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Unbekannte sprengen Geldautomaten in der Louisenstraße - Fälle nehmen drastisch zu

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Von: Julian Dorn

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Ein Knall zerreißt die nächtliche Stille in Bad Homburg: Unbekannte hatten einen Geldautomaten gesprengt. Die Trümmer fliegen meterweit.

Bad Homburg – Zumindest hängt das rote Santander-Emblem mit dem charakteristischen Flammen-Signet über dem Eingang noch, auch wenn es etwas in Schräglage geraten ist. „Schon wieder haben die einen hochgejagt, was für eine Sauerei“, murmelt eine Passantin vor dem rot-weißen Flatterband und lässt dabei den Blick über das Bild der Zerstörung schweifen, das sich ihr vor der Filiale in der Louisenstraße bietet: Glassplitter auf dem Trottoir, eine aus den Angeln gerissene Eingangstür und meterweit verstreute Trümmerteile - „wie im Kriegsgebiet“, sagt sie.

Dieses Chaos haben mehrere Täter hinterlassen, als sie nachts einen Geldautomaten in der Filiale gesprengt haben. Gegen 3.34 Uhr am Mittwoch riss ein lauter Knall mehrere Anwohner aus dem Schlaf. Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler hatten mindestens zwei, vermutlich drei Unbekannte - wohl ausgestattet mit Stirnlampen - die Bankfiliale betreten, den Automaten präpariert und zur Detonation gebracht. Anschließend seien die dunkel gekleideten Automatensprenger in eine Audi-Limousine gestiegen und mit hoher Geschwindigkeit vom Tatort geflüchtet. Ob sie Beute dabeihatten, dazu wollte sich die Bank auf Nachfrage nicht äußern.

Spur der Verwüstung: Die Detonation in der Santander Bank auf der unteren Louisenstraße ließ Glas zu Bruch gehen und hob die Eingangstür aus den Angeln.
Spur der Verwüstung: Die Detonation in der Santander Bank auf der unteren Louisenstraße ließ Glas zu Bruch gehen und hob die Eingangstür aus den Angeln. © Julian Sajak

Sprengstoffexperten untersuchen Tatort in Bad Homburg

Kurz nach dem Knall erreichten die Polizei mehrere Anrufe besorgter Anwohner, die Leitstelle löste Großalarm aus. „Wir haben umgehend starke Kräfte zusammengezogen, um eine Sofortfahndung einzuleiten“, berichtet Polizeisprecher Johannes Neumann. Ein Hubschrauber war ebenfalls im Einsatz. Dennoch gelang den offenbar hochmotorisierten Tätern die Flucht.

Stunden danach ist der Tatort weiträumig abgesperrt, das Flatterband weht im Wind, zwei uniformierte Polizisten flankieren den Tatort und sichern den Bereich vor der Bank. Auf dem Boden haben die Ermittler mit roter Sprühfarbe die Bereiche umkreist und nummeriert, in denen Trümmerteile lagen. Die Markierungen geben einen Eindruck von der Wucht der Explosion: Die roten Kreise finden sich sogar direkt vor dem Eingang eines gegenüberliegenden Geschäfts. Mittlerweile sind auch Sprengstoffexperten des Landeskriminalamts (LKA) am Tatort eingetroffen, vor der Filiale ist ein Sichtschutz aufgebaut.

Geldautomat in Bad Homburg gesprengt: Täter nutzen vermehrt Sprengstoff statt Gas

Dahinter sind die Forensiker in weißen Schutzanzügen dabei, alles akribisch zu vermessen und zu fotografieren. Die Ermittlungen stehen zwar noch am Anfang, eines ist aber schon klar: Die Täter haben laut Polizei festen Sprengstoff verwendet, so wie inzwischen in 80 Prozent aller Fälle; neuere Automaten können eingeleitetes Gas nämlich inzwischen neutralisieren. „Aus diesem Grund kommen die Experten für Sprengtechnik des LKA zum Einsatz, um die Sprengstoffreste unschädlich zu machen und Gefahren zu beseitigen“, sagt Sophia Lugner vom LKA.

Die Passantin vor dem Absperrband schaut den Kriminaltechnikern bei der Arbeit zu und fragt in die Runde der Umstehenden: „Ist der normale Bankraub etwa out? Da fliegt doch gefühlt jeden Tag irgendwo ein Gerät in die Luft.“ Der Eindruck der älteren Frau trügt nicht. Der gefühlte Trend lässt sich mit der Statistik belegen. 1993 verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) noch 1623 Überfälle auf „Geldinstitute und Poststellen“. 2021 wurden nur noch 28 Raubüberfälle auf Geldinstitute erfasst. Die Zahl der Geldautomatensprengungen stieg dagegen in den vergangenen Jahren bundesweit stark an. So gab es laut Daten des BKA 2006 gerade mal 16 vollendete Sprengungen und 14 Versuche. 2021 waren es schon 392 Attacken auf Geldautomaten (203 Versuche, 189 vollständige Diebstähle).

