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Aus tiefster Brust

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Von: Sabine Kinner

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In über 40 Folgen spielte Götz George für die Fernseh-Krimireihe ?Tatort? den Duisburger Kommissar Horst Schimanski. Es wurde seine beliebteste Filmfigur. Besondere Kennzeichen: Militärjacke und Schrammen.
In über 40 Folgen spielte Götz George für die Fernseh-Krimireihe ?Tatort? den Duisburger Kommissar Horst Schimanski. Es wurde seine beliebteste Filmfigur. Besondere Kennzeichen: Militärjacke und Schrammen. © Jörg Carstensen (dpa)

Von seinen Eltern hatte der mit 77 Jahren gestorbene Götz George die große Theatertradition geerbt. Er verwandelte dieses Erbe so tiefgehend, dass es sogar in seiner Rolle als Kommissar Schimanski aufging.

Zuletzt war Götz George schlichtweg der bedeutendste deutsche Schauspieler seiner Generation. Das hat rein gar nichts mit seiner unermesslichen Beliebtheit zu tun. Auch nicht mit der Vielzahl seiner Rollen, die er in höchster Wandlungsfähigkeit auszugestalten verstand, als wäre es ihm jeweils ein Leichtes. Nein, dass Götz George zuletzt der Größte war, hat einzig und allein darin seinen Grund, wie sehr er sich in das vertiefte, was er tat. Wie ein Bergarbeiter in den Schacht, so stieg er in die Gruben seines Könnens hinab und holte von dort unten sein Wissen herauf, ein Wissen um all das, was die lange deutsche Schauspieltradition ausmacht, am Theater wie im Film: die beiden Seelen in der Brust, der Zwiespalt, der noch jeden schier zerrissen hat, der fühlt und denkt und danach handelt.

Zur Tat verurteilt

Man musste ihm nur sehr genau zuschauen und noch genauer zuhören, um zu erkennen, wie sich in einem fast unmerklichen Stirnrunzeln, einem winzigen Augenzucken, einem langsam zu Boden gesenkten oder zum Himmel gehobenen Blick die Einsicht vermittelte, dass der Mensch zur Tat verurteilt ist, und deshalb tun muss, was er nicht lassen kann. Einerlei, ob als Mensch, als Mann, als Vater, Bruder oder eben Mörder, Täter, Opfer, wenn nicht Kommissar und Aufklärer.

Dass Götz George ein so fantastischer, tiefgründiger Schauspieler wurde, rührt selbstverständlich mit aus seinem persönlichen Erbe. Vater Heinrich George und Mutter Berta Drews weckten in ihm früh die Liebe zu jener fundierten Darstellungskunst, wie sie von beiden Eltern an den namhaften Berliner Bühnen der 30er und 40er Jahre gepflegt wurde, als es darum ging, den Geist der Klassiker dem Hauptstadtpublikum einzugeben und ihn zugleich vor dem Ungeist der Nationalsozialisten zu bewahren. Seinen Vornamen erhielt Götz George nach dem Lieblingsstück des Vaters, Goethes „Götz von Berlichingen“. Dessen rabiates Aufbegehren gegen die Obrigkeit („Sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken“) wurde dem Sohn nachgerade zum Vermächtnis. Und so konnte man die Rauflust dieses Ritters Götz in eben jenem verwegenen Duisburger Fernseh-„Tatort“-Kommissar wiedererkennen, der zu Georges erfolgreichster Filmfigur wurde und über 40 Folgen hinweg den Sonntag erst richtig zum „Tatort“-Tag machte: Horst Schimanski.

Zum Macher gemacht

Wer sonst hätte das so untergründig zusammengebracht – Schimanski und Goethe? Aber es war nicht nur das urwüchsig Deutsche, das da auf den Straßen des Ruhrpotts in der beigefarbenen Militärjacke Faust um Faust zupackte wie der literarische Götz mit der eisernen Hand. Es war auch das lässig Amerikanische, das aus Schimanski sprach, und zwar so absichtlich gekonnt schnoddrig, dass es seither nicht nur von Nachfolger Til Schweiger zu einer einzigen, schon wieder ärgerlichen Nuschelei kultiviert wurde.

