Frankfurter Fotografie-Forum: Die verformte Realität

Jaromír Funkes berühmte Fotos der 1920er und 1930er Jahre stehen im Zentrum der Hauptschau, ergänzt von neuen Fotos der Studenten aus der "Opava School".
Was hat wohl der steinerne Friedhofsengel mit dem Kranz in seinem emporgereckten Arm vor? Auf Jaromír Funkes Schwarz-Weiß-Foto sieht es so aus, als wollte der Engel den Kranz auf dem Schornstein ablegen, der neben ihm aufragt. Allerdings mit der Folge, dass der Schornstein dann höher wäre als der Engel. Ein typisches Bild für die surrealistische Phase des tschechischen Fotografen in den frühen 1930er Jahren.
Heute gilt der 1945 mit nur 49 Jahren gestorbene Funke als einer der bedeutendsten Foto-Avantgardisten seines Landes. Doch die letzte deutsche Retrospektive fand vor mehr als 30 Jahren statt, obwohl die tschechische Fotografie seit dem Mauerfall bei uns populär ist. Das ist auch das Verdienst des 1984 gegründeten Frankfurter Fotografie-Forums (FFF), das schon früh Lichtbildner aus Tschechien vorstellte. Inzwischen ist Funke in internationalen Museen vertreten, auch im Städel.
Erste Kamera vom Vater
Jetzt versammelt das FFF bis 29. April rund 70 Werke von Jaromír Funke aus den 20er und 30er Jahren, fast alles Originale aus dem Besitz der Tochter. Jaromír Funke war Autodidakt. Schon mit zwölf Jahren erhielt er seine erste Kamera vom Vater geschenkt. Aber erst als junger Mann beschäftigte er sich intensiv mit der Fotografie und fiel bald mit romantischen Bildern im Stil der Piktoralisten auf, also mit unscharfen Landschafts- und Genrefotos, die aber nicht ausgestellt sind.
Ohnehin musste Funke nicht von der Fotografie leben, da er aus vermögendem Elternhaus stammte. In die Fußstapfen seines Vaters als Rechtsanwalt aber trat er nicht, das Jurastudium brach er ab, ebenso das parallele Studium der Kunstgeschichte und Philosophie. Dafür eignete er sich in kurzer Zeit so viel Wissen über die Fotografie an, dass er zum gefragten Lehrer wurde, von 1931 an in Bratislava, von 1935 an in Prag.
Schatten ins Zentrum
Jaromír Funke experimentierte zeitlebens. Berühmt wurde er mit seinen Licht- und Schattenkompositionen, die zwar noch ein Objekt zeigen, aber raffiniert beleuchtet und gespiegelt mit vielerlei Schatten. Die 1924 so inszenierte Brille wirft mehrere Abbilder, so dass sich trefflich über die weiteren Licht- und Spiegelquellen rätseln lässt. Und die wenig später fotografierten Medizinflaschen mit Korken wirken im Spiegel fast wie Männer im Zylinder. Derart träumerisch und geisterhaft setzte Funke viele seiner Motive um. So rückten die Schatten immer mehr ins Zentrum, die Gegenstände dafür in den Hintergrund.
„Zwei Gegensätze hervorheben, zwei Realitäten kontrastieren, verschiedene Elemente in einen einzigen neuen Foto verbinden“, lautete Funkes Credo 1935. Aber so sehr er auch die Realität verformte oder aus anderer Perspektive zeigte, vertraute er doch dem Fotoapparat. Gegen die Fotogramme von Christian Schad und Man Ray, die Objekte auf Fotopapier legten und dann belichteteten, zog er öffentlich zu Felde. Doch Funke erprobte selbst die Technik, wie die Schau zeigt.
Stärker aber ließ er sich von der modernen Kunst inspirieren, er orientierte sich am Konstruktivismus, Futurismus, Kubismus und Funktionalismus. Immer wieder schiebt sich bei ihm die Diagonale ins Bild, bei den wenigen Frauenakten ebenso wie bei den minimalistischen Stillleben von banalen Objekten. Auch die moderne Architektur der 30er Jahre, die Funke für ein Buch dokumentierte, knipste er aus ungewöhnlichen Perspektiven, mit Auf- und Untersichten oder kühnen Bildausschnitten.
Die Funke-Retrospektive wird kuratiert von Vladimír Birgus, der wie kein Zweiter mit Funkes Werk vertraut ist. Birgus lehrt auch selbst am Institut für kreative Fotografie in Opava, dem früheren Troppau, das rund 400 Kilometer östlich von Prag liegt. Die Hochschule hat viele Studenten aus Polen und der Slowakei, aber auch aus Westeuropa. Im kleineren Teil des FFF nutzen nun elf Studenten parallel zur Funke-Schau die Chance, sich einem größeren Publikum vorzustellen.
Jan Langer etwa hat Menschen porträtiert, die mehr als 100 Jahre alt sind und kontrastiert diese Fotos mit Jugendbildern in ähnlicher Pose. Die Ähnlichkeit verblüfft, auch wenn das Leben seine Spuren in die Antlitze geschrieben hat. Daniel Polácek hingegen fotografierte Frauen und Männer am Computer, die in Internetforen auf der Suche nach Partnern sind – und derart traurig oder gebannt auf den Bildschirm starren, als käme der Traumpartner nie. Kurzum: Offensichtlich haben auch junge tschechische Fotografen ein Gespür für ungewöhnliche Bilder.