Literarische Hinterglasmalerei aus dem Pott
Der Kabarettist Torsten Sträter trat in Frankfurt mit dem Programm „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“ im Neuen Theater auf.
Wer Sträter jemals mehrmals live gesehen hat, ob im Neuen Theater in Frankfurt-Höchst wie jetzt oder in der Frankfurter „Käs“ im vorigen Jahr, der weiß: Der Programmtitel steht, das Programm nicht. Was Sträter, der Ruhrpott-Kodderer mit der schwarzen Wollmütze, so von sich gibt, hängt vom Publikum und von seiner Laune ab. Die Geschichten hat er im IPad, das Drumherum entsteht von selbst, quasi interaktiv. Vier Plätze in der ersten Reihe sind frei im Neuen Theater Höchst, obwohl der Saal an beiden Vorstellungstagen komplett ausverkauft ist. Sträter lässt das nicht durchgehen. Stutzt. Macht sich Gedanken, was den Leuten wohl passiert ist. Waren die Eintrittskarten Weihnachtsgeschenke? Gucken die vier lieber „Rach, der Restauranttester“? Oder waren es die Bremer Stadtmusikanten? Wegen der Gleichstellung müssten eigentlich „ein Syrer, ein Schwuler, eine Frau und ein farbiger Mann“ auf die Plätze. Gibt’s nicht. Er beordert kurzerhand Leute aus der letzten Reihe nach vorne. Es geht um das Gelingen des Abends: „Ich komm’ damit nich’ klar. Wenn du in so eine Lücke hineinarbeitest . . .“
Lustige Kunden
Wenn Sträter seine Texte auswählt, geschieht das nach der Internet-Shopping-Maxime „Kunden, die das lustig fanden, kauften auch . . .“ Nein, das Programm habe durchaus einen roten Faden. „Aber der erschließt sich erst am Mittwoch.“ Er erzählt vom Arschloch-Jahr, dass schon „so viele Große“ abberufen habe – David Bowie, Lemmy Kilmister von „Motörhead“, seine Omma. Seine Omma habe ihn sehr geprägt, in ihrem Wohnzimmer, das aussah, als habe „jemand versucht, den Vatikan nachzuhäkeln“. Die Schlagfertigkeit hat er wohl „von Omma“; er entsinnt sich eines Dialogs: „Ham se mal ’nen Euro klein“ – „Wie soll ich den sonst haben, als Barren?’“
Sträter hat seine Freude am Unerwarteten, am Ausleben von Gelüsten nach abgegebener Selbstbeherrschung – etwa mal an Heiligabend um 23 Uhr bei den Zeugen Jehovas klingeln mit dem Satz „Kuckuck, mein Name ist Sträter, und ich möchte mich mit Ihnen über die Speicherbelegung der Playstation 4 unterhalten.“ Oder dem Finanzamt ungefragt 50 Cent überweisen mit dem Verwendungszweck „Kuckuck, ihr Räuber“. Überweisungen seien ohnehin die billigere SMS-Alternative: Einen Cent überweisen, Text unter „Verwendungszweck“ – „da macht der Weg zum Kontoauszugsdrucker viel mehr Spaß.“
Der gebürtige Dortmunder, fast 50, ausgebildeter Herrenschneider, „Kicker“-Kolumnist ohne Fußball-Ahnung, beschreibt sich selbst als „so lyrisch wie der Bofrost-Mann“. Die Anklage gegen Böhmermann sei aber gerechtfertigt bei diesen miesen Reimen. Seinen Broterwerb definiert er als „literarische Hinterglasmalerei“. Dafür gab’s schon zig Preise, das ziert die Vita. Was den Mann ziert, ist sein lakonischer, unaufgeregter Humor.