Seine schauspielerische Ausbildung erhielt Götz George in den 50er Jahren nach der mittleren Reife am Ufa-Nachwuchsstudio in Babelsberg. Rasch folgten die ersten Auftritte am Berliner Hebbeltheater und die frühen Filmrollen in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ (1953) oder in Karl-May-Filmen wie „Der Schatz im Silbersee“. Rund 20 Jahre später kamen die großen Charakterrollen hinzu. Götz George spielte den KZ-Kommandanten Rudolf Höss in „Aus einem deutschen Leben“, den KZ-Arzt Josef Mengele in „Nichts als die Wahrheit“, den Massenmörder Fritz Haarmann in „Der Totmacher“, den an Alzheimer erkrankten Busfahrer in „Mein Vater“ und den todgeweihten Staatsanwalt in „Nacht ohne Morgen“. Und zwischendurch trat regelmäßig der listige Komödiant Götz George hervor: Als Schwindler in der Kinosatire „Schtonk“, als Zwillingsbruder in dem Verwechslungsfernsehfilm „Schulz und Schulz“, als fahriger Filmregisseur in der Gesellschaftspersiflage „Rossini oder Die mörderische Frage, wer mit wem schlief“.

Vielleicht hätte Hollywood ihn geholt, wenn er es darauf angelegt hätte. Aber Götz George wusste nur zu gut, was er eingebüßt hätte. Seine Eltern hatten schließlich miterlebt, wie deutsche Schauspieler und Regisseure in die USA emigriert waren und untröstlich ihre Muttersprache verloren.

Unempfänglich für Empfänge

Wenn man Götz George persönlich begegnete, etwa in den 90er Jahren bei der Eröffnung der ihm gewidmeten Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum, so merkte man ihm an, wie sehr er stets mit sich und seinem Beruf haderte. Wie er sich nicht zufriedengab mit seinen Leistungen und sich schon gar nicht abhängig machte von Lob. Etwas Nervöses, Abweisendes umgab ihn bei seinen öffentlichen Auftritten, als wolle er sich schützen gegen die Zudringlichkeiten eines Kulturbetriebs und Medienrummels, der sich der Kunst bemächtigt und sie dadurch zerstört. Von Empfängen hielt sich George geflissentlich fern. Er müsse dort sonst neben „Fernsehköchen“ stehen, klagte er einmal, wohl ahnend, dass er sich als Alles-Mitmacher seine kantige Direktheit nicht mehr würde erlauben können.

So lebte er denn die letzen Jahre zurückgezogen mit seiner Lebensgefährtin, der Filmemacherin Marika Ullrich, zwischen Berlin, Hamburg und Sardinien (Tochter Tanja hat ihren Wohnsitz in Australien). Seine Agentin bestätigte jetzt noch einmal, dass Götz George bereits am 19. Juni nach „kurzer schwerer Krankheit“ in Hamburg gestorben und dort auch schon beerdigt sei. Nähere Angaben wollte die Vertragshändlerin nicht machen. Über eine schwere Herzoperation 2007 hatte Götz George seinerzeit selbst gesprochen. Vor dem Tod, so der Schauspieler damals, habe er keine Angst. „Wenn’s passiert, passiert’s“, lautete seine Antwort auf eine entsprechende Frage, berlinerisch kurz beziehungsweise schimanskigemäß knapp.

Vom Tod erschüttert worden war er ja bereits als 8-jähriger Junge, nachdem der berühmte Schauspielervater 1946 im Lager gestorben war, verhaftet von den Sowjets wegen seiner Nähe zum NS-Regime. Mit dem regelmäßig aufflammenden öffentlichen Nazi-Vorwurf wie mit seinem persönlichen Verhältnis zum Vater setzte sich Götz George denn auch in dem Fernseh-Dokudrama „George“ auseinander, in dem er seinen Vater geradezu 1:1 verkörperte. Und schon waren sie wieder da, die zwei Seelen in der zerrissenen Brust.

Fortsetzung als Film

Anders als sein Vater aber hat Götz George insgesamt kaum Theater gespielt, nur hier mal einen Tschechow („Platonow“) und da mal einen Gorki („Der Revisor“), meist für eine Tourneeproduktion. Aber er hat die Mitgift des Theaters angenommen und verwandelt, in ein riesiges künstlerisches Vermögen, für die moderne Fortsetzung des Theaters – den Film. Damit das eine fortbestehen kann, falls das andere dereinst sterben sollte.

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