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Wie sehe ich aus?

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Von: Dierk Wolters

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Es ist eine atemberaubende Schau über die Porträtkunst in unserer Zeit: Die „100 Köpfe“ stammen von Anselm Kiefer, Francis Bacon und anderen namhaften Künstlern.

Nichts zeichnet den Menschen in seiner Individualität so aus wie sein Kopf. Dabei kann der Mensch wenig daran ändern, wie er aussieht. Allenfalls oberflächlich kann er versuchen, manchen Makel zu vertuschen, kann sich schminken, kann die Frisur verändern. Wer radikal ist, wagt vielleicht den Gang zum Chirurgen. Und bleibt doch er selbst, unverkennbar. Was ist das, was uns so einzigartig macht, uns aber auch festlegt in unserer Erscheinung? Der Mensch, der malend dem Menschen auf die Spur kommen will, hat sich schon immer am Kopf abgearbeitet.

„Die Galerie“ im Frankfurter Grüneburgweg hat hundert Werke von drei Dutzend Künstlern zusammengetragen. Die frühesten entstanden vor hundert Jahren, die jüngsten Arbeiten stammen aus der unmittelbaren Gegenwart. Dennoch ist „100 Köpfe“ beileibe keine Schau, die repräsentativ für die Positionen der vergangenen 100 Jahre stehen möchte, und schon gar nicht ist die Ausstellung auf Vollständigkeit aus. Das wäre wohl auch kaum möglich bei einem so allgegenwärtigen Sujet. Die Ausstellung ist aber im besten Sinne experimentierfreudig, wagt es, auch extreme Positionen zu zeigen. Ein Rundgang ist wie eine exotische Entdeckungsreise mit zahlreichen Momenten von geradezu überbordender Sinnlichkeit.

Holz oder Marmor

Man nehme nur den 1951 geborenen Katsura Funakoshi, beispielsweise, der einen hölzernen Kopf auf einen wie ein Kittel gleichmäßig abfallenden Rumpf setzt. Die Augen sind, wie es der japanische Künstler stets hält, aus Marmor, was der Skulptur einen zugleich archaischen wie höchst lebendigen Ausdruck verleiht. So kommt man dem Menschen, dem man hier in die Augen schaut, auf sehr intensive Weise nahe – und doch bleibt er fern wie ein ewig unlösbares Rätsel.

So spielen viele der hier gezeigten Werke mit dem Rätsel der Identität. Wer sind wir? Oder, auf die Malerei bezogen: Können wir zeigen, wer wir sind, indem wir zeigen, wie wir aussehen? Der Österreicher Martin C. Herbst, 1965 in Salzburg geboren, geht in der fantastischen Ausgestaltung der Möglichkeiten, die diese Frage bietet, vielleicht am weitesten: Eines seiner Ölporträts ist auf Aluminium gemalt. Das dicke Material ist vielfach gefaltet und geknittert. Nicht das Originalbild kann man letztlich sehen, sondern nur dessen Spiegelung. Philosophisch könnte man, wenn man denn den Zusammenhang von Abbild, Erkennbarkeit und Identität untersuchen wollte, sogar auf Platons Höhlengleichnis zurückgreifen. Man kann sich aber auch einfach erfreuen an der einfallsreichen Idee und ihrer technisch versierten Umsetzung. Dass man in den gediegenen Räumlichkeiten der Frankfurter „Galerie“ einem herrlichen Porträt Anselm Kiefers begegnet, in dem sich ein großes, rundes Gesicht, grau in grau, schwer und doch leicht zugleich in der Umgebung aufzulösen und fast mit ihr eins zu werden scheint, dass man ferner Werken vom Über-Kopf-Künstler Baselitz, einem Lüpertz und einer Tuschzeichnung von Horst Janssen sowie einem herrlichen Papier-Triptychon von Francis Bacon nebst einigen Stammkünstlern der „Galerie“ begegnet, Igor Mitoraj etwa, dem malenden Liteaturnobelpreisträger Dario Fo und dem stets famosen Volker Stelzmann: All dies sind Überraschungen, von denen jede für sich zum Verweilen und Staunen einlädt.

Bronze und Farbe

Hinzu kommt etwa mit der jungen Frankfurter Künstlerin Constanza Weiss eine Malerin, die Auftragsporträts anfertigt. Ihre Spezialität, wie eine kleine Bilderreihe zeigt, ist der intensive Blick. Auch Bernhard Jäger ist Frankfurtern bekannt – nicht nur als ehemaliger Kompagnon von Thomas Bayrle, sondern auch als langjähriger Leiter der Städel-Abendschule. „Lot“ heißt sein eindrucksvolles frühes Werk von 1962, das die „Galerie“ ausstellt: ein intensiv farbiges und trotz überbordend spielerischer Malfreude geradezu minimalistisches Kopf-Werk.

Eckhard Kremers wiederum, der souverän zwischen den Genres wechselt, war lange Jahre Kunstprofessor in Marburg. Heute lebt der 1949 Geborene in Diez bei Limburg. Die Galerie zeigt spannende Kopf-Skulpturen aus Bronze. Den 1937 geborenen Dresdner Max Uhlig beschäftigen Kopfstudien seit jeher. Bei seinem „Seitlichen Männerkopf“ aus dem Jahr 2001 ist es, als wolle er eine innere Unordnung des von ihm Porträtierten nach außen stülpen.

Wie sieht der Mensch den Menschen? Dem Einfallsreichtum und der Deutungsvielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Die hundert Werke, die Elke Mohr für die „Galerie“ zusammengetragen hat, beeindrucken. Sowohl in ihrer Vielfalt, als auch in der Ausdrucksstärke jedes einzelnen Werks.

„Die Galerie“, Grüneburgweg 123, Frankfurt. Bis 3. September, Mo bis Fr 9–18 Uhr, Sa 10–14 Uhr. Telefon (069) 971 47 10. Internet

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