Nazi war, ist unvorstellbar“
Der Berliner Regisseur Chris Kraus erzählt in seinem Film „Die Blumen von gestern“ von einem Historiker, der den Holocaust erforscht. Lars Eidinger spielt ihn.
Chris Kraus, geboren 1963 in Göttingen, wurde bekannt mit dem Kinofilm „Poll“. Fürs Fernsehen hat er bereits eine Folge der Krimiserie „Bella Block“ inszeniert. In der schwarzhumorigen Komödie „Die Blumen von gestern“ erzählt Kraus von dem Historiker Totila Blumen (Lars Erdinger), der sich mit Nazi-Verbrechen beschäftigt. Als er an seinem Institut eine Praktikantin aus Frankreich (Adèle Haenel) betreuen muss, versteht er sich mit ihr überraschend gut. Martin Schwickert sprach mit Chris Kraus. Herr Kraus, wie schon Ihr Film „Poll“ ist auch „Die Blumen von Gestern“ eng mit Ihrer Familiengeschichte verbunden.
CHRIS KRAUS: Vor 16 Jahren habe ich erfahren, dass mein Großvater im Zweiten Weltkrieg in den SS-Einsatzgruppen aktiv gewesen ist. Diese mobilen Todesschwadronen waren hinter der Front für die Ermordung zahlreicher Juden und anderer „Rassegegner“ verantwortlich. Danach erforschte ich recht intensiv meine Familiengeschichte. Es war erschreckend, welche irrsinnigen Geschichten da hervorkamen.
Was hat sich für Sie und Ihre Familie durch diese Forschungsarbeit verändert?
KRAUS: Vieles, was lange Zeit im Verborgenen blieb, wird auf Familientreffen nun offen besprochen. Aber das ist immer noch sehr konfliktreich. Einige reden immer noch nicht mit mir, die anderen dafür umso intensiver. Es war ein schmerzhafter Prozess, der aber vieles zum Positiven verändert hat.
Aber in „Die Blumen von gestern“ blenden Sie nicht zurück in die Vergangenheit, sondern erzählen eine humorvolle Liebesgeschichte zwischen dem Enkel eines SS-Mörders und der Enkeltochter eines Holocaust-Opfers. Warum haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?
KRAUS: Weil er sich mir persönlich nahezu aufgedrängt hat. Während meiner Forschungen habe ich in den Archiven Enkel von Holocaust-Opfern getroffen. Ihr Umgang mit mir, dem Enkel eines NS-Täters, war sehr direkt und offen. Bei diesen Begegnungen wurde viel gelacht, und gleichzeitig spürte ich bei mir immer auch eine gewisse Verlegenheit. Diese Mischung von Schmerz und Leichtigkeit hat mich in die Geschichte getrieben.
Der Film zeigt, wie die Taten der Großelterngeneration im Nationalsozialismus bis heute in das Leben der Enkel hineinwirken. Sehen Sie die beiden Hauptfiguren als neurotische Seelenverwandte?
KRAUS: Vor allem sehen sie sich selbst so. Sie haben als Täterenkel und Opferenkelin ähnliche Erfahrungen gemacht und auch gleichartige Ausprägungen entwickelt: Beide sind manisch-depressiv, haben einen Hang zur Gewalttätigkeit und gehen sehr direkt mit ihren Gefühlen um. Diese Gemeinsamkeiten werden im Film erst allmählich deutlich. Es ist ja oft so in der Liebe, dass man in dem Mangel des Anderen sich selbst erkennt.
Totila arbeitet viel mit moralischen Verboten, zum Beispiel, wenn in der Mitarbeiterversammlung Knabberkram vor einem Auschwitz-Plakat verzehrt wird. Wie oft haben Sie sich während des Drehbuchschreibens gefragt: Darf man das?
KRAUS: Ich fühlte mich immer auf sicherem Boden, weil ich eine klare Haltung zu den Figuren habe. Ich hatte diesen „Toto“ immer sehr lieb, wusste, dass er auf der richtigen Seite ist, aber mit menschlichen Schwächen zu kämpfen hat. Selbst wenn er einen blöden Polenwitz macht, um sich aufzuspielen, änderte das nichts an meiner Zuneigung zu der Figur. Die Figur selbst hat sich dann dafür gehasst, was sie an Blödsinn so manchmal gesagt hat. Aber als es dann an die Finanzierung ging, hatten wir zunächst mit heftigen Widerständen zu kämpfen.
Hat das zu falschen Kompromissen geführt?
KRAUS: Nein, gar nicht. Mein Produzent Danny Krausz, der selbst aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden kommt, hat gesagt: „Du darfst das nicht nur so machen, du musst das genauso machen“. Er hat mich immer bestärkt, nicht kleinbeizugeben.
Muss die Komödie alles können dürfen?
KRAUS: Kurt Tucholsky hat ja schon festgestellt: „Was darf die Satire? Alles!“ Unser Film zeigt Menschen, die ohne Rücksicht auf ihr Umfeld denken und handeln und dadurch immer wieder in Konflikt mit ihrer Umgebung geraten. Solche Leute sind mir immer sehr sympathisch.
Ist die deutsche Gedenkkultur zu sehr von Denkverboten bestimmt?
KRAUS: Ja, ich denke schon. Genau diese Erkenntnis war der Startschuss für diesen Film. Der Sozialwissenschaftler Harald Welzer zeigt in seinem Buch „Opa war kein Nazi“ sehr eindrücklich, dass die offizielle und die individuelle Erinnerung der Deutschen weit auseinanderklafft. Zwar weiß jeder, weil es auch jedem eingehämmert wird, dass die Nazis furchtbare Dinge getan haben, aber mit einem selbst hat das in der Aufarbeitung eigentlich nie etwas zu tun. Ich habe ja selbst, obwohl ich Geschichte studiert hatte, lange Zeit nie nachgeforscht, was mein Opa im Krieg wirklich getan hat. Es war für mich völlig ausgeschlossen, dass dieser wunderbare Mensch damit etwas zu tun haben könnte.
Vom 12. Januar an in den Kinos