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Am Ziel aller Sehnsüchte

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Im Frankfurter Städel hängt das wohl bekannteste Goethe-Gemälde als Sinnbild deutscher Italien-Sehnsucht: Tischbeins ?Goethe in der Campagna?. Entstanden ist es 1787 in Rom. Tischbein, ein Malerfreund Goethes, hat es in Erinnerung an gemeinsame Ausflüge gemalt.
Im Frankfurter Städel hängt das wohl bekannteste Goethe-Gemälde als Sinnbild deutscher Italien-Sehnsucht: Tischbeins ?Goethe in der Campagna?. Entstanden ist es 1787 in Rom. Tischbein, ein Malerfreund Goethes, hat es in Erinnerung an gemeinsame Ausflüge gemalt. © U. Edelmann/Städel Museum (British Museum)

Frankfurts großer Dichter Goethe weckte mit seiner Italien-Verliebtheit die Träume vom Süden – vor allem mit seiner „Italienischen Reise“.

Von BETTINA GABBE (EPD)

Der Romantiker E.T.A. Hoffmann schildert das wilde Treiben des römischen Karnevals in den buntesten Farben, ohne je einen Fuß in die Ewige Stadt gesetzt zu haben. Sein Zeitgenosse Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) beschreibt ihn aus eigenem Augenschein: als ein „Fest, das dem Volk nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt“. Keine Prozession, keine Festbeleuchtung am Petersdom und kein Feuerwerk an der Engelsburg, welche die Obrigkeit den Römern als Spektakel organisieren, erlebte der Dichter. Sondern den Karneval als „Zeichen, daß jeder so töricht und toll sein dürfe, als er wolle, und daß außer Schlägen und Messerstichen fast alles erlaubt sei“.

Dem Dichter offenbarte sich eine neue Welt, als er von 1786 bis 1788 das Land bereiste. Und doch dauerte es 30 Jahre, bis seine Erinnerungen daran herauskamen. Im Oktober 1816, vor 200 Jahren, erschien der erste Band seines Reiseberichts, der „Italienischen Reise“.

Die Italien-Sehnsucht treibt noch heute unzählige Deutsche auf den Spuren Goethes gen Süden. Die Vorstellungen von einem Leben im Zeichen von Genuss und Freiheit, nicht eingezwängt von Konventionen und Pflichten, üben unvermindert Anziehungskraft aus.

In einer Lebenskrise

Dabei wandelte Goethe bereits auf ausgetretenen Pfaden deutscher und britischer Italien-Reisender, als er mit 37 Jahren von einer Kur in Karlsbad in den Süden aufbrach. Zuvor hatte bereits sein Vater einen eigenen Bericht von der „Grand Tour“ geschrieben.

„Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte“ – so beginnt der erste Band der „Italienischen Reise“. Goethe befand sich 1786 in einer Lebenskrise, die Amtspflichten am Weimarer Hof ermüdeten ihn, die Beziehung zur verheirateten Charlotte von Stein blieb unerfüllt. Er reiste inkognito als Maler unter dem Pseudonym Johann Philipp Möller über den Brenner, Venedig und die Toskana nach Rom. Dort nahm er Zeichenunterricht bei seinem Malerfreund Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.

In Erinnerung an gemeinsame Ausflüge entstand 1787 dessen Gemälde „Goethe in der Campagna“: der Dichter inmitten antiker Ruinen in einer Hügellandschaft, sichtbares Sinnbild deutscher Italien-Sehnsucht. Die halb liegende Haltung Goethes wirkt dabei auf den ersten Blick bequemer als sie wohl in Wirklichkeit ist. Das berühmte Gemälde gehört zu den Kostbarkeiten des Frankfurter Städel-Museums.

Eine andere Tischbein-Zeichnung dagegen zeigt den Dichter wahrlich entspannt: auf einem Sofa mit Schuhen an den Füßen quer über der Lehne. Zu sehen ist sie im Museum „Casa di Goethe“ in Rom in der ehemaligen gemeinsamen Wohnung von Tischbein und Goethe.

Rom galt Goethe als „Hauptstadt der Welt“. Wenn heute Italiener in die „Casa di Goethe“ kommen, interessieren sie sich für den „homo universalis Goethe, den vielseitigen, den Autor des ,Faust‘“, wie Museumsleiterin Maria Gazzetti (früher Literaturhaus Frankfurt) erklärt. Deutsche hingegen suchten „Goethe mit seinem Auge auf Italien, den Erfinder der Italien-Sehnsucht, denjenigen, der eine Weile ausgestiegen ist, um Anderes zu erleben“.

Erotische Abenteuer

In Rom bewunderte Goethe nicht nur antike Skulpturen, die er wegen ihrer Nähe zu den griechischen Originalen studierte. Er fand auch erotische Abenteuer. Eine Zeichnung zeigt ihn, wie er auf seinem Bett in der Künstler-WG unter den strengen Augen eines Juno-Kopfes „das verflixte zweite Kissen“ richtet.

Goethe habe in Rom „die Antike, die Natur und den Eros als Naturkraft wieder entdeckt“, sagt der italienische Germanist Mauro Ponzi von der Sapienza-Universität. In den „Römischen Elegien“, in denen der Dichter seine erotischen Erlebnisse verarbeitet, taucht der Name „Faustina“ auf. Sie war wohl eine römische Wirtstochter.

Die meiste Zeit seines Italien-Aufenthalts verbrachte der Dichter in Rom. Um rasch dorthin zu gelangen, hatte er Nord- und Mittelitalien durcheilt. In Florenz verbrachte er knapp drei Stunden, ohne den Reichtum der Toskana-Metropole an Renaissance-Kunst auch nur annähernd zu würdigen.

Weiter südlich ging es später nach Neapel. Vor allem aber drängte es Goethe nach Sizilien, das als ehemalige griechische Kolonie mit seinen Tempeln die größte Nähe zum antiken Ideal versprach: „Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem.“ In Sizilien suchte der Dichter nach der „Ur-Pflanze“. Als vorgeblicher Brite versuchte er in Palermo gleichzeitig, bei den Verwandten des italienischen Hochstaplers und Alchimisten Cagliostro etwas über den geschäftstüchtigen Mann herauszufinden. Den Plan für eine Cagliostro-Oper verwirklichte Goethe am Ende aber nicht.

In Italien sei Goethe zwei Jahre lang glücklich gewesen, habe die vielleicht glücklichste Zeit seines Lebens verbracht, meint der Goethe-Experte Marino Freschi: „Wegen der Landschaft, der Befreiung aus dem Amt und aus der Verbindung mit Frau von Stein, wegen Kultur, Kunst, Kreativität, wegen des Meeres – und wegen Faustina“.

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