Der Lohnschreiber will nicht
Das „Freie Schauspiel-Ensemble“ zeigt in Frankfurts „Titania“ Melvilles „Bartleby“, mit Reinhard Hinzpeter diesmal nicht als Regisseur, sondern als Darsteller.
Herman Melvilles Erzählung „Bartleby der Schreiber“ ist die amerikanische Unlusterklärung von 1853. Im Zentrum steht der berühmte Satz, der zum Titel für Bettina Kaminskis Inszenierung des „Freien Schauspiel-Ensembles“ wird: „Ich möchte lieber nicht“. Just so verweigert sich Bartleby seiner öden Arbeit als Kopist in der Kanzlei des Ich-Erzählers, bis er im Gefängnis landet und stirbt.
Gerd Friedrichs Bühne spiegelt seine Verweigerung zugleich mit Melvilles Lebenshintergrund, der, ein verkanntes Genie auf dem Abstellgleis, als Zollinspektor selbst ein Bartleby mit nutzlosen Schreibpflichten war. Als Spielfläche und Bühnenobjekt steht ein Podest in Meerblau da, überragt von einer flächig-grünen Stele, die sich rhythmisch gliedert. Das assoziativ-abstrakte Etwas erinnert an Land und Meer, Mast und Schiff, Marterpfahl und Prometheus-Felsen, an Steingötzen verschwundener Völker (Osterinsel), das Goldene Kalb und jene Schriftzeichen, die Poes Held Pym am Südpol findet. Ergänzt um einen Holzstuhl mit überlebenshoher Lehne, ist das Bild so beiläufig rätselhaft wie Bartleby. Hinzpeters roter Anzug komplettiert die Farbwerte. Es ist dies eine wunderbare Inszenierung, deren schöne Kürze Wünsche weckt, sie würde im Dip- oder Triptychon mit geistesverwandten Sprachmonumenten gespielt: Kafkas „Strafkolonie“, dem Buch Hiob, „Prometheus“. Was macht ihre Qualität aus – außer dass Hinzpeter den teils eingesprochenen, gut geschnittenen Text im Kurztakt-Rhythmus der Musikeinspielungen auf sich in surrealer Landschaft glückhaft zu beziehen versteht?
Ein Aspekt sind die vertauschten Rollen Regisseur/Darsteller im Falle Hinzpeters. In seinen eigenen Regiearbeiten objektiviert Hinzpeter ja oft seinen Zorn auf Ausbeutung, Unterdrückung und Kapitalismus, was manchmal zur Verkrampfung führt. Als Bartleby hat er es nun mit ähnlichen Themen zu tun, da Lohnarbeit Zeitsklaverei ist und sie Bartleby den Sinn raubt. Nur darf Hinzpeter seine Wut hier fast therapeutisch ausspielen, statt sie fremdzudelegieren. Das resultierende Fließenlassen in Kaminskis Händen (die endlich Chefdenkerin sein darf) gleicht beiderseits dem ersten tiefen Aufatmen nach einem Asthmaanfall. Schön!