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Nackte Frau auf Treppe

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Gerhard Richters Ölgemälde ?Ema ? Akt auf einer Treppe? entstand 1966. Heute gehört es dem Museum Ludwig in Köln.
Gerhard Richters Ölgemälde ?Ema ? Akt auf einer Treppe? entstand 1966. Heute gehört es dem Museum Ludwig in Köln. © Oliver Berg (dpa)

Anfangs wurde die in Köln hängende geheimnisvolle Schöne angefeindet und sogar Ziel eines Messerangriffs. Heute wird sie geliebt und viel zitiert.

Von CHRISTIAN DRIESSEN (DPA)

Gerhard Richter (84) findet es absolut blöde, wenn man ihn den „Picasso des 21. Jahrhunderts“ nennt, so wie das einmal die britische Tageszeitung „Guardian“ getan hat. Genauso blöde dürfte er es finden, dass sein heute bekanntestes Werk mitunter als die „Kölner Mona Lisa“ bezeichnet wird. Das Bild zeigt eine lebensgroße nackte Frau, die scheinbar schlafwandlerisch eine Treppe heruntergeht. Der genaue Titel des Bildes lautet „Ema – Akt auf einer Treppe“. Im Mai ist es genau 50 Jahre her, dass Richter es malte.

Hinter Panzerglas

Panzerglas schützt das Millionenobjekt im Kölner Museum Ludwig, seit es 1981 Ziel eines Anschlags geworden ist: In einem unbeobachteten Moment hatte ein Unbekannter dem Bild mit einem Messer oder einem anderen spitzen Gegenstand einen 20 Zentimeter langen Schnitt zugefügt. Seit jeher hat „Ema“ nicht nur Bewunderung, sondern auch Aggressionen hervorgerufen. Eine schöne nackte, noch dazu blonde Frau realistisch zu malen, das konnte man in den 60er Jahren einfach nicht machen. Das war entweder schamlos oder, in Zeiten der abstrakten Kunst, reaktionär.

Wie bei Marcel Duchamp

Heute dagegen ist das Bild ein Inbegriff für die Kunst Gerhard Richters, des teuersten deutschen Gegenwartskünstlers. Bestseller-Autor Bernhard Schlink („Der Vorleser“) ließ sich davon sogar zu einem ganzen Roman inspirieren, „Die Frau auf der Treppe“. Und der Autor Dirk Peitz beschrieb in der „Zeit“, wie er sich geradezu in „Ema“ verliebte. Immer wieder zog es ihn ins Museum, um „ein paar zauberhafte Minuten“ mit ihr zu verbringen: „Es war fast so etwas wie eine heimliche Affäre.“ Eine Anregung für Gerhard Richter muss aber auch das Gemälde „Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2“ des französischen Künstlers Marcel Duchamp aus dem Jahr 1912 gewesen sein. Das heute in Philadelphia beheimatete Werk ist eines der maßgeblichsten Werke des Futurismus. Es zeigt eine abstrahierte Gestalt, die, aufgespalten in die einzelnen Bewegungsabläufe, die Treppe hinabgeht. Das Bild, ein Schlüsselwerk der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts, wurde ein Jahr nach seiner Entstehung bei einer Ausstellung in New York geschmäht. Später hat es ein amerikanisches Sammler-Ehepaar erworben. Viele Betrachter empfinden Gerhard Richters „Ema“ als geheimnisvoll, andere als verführerisch. Die wenigsten wissen wohl, dass die Dargestellte kein beliebiges Modell ist, sondern Richters erste Frau Marianne Eufinger, genannt Ema. Zum Entstehungszeitpunkt des Bildes im Mai 1966 war Ema im zweiten Monat schwanger.

Die schöne Modedesignerin und der ebenfalls nicht unattraktive Künstler aus Dresden heirateten 1957 und setzten sich vier Jahre später in den Westen ab, wo er ein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf begann. 1982 folgte die Scheidung. Seitdem hat Ema mit „Herrn Richter“ abgeschlossen und tritt in der Öffentlichkeit nicht mehr in Erscheinung.

Ein so intimes Bild wie „Ema“ hat der unterkühlte Richter selten gemalt. Doch obwohl Ema direkt auf den Betrachter zugeht, erscheint sie nicht bloßgestellt, sondern wie hinter einem schützenden Schleier verborgen. Diesen Effekt erreicht Richter durch die Technik des Verwischens. Das erzeugt eine Wirkung, die an den berühmten Sfumato-Effekt erinnert, wie ihn Leonardo da Vinci eben auch bei der „Mona Lisa“ angewendet hat. Der Begriff „Sfumato“ stammt aus dem Italienischen und heißt soviel wie „Rauch“ oder „Nebel“. Der Effekt wurde von den Alten Meistern auch erzeugt, indem sie weiße Farbe mit Wasser stark verdünnten, und dann mit dieser Lasur über das gemalte Motiv strichen.

„Ema“ ist das erste Bild gewesen, für das Richter ein von ihm selbst gemachtes Foto als Vorlage verwendete. Es entstand im Treppenhaus seines Ateliers in Düsseldorf, und zwar an einem Sonntag, an dem das Gebäude menschenleer war. So waren der Fotograf und sein Modell sicher, dass sie keine Zuschauer hatten. Der Eindruck der Unschärfe wie auf einem verwackelten Foto kommt dadurch zustande, dass Richter mit einem trockenen Pinsel über die noch nasse Farbe gestrichen hat. Dafür muss man genau den richtigen Zeitpunkt abpassen und genau den richtigen Druck auf den Pinsel ausüben.

Hinter einem Nebel

Dank des Unschärfe-Effekts wirkt „Ema“ wie eine Traumgestalt, die sich nähert, aber doch unerreichbar bleibt. Eine Reproduktion kann diese Atmosphäre nicht vermitteln. „Im Original wirkt das Bild natürlich ganz anders als auf einer Abbildung“, sagte etwa der Tate-Gallery-Direktor Nicholas Serota einmal, nachdem er das Bild in Köln gesehen hatte. Kaum noch vorstellbar ist, dass es lange Zeit gar nicht als vollwertiges Gemälde anerkannt war. Selbst Fachleute fanden es „zu fotografisch“. Ein Berliner Museumsdirektor lehnte es 1967 mit der Begründung ab: „Ich sammle keine Fotos, sondern Malerei.“ Ein Jahr später erwarb es das Sammlerehepaar Peter und Irene Ludwig. Richters Biograf Dietmar Elger bezeichnet es als „das herausragende Schlüsselwerk“.

Der Künstler selbst spricht nüchtern darüber. Schaut er es sich manchmal noch an? Schließlich wohnt er doch in Köln. „Ja, hin und wieder“, sagt er. Wenn er sowieso im Museum sei und quasi dran vorbeikomme. „Aber das mache ich bei vielen Bildern. Nicht nur bei diesem.“

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