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Quirlig und ernst zugleich

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Von: Dierk Wolters

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Es sind beeindruckende Studenten, die in diesem Jahr zeigen und erklären, womit sie sich in Deutschlands kleinster Kunsthochschule beschäftigen.

Über der Tür des Direktors hängt in Leuchtschrift der Satz: „Die Hundejahre sind vorbei.“ Was auch immer Philippe Pirotte sich selbst oder seinen Besuchern damit sagen will: Der 1972 in Belgien geborene Städelschulrektor erlebt in diesem Jahr den ersten Rundgang unter seiner Ägide, und er ist durch und durch zufrieden. Das kann er auch sein, denn in dieser mit 200 Studenten kleinen, aber überaus quirligen Kunstanstalt läuft es derzeit rund. Nicht zuletzt liegt das daran, dass sich Pirotte in seinen ersten Amtsmonaten mit Eifer ums Einwerben von Drittmitteln gekümmert hat. „80 Prozent meiner Zeit bin ich der Kohle hinterher – wie langweilig!“, lacht er. Und doch merkt man ihm an, wie viel Spaß es ihm bereitet, wenn es gelingt, seine Studenten mit Mitteln auszustaffieren, die es früher einfach nicht gab.

Daran, dass eine in San Francisco beheimatete Institution wie die Kadist Art Foundation die Hochschule in den nächsten Jahren mit einem sechsstelligen Betrag fördert, bemisst er auch die internationale Bedeutung der Hochschule, die Studenten aus allen Kontinenten unterrichtet. Stolz verweist Pirotte auf die Erfolge von Absolventen, die sich etwa auf der Kunstbiennale in Venedig niederschlagen: Gleich vier Pavillons – Dänemark, Neuseeland, Irland und Kosovo – werden von Ex-Städelschülern gestaltet.

Getarnte Welten

Wie immer findet der Rundgang in der Dürerstraße 10, im Architektengebäude (Dürerstraße 24) sowie am Stadtrand in der Daimlerstraße 32 (Shuttleservice) statt. Zudem gibt es Filmarbeiten im Filmmuseum. In der Aula des Hauptgebäudes gibt es Gespräche und Vorträge am laufenden Band.

Die Leistungsschau der Studenten wirkt in diesem Jahr ungewöhnlich konzentriert und zumeist ernst. Ob das mit dem Zustand der Welt zu tun hat? Ivan Murzin jedenfalls reflektiert vergangene Ereignisse, in denen er Orte über einen Bildschirm flackern lässt, den er mit Tarnelementen umgeben hat. Es geht um Isolation, Einsamkeit, um Mangel an Kommunikation – und um die Missverständnisse, die dieser auszulösen imstande ist. Die Architekturklasse hat den städtischen Raum von Amsterdam untersucht und Ist-Zustand und Wunschvorstellungen der Wohn- und Lebenssituation in der Stadt zu einer rasanten Filmcollage übereinander geblendet.

Erstaunlich viele der jungen Künstler auch reflektieren das Material, mit dem sie arbeiten. Viele Jahre stand oft der konzeptuelle Entwurf im Vordergrund – und das konnte ein schnöde an die Wand gepinnter Zettel sein. Fast meint man nun, eine Renaissance der Farben, Formen und Materialien erahnen zu können. Marta Orlando kombiniert Gemälde und Eye-Tracking-Studien, die den Gang der Pupillen beim Sichten eines Bildes aufzeichnen: Das Auge sei keinesfalls nur passiv, sondern selber ein Akteur, zeigt sie auf diese Weise. Roman Stetina spielt mit einem Gerüst und dem Film eines Vatikannachbaus in einer Prager Filmstadt mit Wirklichkeit und künstlichen Welten. Und Inga Danysz stellt einen Paravent aus Spionspiegelglas in eine Bürofläche, der je nach Lichteinfall das eigene Bild reflektiert oder durchlässig wird wie ein Fenster. In ihren Silikonbildern setzt sie auf reine Farbe, indem sie auf figurative Gestaltung gänzlich verzichtet.

Streichmusik und Buddha

Die Arbeit mit dem Material ist auch Guo-Liang Tan wichtig. Der Student stammt aus Singapur und wohnt gleichzeitig in Glasgow und Frankfurt. Gaile Griciute aus Litauen spannt ein echtes Streichquartett ein, das ihre eigene „Agape“-Komposition zu Bild-im-Bild-Fotografien spielt, die sich mit buddhistischen Lehrtexten beschäftigen. Ein Spiel mit Formen, Farben, Texten, wohin man blickt. Und das Schönste: Die Studenten geben sich alle Mühe, ihre Schaffensprozesse zu erklären.

Rundgang 2015, bis 15. Februar. Preisverleihung heute, 18 Uhr, Dürerstraße 10. Geöffnet ab heute täglich 10–20 Uhr (Daimlerstraße Freitag bis 18 Uhr). Eintritt frei

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