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Theater nimmt Schröder als Geisel

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Der russische Regiestar Kirill Serebrennikov darf nicht nach Wiesbaden zu seiner Europapremiere „Who is happy in Russia?“ bei den Maifestspielen anreisen. Wieder wurde sein Hausarrest in Moskau verlängert: Staatstheater-Intendant Uwe Eric Laufenberg reagiert mit einer drastischen Kunstinstallation.

Uwe Eric Laufenberg besitzt eine „Wladimir-Putin“-Tasse. Die wird in seinem Intendantenbüro offenkundig fleißig benutzt. Das kann man an den frischen Kaffeeresten erkennen. Auf dem Becher ist ein halbnackter Putin zu sehen, der auf einem russischen Bären reitet. Doch der muntere Eindruck täuscht.

Der umtriebige Intendant des hessischen Staatstheaters ist auf den russischen Staatschef und die repressive Kulturpolitik des Kreml alles andere als gut zu sprechen. Der Fall Kirill Serebrennikov ist vor wenigen Tagen in eine neue Runde gegangen. Abermals ist der Hausarrest des vielfach ausgezeichneten Opern- und Schauspielregisseurs um drei Monate verlängert worden. Auf den Ausgang des Gerichtstermins hatten Laufenberg und sein Maifestspielteam mit Spannung gewartet. Jetzt ist klar: Kirill Serebrennikov (47) muss weiter in seiner Moskauer Wohnung bleiben, ohne Internet, Telefon, ohne Möglichkeit, Kontakt mit der Öffentlichkeit aufzunehmen. Damit darf er auch nicht zu seiner Europapremiere „Who is happy in Russia?“ am 3. und 4. Mai bei den Maifestspielen anreisen.

Vollkommen absurd

„Herr Putin will nicht zugeben, dass er Zensur ausübt, er tut es aber“, sagt Laufenberg verärgert: „Das machen alle Despoten, Erdogan auch. Und Gerhard Schröder läuft herum und sagt: Das ist ein lupenreiner Demokrat.“ Dass zwar seine Inszenierung, nicht aber ihr künstlerischer Kopf nach Deutschland fahren darf, deutet Laufenberg als Feigenblatt. „Putin möchte sagen können: Nein, wir zensieren nichts, es kann alles gezeigt werden – aber leider, leider, wenn strafrechtlich was vorliegt, da sind uns die Hände gebunden.“ Eine falsche Steuererklärung werde in Russland Missliebigen öfter zum Vorwurf gemacht, auch der Aufruf zu terroristischen Akten. Bei Serebrennikov gehe es um die angebliche Veruntreuung von Subventionen. Es werde so getan, als sei das ein rein juristisches Problem: Eine Shakespeare-Produktion Serebrennikovs sei angeblich gar nicht aufgeführt worden. Er habe dafür Gelder kassiert und in die eigene Tasche gesteckt: Dabei sei sie nachweislich in Russland und sogar im Ausland gezeigt worden. „Ein Irrwitz aus Absurdistan“, echauffiert sich Laufenberg. „Das ist kafkaesk, wie in Bulgakovs Roman ,Der Meister und Margarita‘.“ Die Vorwürfe gegen Serebrennikov seien fadenscheinig, „einfach schwachsinnig“. Sollte es zur Anklage kommen, drohen dem Regisseur zehn Jahre Haft. „Künstler wie er sind sehr sensibel. Die wollen ihn kleinkriegen. Irgendwann geht man in die Knie.“

Seiner Empörung über den Umgang mit Serebrennikov hat der Intendant jetzt Ausdruck verliehen. Er verlangt unter der blutroten Überschrift „Free Kirill“ in einem symbolischen Brief an Putin, Teil einer Installation, die am Staatstheater zu sehen ist, die Freilassung aller russischen Kreativen und aller in Russland inhaftierten politischen Gefangenen, Journalisten und Künstler. Laufenberg: „Wir müssen Widerstand gegen jede Ungerechtigkeit leisten. Wir müssen für die Freiheit der Kunst und der Presse eintreten. Diese europäischen Werte sind nicht verhandelbar.“ Dass es auch in Deutschland mittlerweile Leute gibt, die das anders sehen, erschüttert ihn tief. Besonders die putinfreundliche Einstellung des Altkanzlers Gerhard Schröder (SPD) kritisiert Laufenberg. In seiner polemischen Installation bietet Laufenberg Putin deshalb als Austausch für Serebrennikov „unsere Geisel“ Gerhard Schröder an. Eine Puppe des Ex-Kanzlers ist dafür mit einem leuchtend blauen Gazprom-T-Shirt auf einem Stuhl festgebunden. Zur Zeit steht die Protestnote im Schaufenster des neuen Theatercafés an der Wilhelmstrasse und wird mit Beginn der Maifestspiele ins Theaterfoyer umziehen.

Offene Plattform

Die Putin-Bären-Tasse hat Maria Magdalena Ludewig, die Wiesbadener Biennale-Kuratorin, dem Intendanten mit ironischem Augenzwinkern aus Moskau mitgebracht, nachdem sie sich Serebrennikovs Premiere „Who is Happy in Russia?“ angesehen hatte. Sie wundert sich über den Vorwurf der Veruntreuung. Und versteht ihn als Reaktion auf die politischen Statements Serebrennikovs, der den Einsatz des Regimekritikers Alexej Nawalnys gegen Korruption öffentlich unterstützte. Dabei hätte man ihn leichter mundtot machen können, glaubt sie, indem man ihm im Rahmen des neuen Gesetzes, das die „Beleidigung religiöser Gefühle unter Strafe“ stellt, zugesetzt hätte. Ein „Butterparagraf“, geschaffen nach der Kontroverse um „Pussy-Riot“, mit dem seitdem die Kulturschaffenden „in Schach“ gehalten würden. Aber „ihm jetzt genau das vorzuwerfen, was Nawalny selbst als Problem betrachtet, ist sicher kein Zufall,“ glaubt Ludewig. Dass sich im Moskauer Gogol-Center jeden Abend bei vollem Haus junge, gut ausgebildete, solvente Bürger eingefunden hätten, die dort eine offene gesellschaftliche Plattform fanden, sei der russischen Regierung „irgendwann ein Dorn im Auge geworden“, so ihre Vermutung.

Obwohl die Schauspieler des Gogol-Centers nach Wiesbaden ausreisen dürfen, spüre man doch in den Telefonaten und Mails die emotionale Belastung der Künstler, ihre Nervosität und Bedrücktheit. „Aber sie halten tapfer die Stange hoch“, sagt die Kuratorin. „Wir versuchen zu helfen, wo wir können. Wir versuchen gute Gastgeber zu sein und Wege zu ebnen.“ Nach dem dreieinhalbstündigen Theaterabend gibt es übrigens die Möglichkeit, sich mit den russischen Künstlern im Foyer des Staatstheaters zu unterhalten und Fragen zu stellen.

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