Hitler war kein „Rolling Stone“
In der „Caricatura“ versammeln sich Sebastian Krügers Zerrbilder von Personen und Persönlichkeiten, allesamt tragikomische Figuren der Zeit- und Weltgeschichte.
Von CHRISTIAN HUTHER
Was für ein merkwürdiges Bild. Da sitzt ein Mann in Uniform und mit kleinem Hakenkreuz-Abzeichen im Zug, schaut aus dem Fenster, hängt seinen Gedanken nach – und lutscht, da er sich unbeobachtet fühlt, am Daumen. Doch das Lachen will sich nicht recht einstellen, denn der Mann ist nicht irgendwer. Es ist Adolf Hitler, der so zu sehen ist. Der oberste Nazi, der Millionen von Menschen auf dem Gewissen hat und unendlich viel Leid über die ganze Welt gebracht hat, in einer derart frühkindlichen Pose? Ein wahrlich kühnes Bild.
Teuflisch menschlich
Doch Sebastian Krüger wollte Hitler „weder dämonisieren noch karikieren, da beides oft zu sehen ist. Aber normal malen wollte ich ihn auch nicht, denn sonst hängt sich ein Nazi das Bild ins Wohnzimmer“. Nun steht der Besucher des Frankfurter „Caricatura“-Museums für Komik gleich eingangs vor dem nuckelnden Nazi-Führer und überlegt, wie er den Künstler wohl einordnen soll. Als karikierenden Maler oder malenden Karikaturisten, wie Museumschef Achim Frenz zu Recht fragt?
Wahrscheinlich ist der Künstler, der am morgigen 30. Juni seinen 53. Geburtstag begeht, von allem etwas, denn er hat sich über die Jahre hinweg gewandelt. Nach einem abgebrochenen Malereistudium karikierte er jahrelang Politiker für verschiedene Zeitschriften oder gestaltete Plattenhüllen für Rockmusik-Alben. Doch seit geraumer Zeit porträtiert er Prominente aus dem Showbusiness-Bereich. Vor allem die Gesichter von Musikern hält er gern im überlebensgroßen Format fest. Ein detailversessener Maler, der keine Pore und keinen Pickel, keine Falte und keine Furche auslässt. So hyperrealistisch haben bislang nur die Fotorealisten gearbeitet.
Grinsend normal
Auch Hitler ist gewaltig ins Bild gerückt, 160 mal 160 Zentimeter groß. Direkt daneben hängt übrigens Ozzy Osbourne, der 67-jährige Altrocker der Musikgruppe „Black Sabbath“. Doch Osbourne nuckelt nicht am Daumen, er streckt feixend beide „Stinkefinger“ ins ebenfalls quadratische Bild. Da Osbourne und andere Musiker mit ausladenden Leinwänden das ganze Erdgeschoss im Haus am Weckmarkt belagern, passen jetzt, anders als gewohnt, lediglich 207 Bilder, Zeichnungen und Objekte ins Museum. Diese immer noch relativ hohe Zahl kommt nur zustande, da eine Treppe höher, auf der Galerie, die kleinformatigen Illustrationen für das Satire-Magazin „Kowalski“ und die Politiker-Karikaturen in Vitrinen liegen. Zu bewundern sind sie bis 30. Oktober, entstanden sind sie in den vergangenen 30 Jahren, ähnlich wie die ebenfalls dort ausgebreiteten zahllosen Skizzen über die „Rolling Stones“. Die Rockband hat es Krüger nämlich angetan. So angetan, dass er irgendwann mal seinen Agenten mit Bildern ins Londoner Büro der Musiker schickte.
Arthrithisch begabt
Der „Stones“-Manager war von den Porträts elektrisiert und zeigte sie dem Gitarristen Keith Richards. Der kommt zwar durchweg, wie seine Kollegen, nicht gut weg, mit einer Haut im Gesicht, die schon nicht mehr trocken wie Leder ist, sondern so hart scheint wie Granit. Dass Richards auch unter arthritischen Fingern leidet, sieht man beim Gitarrespiel. Und wenn er die Arme um seine Kumpels legt, lässt er zwar die Hände baumeln, aber die krummen Finger lassen sich nicht verbergen. All das registriert Krüger gnadenlos realistisch, bis ins kleinste Detail. So bezeichnet Richards seinen Freund Krüger als „Doktor Frankenstein, denn ich bin seine Kreatur. Er kennt meine Augen- und Fingerringe besser als ich.“
Krüger rückt den verwitterten Stars auf den Leib. So gnadenlos nah, dass wir in ihren Gesichtern all das sehen, was wir eigentlich gar nicht bei unseren Idolen sehen wollen. In diesen hyperrealistischen Bildern, im Stil von Otto Dix oder George Grosz gehalten, werden aus Stars ganz normale Menschen mit Macken, von Rockgrößen wie Michael Jackson über Iggy Pop bis zu Popsängerin Madonna, vom Bergsteiger Reinhold Messner aus Südtirol, über Country-Sängerin Dolly Parton, bis zum Bluesgitarristen T-Bone Walker.
Verfettet ungelenk
Manch einer erscheint da nur als Schatten seiner selbst, etwa der „Filz-und-Fett-Künstler“ Joseph Beuys mit arg ausgemergeltem Gesicht. Die italienische Filmschauspielerin Sophia Loren hingegen ist zum 70. Geburtstag im Bikini zu sehen, mit kantigem Antlitz, ungelenk verrenktem Körper, aber künstlich prallen Rundungen. Doch der abwechselnd in Hannover und Kalifornien lebende Künstler Krüger verblüfft auch mit feinen Porträts von den Schauspielern Johnny Depp, Brad Pitt und Leonardo Di Caprio, gemalt für einen irischen Sammler. Diese Acrylbilder zeigen Krügers virtuoses, fast altmeisterliches Können. Allemal interessanter ist freilich der „Maler mit dem bösen Blick“, wie Keith Richards ihn nennt.
„Caricatura“, Museum für Komische Kunst, Weckmarkt 17, Frankfurt. Bis 30. Oktober, dienstags bis sonntags 11–18 Uhr, mittwochs 11–21 Uhr. Eintritt 6 Euro, Katalog 50 Euro. Telefon (069) 212-301 61. Internet