Geldautomatensprengungen: Fälle nehmen drastisch zu

Allein: In Hessen hat die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr zumindest leicht abgenommen im Vergleich zu 2021. Demnach kam es 2022 zu 41 Taten nach 56 im gleichen Vorjahreszeitraum. „Die Diebstahlsumme ist um circa 28 Prozent gesunken und liegt 2022 bei rund 1,8 Millionen Euro (2021: knapp über 2,5 Millionen)“, bilanziert LKA-Sprecherin Lugner. Hinzu komme allerdings ein Anstieg bei den Sachschäden auf mehr als 4,9 Millionen Euro (2021: über 2,5 Millionen). Immerhin 19 von 41 Taten in Hessen scheiterten entweder ganz oder die Sprengungen gelangen zwar, allerdings mussten die Täter dann ohne Beute flüchten. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass die Automaten immer besser und kostspielig geschützt werden, etwa mit Farbplompen, die das Bargeld nach der Detonation einfärben und unbrauchbar machen, oder Vernebelungsmaschinen. Ob der Santander-Automat auch speziell gesichert war, wollte die Bank auf Nachfrage nicht verraten.

Die meisten Fälle in Hessen gab es nach Angaben von Lugner 2022 mit neun Taten im Main- und Hochtaunus und damit im Zuständigkeitsgebiet von Polizeihauptkommissar Neumann. Im November und Dezember 2022 knallte es in Friedrichsdorf und Glashütten.

Sorge bereitet Neumann die Skrupellosigkeit der Täter. „Es ist immer nur dem Zufall zu verdanken, dass bei solchen Explosionen noch niemand zu Schaden gekommen ist, aber die Gefahr nehmen diese Täter billigend in Kauf.“

Sprengung von Geldautomaten kann auch als versuchtes Tötungsdelikt gewertet werden

Gerade bei Sprengungen mit Explosivstoffen ist laut LKA-Sprecherin Lugner mit einer hohen Splitterwirkung zu rechnen und damit, das großflächige und schwere Trümmerstücke weit durch die Luft geschleudert werden. „Die hierbei durch Detonation angetriebenen, teils massiven und scharfkantigen Trümmerteile erreichen Durchschlagskräfte, denen auch massiv verbaute Hauswände oder Fensterscheiben nicht standhalten“, so LKA-Experten aus NRW in einem Lagebericht. Je nachdem, wie konkret Menschen gefährdet waren, könne die Tat auch als versuchtes Tötungsdelikt gewertet werden, sagt Lugner.

Auch an dem Gebäude in der Louisenstraße, bei dem es sich glücklicherweise um ein reines Geschäftsgebäude handelt, entstand durch die Wucht der Explosion ein Schaden im sechsstelligen Bereich. Einsturzgefahr bestehe jedoch nicht, so Neumann. Auch auf ihrer Flucht werden die Täter immer rücksichtsloser, wie der Polizeisprecher betont. Oft benutzen sie hochmotorisierte Limousinen, „in denen sie mit teilweise waghalsigen Manövern flüchten“. Eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer - aber auch für die Polizeibeamten, die Tätern hinterherjagen.

„Wir können nicht in jedem Fall auch die Verfolgung aufnehmen, weil es für unsere Beamten zu gefährlich wäre“, so Polizeihauptkommissar Neumann. Immer wieder komme es auf der Flucht zu Unfällen, zuletzt Anfang Januar auf der Schiersteiner Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden, als Geldautomatenknacker einen Unfall bauten, nachdem sie vom Tatort in Hofheim geflüchtet waren.

Geldautomaten immer öfter Ziel von Kriminellen: Oft sind organisierte Banden am Werk

Auch wenn im Homburger Fall bislang noch konkrete Hinweise auf die Täter fehlen, so deute das professionelle Vorgehen ebenfalls auf eine organisierte Bande reisender Täter hin. „Meist stammen sie aus den Niederlanden und kommen nur für die Tat nach Deutschland“, erklärt Neumann. „Wegen der Nähe zu den Niederlanden gibt es die meisten Fälle auch in NRW.“

Die Taten dauern mitunter nur wenige Minuten. Nach Erkenntnissen des LKA leben die Bandenmitglieder vorwiegend in Utrecht, Rotterdam und Amsterdam. Schätzungsweise gehören 500 bis 700 wechselnde Personen dazu. Überwiegend handele es sich um Männer zwischen 18 bis 40 Jahren. „Sie sind oftmals sehr Polizeierfahren, reagieren sensibel auf verdeckte polizeiliche Maßnahmen und lernen ständig dazu“, wie etwa das LKA in NRW ermittelt hat. Fehler und daraus abgeleitete Lehren würden immer wieder an die Gruppe weitergegeben, heißt es.

Dass die Täter in Homburg Fehler gemacht und verräterische Spuren hinterlassen haben, darauf hoffen nun die Fahnder. Am Nachmittag waren noch immer Forensiker am Tatort. Wann die Filiale wieder öffnen wird, ist unklar. (Julian Dorn)

Zuletzt sprengten Kriminelle einen Geldautomaten im nahegelegenen Oberursel.

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