In jeder Kreatur ist ein Funke Gottes
Leoš Janáceks letzte Oper „Aus einem Totenhaus“ läuft an der Oper Frankfurt in einer Neuinszenierung von David Hermann.
Fjodor Dostojewski stand 1849, wegen revolutionärer Umtriebe zum Tode verurteilt, einem Exekutionskommando gegenüber. Das Horrorszenario erwies sich als Scheinexekution, das Urteil wurde zu einer Lagerstrafe in Sibirien umgewandelt. Später verarbeitete der Schriftsteller seine Lagererlebnisse zu den halbautobiografischen „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“. Leo? Janácek verarbeitete diese Szenen bis zu seinem Tode 1928 zu seiner letzten und radikalsten Oper, die nun in Frankfurt zu hören ist, natürlich befreit von posthumen Glättungen und Verschlimmbesserungen fremder Hand. Janáceks unvergleichlicher Kompositionsstil ist hier noch einmal verdichtet und zugespitzt in Vollendung zu erleben.
In finsterer Nacht
Der unverkennbare, typische Janácek-Ton ist in der ganzen Oper präsent, im mehrstufig mahlenden Räderwerk der ostinaten Melodiefiguren, die im Orchester rumpeln, in dem fein ausgeloteten Sprechgesang und in den vielen Stellen, an denen das Grau immer wieder aufbricht und sich erschütternd zarte und liebevolle Musik durch die Brüche ergießt. Das der Oper vorangestellte Motto „in jeder Kreatur ein Funke Gottes“ wird um so plastischer, wenn der Funke in finsterer Nacht sprüht. Gerade in der Hoffnungslosigkeit und Kälte jenes Hauses der lebenden Toten, sind die Momente von Mitleid und Vergebung um so herzergreifender.
Die Inszenierung von David Hermann ist nicht der große Wurf, von dem man nach Jahrzehnten noch reden wird. Glücklicherweise widerstand der Regisseur der Versuchung, allzu konkrete tagespolitische Andeutungen zu machen. Man erlebt zu Beginn, wie Alexandr Petrowitsch Gorjantschikow von Zuhause, wo er an einem Laptop arbeitete, verschleppt wird. So fällt der „politische Gefangene“ unter die Räuber, die seine Mithäftlinge sind. Auch wenn die Inszenierung nicht zu sehr durch ein konträres Bühnengeschehen stört, so ist doch manches verunklart.
Wie ungeschickt, wenn man schon gleich zu Beginn der Oper bei den vielen Männerrollen den Überblick verliert, welche Uniform die polizeiliche Exekutive darstellen soll und welche Häftlingskleidung ist. Einige Gefangene erzählen die Vorgeschichte ihrer Verurteilung. Andererseits fehlen wichtige Requisiten wie etwa der Adler, auch wenn dieser sowieso ein Sinnbild für Gorjantschikow ist. Freilich bietet die Inszenierung auf der Habenseite auch starke Bilder und Symbole. Dass einige Gefangene unter Hospitalismus und anderen psychischen Defekten leiden, versteht sich fast von selbst. Das Klima untereinander ist im besonderen Maße rau und asozial. Auch der Lagerkommandant und der Lagerarzt erschrecken mit brutalen Maßnahmen.
Die Sängerbesetzung ist hervorragend, kostet jede lyrische Lichtung der Partitur aus und überzeugt in flüssigem Parlando. Gordon Binter als Gorjantschikow ist als Mittelpunkt und Zeuge der Geschehnisse die idealistische und idealtypische Hauptperson. Seine Bühnenpräsenz und Glaubwürdigkeit wird noch übertroffen von Johannes Martin Kränzle, der als Schischkow in der erschütternden Episode um seine Frau Akulka, die er in ungerechter Eifersucht tötete, Unglaubliches leistet. Diese Nebenepisode alleine würde schon einen Besuch der Oper rechtfertigen. Kränzle stellt die brutale und leichtfertige Grobheit, aber auch die tiefe Traurigkeit seiner Figur dar und zitiert währenddessen in jeweils eigener Charakteristik andere Personen seiner furchtbaren Vorgeschichte. Kränzles Gestaltungskunst lässt in der Imagination des Publikums tatsächlich jene arme Akulka ganz plastisch in Erscheinung treten. Ein ungeheuer rührender Moment, wie auch die Entlassungsszene von Gorjantschikow oder dessen väterliche Fürsorge Aljeja (Karen Vuong) gegenüber. Die Vielzahl von Männerrollen sind alle mit individuellen und überzeugenden „Originalen“ besetzt, wie Peter Marsh, Barnaby Rea, Vincent Wolfsteiner, AJ Glueckert, Dietrich Volle und Thesele Kemane. Als Dirne tritt Barbara Zechmeister in Erscheinung.
Mitreißender Sog
Das Museumsorchester und Dirigent Tito Ceccherini schienen anfangs einige Minuten zu brauchen, um auf Betriebstemperatur zu kommen, das Vorspiel war unerwartet breit und zunächst auch im Klang eher stumpf. Ceccherinis Konzept sah keine übertrieben scharfe und harte Umsetzung der Partitur vor, entwickelte dann aber schnell auf ihre Weise einen mitreißenden Sog, der gerade auch immer wieder die hoffnungsvollen Momente auskostete. Der heftige Premierenbeifall beinhaltete kein einziges Buh.