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Vom Mut, etwas Neues zu probieren

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Von: Dierk Wolters

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Rundgang an der Städelschule, aufgenommen am Mittwoch (31.05.2017) in Frankfurt am Main. HIER IM BILD:   "Tägliche Zeichnungen 2016" von Felix Muffin Bolze. Foto: Salome Roessler
Rundgang an der Städelschule, aufgenommen am Mittwoch (31.05.2017) in Frankfurt am Main. HIER IM BILD: "Tägliche Zeichnungen 2016" von Felix Muffin Bolze. Foto: Salome Roessler © Salome Roessler

Die Städelschule freut sich über ihren Erfolg, ruht sich aber nicht aus: Im 200. Jahr ihres Bestehens ist ihr traditioneller Rundgang einen Tag länger als sonst.

Die Städelschul-Professoren können es manchmal selber nicht glauben: Ihre Hochschule für Kunst, die wohl experimentellste in Deutschland, gehört zu den erfolgreichsten. Immer wieder machen Absolventen international von sich reden – zuletzt Anne Imhof, die in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Selbstverständlich sorge solch ein Ereignis für Bewegung, sagt Professor Willem de Rooij. Seit mehr als zehn Jahren unterrichtet er Freie Bildende Kunst in der Städelschule. Die Lehrenden hier wollen ihre Schüler nicht formen – sie wollen ihnen aber nahebringen, „auf wie viele Weisen man Künstler sein kann“. Natürlich ermutige man die Studenten im Gespräch dazu, „Verbindungen in die Außenwelt“ zu suchen, sagt de Rooijs Kollegin Judith Hopf – „und doch steht jeder Künstler für sich. Wir schaffen ihm hier nur den Rahmen“.

Kunst und Umwelt

Der alljährliche Rundgang ist eine ideale Möglichkeit für die jungen Kunstschaffenden, mit der „Außenwelt“ in Kontakt zu treten. Ein Gewinn auch für die vielen tausend Besucher, die in diesem Jahr die Räume in der Dürerstraße und in der Daimlerstraße besuchen werden. Die meisten tun das gern – und mancher zum ersten Mal. „Es ist zum ersten Mal, dass ich über meine Kunst spreche“, freut sich Laura Schusinski. Sie treibt um, wie viel Müll täglich anfällt – gerade auch bei der Produktion von Kunst. Und so hat sie kurzerhand beides verbunden und Plastikeinkaufstüten von Karstadt, Ikea oder ihrer Lieblingsbuchhandlung auf farblich harmonierende Leinwände montiert, aus denen sie dreidimensional hervorragen: ein Augenschmaus und zugleich eine Kritik am Konsum. „Ich bin ja hin- und hergerissen wie alle“, sagt sie, „finde es schön, etwas einzukaufen, und will gleichzeitig wegkommen vom Konsum.“

Die Argentinierin Natalia Rolon – mehr als 70 Prozent aller Städelschüler stammen nicht aus Deutschland – interessiert sich für klassische Maltraditionen wie das Stillleben oder das Trompe-l’oeuil, die sie in ihren Wandgemälden in die Gegenwart hineinzieht und ihnen eine moderne Richtung gibt. Julian Irlinger hat einen Film gedreht, der Kunstmessebesucher in Dubai und Abu Dhabi begleitet: Welche Bilder werden auf einer Kunstreise produziert? Was bleibt hängen? Was hat man als Künstler mit dem Kunsttourismus zu tun? Produzieren Kunstmessen Klischees? Kann man ihnen entrinnen? Kritische Fragen, die diesem Acht-Minuten-Loop zugrundeliegen.

Jack Brennan hat sich die exorbitante Preisentwicklung von „Hipster-Drinks“ wie Apérol während und nach der Finanzkrise in London zum Thema gemacht. Entstanden ist ein Text, den er brav an die eine Wand hängt, und an die gegenüberliegende ein Regal mit Spirituosen und anderen Zutaten, das eine Bar mehr andeutet als simuliert. Er teilt sich den Atelierraum mit der Japanerin Noriko Tabizawa, eine hübsche „Koinzidenz“, wie sie findet, da auch sie sich künstlerisch mit einem Getränk beschäftigt: Kaffee, seine Produktion und seine Bedeutung in der Weltgeschichte sind das weitgespannte Thema ihrer subtil ausbalancierten Skulptur, und dass Kaffeegeruch durch den Raum wabert, der zum Kunstwerk dazugehört, ist ein besonderer Clou. Absurd? Innovativ? Die Geruchsskulptur gehört in der Tat zu den noch unerfundenen Kunstgattungen. Tabizawas Werk ist wie ein erster Schritt dorthin.

Partys, Talks und Musik

Federica Partinico packt – wundersam sieht das aus – einen Schinken in ein Brot und postiert das auf einer Plattform zwischen verschiedenen Polyurethan-Matratzen – ein Sinnbild für einen flüchtenden Mexikaner, der sich, um die Grenze nach Amerika zu überwinden, in einer Matratze versteckte: Auf sehr experimentelle Weise versucht Partinico, Gefühls- und Gedankenwelten zu visualisieren, ein Bild oder eine skulpturale Szene zu schaffen für das, was uns berührt.

Alle diese Bilder und Objekte und vieles mehr kann man in diesem Jahr sehen – und vor allem auch mit den Schöpfern darüber sprechen. Da der Pfingstmontag das Jubiläums-Rundgangswochenende um einen Tag verlängert, sogar noch ausführlicher als sonst. Wer das nicht auf eigene Faust machen möchte, kann sich nach Voranmeldung per Internet auch einer der zahlreichen Führungen anschließen. Wer’s ausgelassen mag: Heute Abend um 22 Uhr startet die Rundgang-Party in der Daimlerstraße. Ein Rahmenprogramm sorgt für zusätzliche Attraktionen: So sprechen am Samstag um 15 Uhr Ex-Städelschul-Direktor Daniel Birnbaum und Architektur-Professor Johan Bettum über Architektur in Zeiten virtueller Realität. Die Architekturklasse hat dazu ein sehr schönes Experiment gestartet, indem es ein Kunstwerk von Marcel Duchamp ins Dreidimensionale übertragen hat. Mit einer Virtual-Reality-Brille kann man sich mitten hineinbeamen.

Am Sonntag um 11 Uhr gibt’s in der Daimlerstraße eine Matinee mit Brunch und Live-Musik. Die legendäre Mensa in der Dürerstraße sorgt ebenfalls für Verpflegung, täglich von 11 bis 20 Uhr. Die Studierenden der Kunsthochschule sind an der Konzeption der Speisen beteiligt. In dieser Zeit verkehrt auch ein Shuttle-Bus zwischen den beiden Standorten.

Im Kinosaal des Filmmuseums fast um die Ecke (Schaumainkai 41) sind Filmarbeiten der Studierenden zu sehen: am Freitag um 12, Samstag um 14 und 16, Sonntag um 11 und 13 Uhr sowie am Montag jeweils um 14 und 16 Uhr.

Jahresausstellung der Studierenden der Städelschule Frankfurt in der Dürerstraße 10 und Daimlerstraße 32. 1.–5. Juni, täglich von 10 bis 20 Uhr. Eintritt frei, die Teilnahme an den Führungen kostet 3 Euro.

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