Es wird scharf geschossen
Der in Beirut lebende Künstler Lawrence Abu Hamdan übersetzt im Frankfurter Portikus Geräusche von abgefeuerter Munition in Farbbilder – und klagt damit an.
Von CHRISTIAN HUTHER
Sechs schmale und hohe Tafeln zeigen abstrakte Farbbilder, drei weitere Tafeln sind nur aus Schaumstoff. Letztere sollen lediglich die Akustik der neuen Ausstellung im Frankfurter Portikus verbessern. Die sechs Bilder jedoch sind keineswegs so harmlos, wie sie auf den ersten Blick scheinen.
Um das zu verstehen, muss man freilich auf die schmale Galerie steigen, wo nicht nur ein besserer Überblick über die Bilder möglich ist. Dort läuft auch ein rund 21-minütiges Video, für das man sich Zeit nehmen sollte, um die komplexe Installation von Lawrence Abu Hamdan nachzuvollziehen, die bis 10. April zu sehen ist.
Der 30-jährige Künstler wurde in Jordanien geboren, lebt aber mittlerweile im libanesischen Beirut. Hamdan arbeitet zwar mit Stimmen, Tönen und dem Hören. Doch er versteht sich nicht als Soundkünstler. Vielmehr zeigt Hamdan all die Probleme auf, die das menschliche Sprechen, Hören und Verstehen in der Politik und in der Rechtssprechung aufwirft. So hat er sich schon vor drei Jahren mit den Sprachanalysen beschäftigt, die inzwischen fast weltweit bei Flüchtlingen angewendet werden, um ihre Herkunft zu bestimmen. Hamdan weist am Beispiel von Somalia nach, dass sich seit über 40 Jahren die regionalen Sprachakzente so verschoben haben, dass eine ausschließliche Entscheidung auf Basis der Stimme sehr fahrlässig ist.
Für seine erste deutsche Einzelausstellung zeigt Hamdan freilich eine andere Arbeit mit dem Titel „Earshot“, was man am besten mit „Hörweite“ übersetzt. Allerdings visualisiert Hamdan das Hören in den sechs Bildern, man kann also mehr sehen als hören. Denn nur Waffenexperten können zwischen dem Abfeuern eines Gummigeschosses und einer scharfen Munition klar unterscheiden. Dieser Unterschied lässt sich aber farbig abbilden, wenn gute Tonaufzeichnungen der Schüsse vorliegen. Ein Gummigeschoss ist lauter in niedrigen Frequenzen, scharfe Munition ist lauter in höheren Frequenzen.
Hören und Sehen
Tatsächlich filmte im Mai 2014 zufällig ein Fernsehteam in der Nähe, als zwei Jugendliche im besetzten Westjordanland von israelischen Soldaten erschossen wurden. Der Vorfall, nur einer von vielen, wurde von einer Menschenrechtsorganisation untersucht, die Hamdan als Spezialisten dazubat, da er schon mehrfach solche Ermittlungen mit Audioanalysen unterstützt hat. Hamdan übersetzt die Schüsse in Bildgrafiken, sogenannte Spektogramme: Die horizontale Achse zeigt die Zeit, die vertikale Achse die Tonhöhe, die Farben die Lautstärke. Rot steht für laut, Blau für leise, Gelb und Grün für mittel. Eigentlich dürfen israelische Soldaten im Westjordanland laut internationalem Recht nur Gummigeschosse verwenden. Dafür sind ihre Gewehre mit Gummiadaptern versehen. Doch mit diesen Adaptern lässt sich eben auch scharfe Munition schießen, was zwar verboten, aber kaum durch Hören nachweisbar ist.
Dass dies die Soldaten gemacht haben, zeigen Hamdans Bilder sehr deutlich, sie übertragen die abschreckenden und die tödlichen Schüsse in entsprechend andere Zeit-, Frequenz- und Farbverläufe. Doch Hamdan belässt es nicht bei dieser Gegenüberstellung. Er verwandelt den Portikus in eine Schießbude ohne Waffen. Vom Eingang als Schusslinie ausgehend, hat er die sechs Bilder entsprechend ihrer Flugbahn aufgehängt. Im Raumplan sind zwei Linien eingezeichnet: Eine Linie markiert die Schallmauer, die zweite, nur wenig entfernte Linie steht für das internationale Regelwerk, welche Munition notfalls gegen die Zivilbevölkerung verwendet werden darf – das bereits erwähnte Gummigeschoss und eine Schockgranate.
Am riesigen Unterschied zur scharfen Munition ohne dämpfenden Gummiadapter wird klar, weshalb die Soldaten unbehelligt davongekommen sind: Der Nachweis ist nur schwer zu führen, zudem haben die weitgehend rechtlosen Palästinenser kaum eine Chance gegen die Israelis. Immerhin schlug der Vorfall solch hohe Wellen, dass Israel den Einsatz von scharfer Munition zugegeben hat, nach langer Vertuschung. Eine Gerichtsverhandlung aber hat nicht stattgefunden. Hamdan versteht sich freilich als Künstler, nicht als Aktivist. Dringt er doch mit solch erschütternden Dokumenten zu einem ganz anderen Publikum vor.
Portikus, Alte Brücke 2/Maininsel, Frankfurt. Bis 10. April, dienstags bis sonntags 11–18 Uhr, mittwochs 11–20 Uhr. Freier Eintritt. Telefon (069) 96 24 45 40. Internet