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Bandidos, Hells Angels und Co.: Studie liefert Hintergründe zu Szene

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Szenen der Beerdigung des Gießener Hells-Angels-Chefs Aygün Mucuk am Neuen Friedhof in Gießen.
Szenen der Beerdigung des Gießener Hells-Angels-Chefs Aygün Mucuk am Neuen Friedhof in Gießen. © Oliver Schepp

Sind Rockerclubs eine männliche Subkultur oder geht es um organisierte Kriminalität? Mit dieser Frage hat sich eine Studie beschäftigt. Bei der Vorstellung an der Uni Gießen hören die heimischen Ermittler genau zu.

Gießen - Bis heute ist der Tod des Gießener Hells-Angels-Chefs Aygün Mucuk nicht aufgeklärt, der Täter, der in Wißmar 17 Schüsse auf Mucuk abgefeuert hat, noch immer unbekannt. Musste der Rockerboss im Oktober 2016 wegen regionalen Streitigkeiten oder wegen Ärgers innerhalb der Gießener Hells Angels sterben? Viele offene Fragen. Vielleicht haben deshalb die Szeneermittler aus Gießen und Wiesbaden genau zugehört, als Bettina Zietlow vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) jetzt die Ergebnisse einer Studie zum Thema Rockerkriminalität vorstellte. Eingeladen worden war sie von der an der Universität Gießen lehrenden Kriminologin Prof. Britta Bannenberg im Rahmen eines kriminalwissenschaftlichen Praktikerseminars.

Bandidos, Hells Angels und Co.: Es hängt von den Führungsfiguren ab

Zietlow hatte zusammen mit ihren Mitarbeitern zwischen 2017 und Ende 2019 insgesamt 39 Interviews mit Experten wie Staatsanwälten oder Polizisten sowie Clubmitgliedern und Opfern von Rockerkriminalität geführt. Zudem durchforsteten die Wissenschaftler 239 Strafakten und Dokumente zu zehn Verbotsverfahren. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage: Sind Rockerclubs eine männliche Subkultur oder geht es dort hauptsächlich um organisierte Kriminalität? Zietlows Fazit: »Ein unbefriedigendes ›Sowohl - als auch‹.«

Ob ein Chapter - eine meist als Verein eingetragene Ortsgruppe - kriminell in Erscheinung tritt, scheint abhängig zu sein von den Führungsfiguren und deren Persönlichkeit. Eine Rolle spielen laut Zietlow auch lokale Begebenheiten - also welche Geschäftsmodelle sich für die Clubs auf lokaler Ebene bieten.

Für die Gründung eines Clubs, sagte Zietlow, sei das Hauptmotiv nicht zuallererst krimineller, sondern eher emotionaler Natur. Es gehe um bedingungslosen Zusammenhalt, Loyalität und gemeinsame Interessen - nämlich schwere Motorräder. Ein Clubmitglied schwärmte gegenüber den Forschern vom romantischen Rockermythos, ein anderer berief sich auf eine »Antikultur«, weil er mit der Gesellschaft nichts zu tun haben wolle. Ein Gießener Ermittler brachte noch das Thema »Macht« ins Spiel: »Es geht für manche darum, Bedeutung zu erlangen«, sagte er. »Man fühlt sich stark, wenn man mit 20 weiteren Männern in Kutten auftritt.«

Im Lagebild des Bundeskriminalamts sind zwischen zwölf (2018) und 48 (2014) abgeschlossene Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit Rockerkriminalität registriert. Hauptsächlich geht es um Drogen- sowie Gewaltdelikte. Dies spiegelt sich auch im Ergebnis der Studie wieder: 41 Prozent der untersuchten Delikte haben mit Körperverletzung zu tun, 39 Prozent mit dem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Gerade beim Drogenhandel falle auf, sagte Zietlow, dass es sich häufig nur um Fälle mit kleinen Mengen auf lokaler Ebene handele. Sie verwies aber auch darauf, dass es nur in zwölf Prozent der Fälle eine internationale Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden gegeben habe. Rockerkriminalität wird auch immer mit Menschenhandel in Verbindung gebracht. Dies wird in der Studie nicht ersichtlich: Nur zwei Prozent der analysierten Akten behandeln dieses Delikt. Auch hier schränkt Zietlow ein: »Es sind schwierig zu führende Verfahren.« Nicht ausssagekräftig waren die Akten, wenn es um eine mögliche Geldwäsche in Wettbüros oder durch den Kauf von Immobilien geht.

Bandidos, Hells Angels und Co.: Wenige kooperieren mit den Ermittlern

In den 239 Akten und zehn Verbotsverfahren gab es über 950 Tatverdächtige, davon waren 60 Prozent offiziell Mitglieder in einem der vier bekannten Rockerclubs: Hells Angels, Bandidos, Gremium oder Mongols. Die meisten gehören jedoch zu den Hells Angels. 92 Prozent waren Männer mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren. Und 43 Prozent hatten bereits Vorstrafen wegen Körperverletzung oder Drogendelikten. 80 Prozent besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Zietlow verwies darauf, dass es in den Chaptern selten zu einer Durchmischung von Nationalitäten komme. So ist auch der Gießener Ableger der Hells Angels dominiert von türkischstämmigen Rockern.

Eine interessante Erkenntnis: Unter den Verdächtigen waren viele Funktionsträger, also Mitglieder in führenden Positionen innerhalb eines Chapters. 30 Prozent der Täter handelten alleine 60 Prozent in der Gruppe. Dass sie ungern mit der Polizei kooperieren, zeigen auch die Zahlen zum Thema »Vernehmungen durch die Polizei«: 37 Prozent der Tatverdächtigen machten keine Aussagen, nur 14 Prozent legten ein (Teil-)Geständnis ab.

khn

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