„Vieles wird jeden Tag schlimmer“: Tierschutzverein schlägt Alarm

Bad Homburger Tierretter in Not: Die Spenden gehen zurück, die Nachfrage dagegen steigt.
Bad Homburg - Wie es um den Bad Homburger Tierschutzverein steht? Bettina Tille findet deutliche Worte, die klarmachen: Dem 1878 gegründeten Verein steht das Wasser bis zum Hals. „Falls man dachte, Corona und der Krieg in der Ukraine seien handhabbarer geworden, so muss man leider im Tierschutz erkennen, dass vieles jeden Tag schlimmer wird.“
Die Liste der Probleme, mit denen die 136 Tierschützer der Kurstadt jeden Tag konfrontiert werden, ist lang. „Einerseits wird der Tierschutz mit aus der in der Corona-Zeit angeschafften Tieren überrollt, die nun, da man wieder in Urlaub fahren kann oder wieder ins Büro geht, einfach nicht mehr ins Leben passen“, berichtet Tille. „Andererseits kommen auch viele neue Tiere aus der Ukraine hinzu, die mit Futter versorgt und ärztlich betreut werden müssen.“
Tille und ihre Mitstreiter kümmern sich seit vergangenem Jahr auch um die Haustiere ukrainischer Flüchtlinge. Zunächst rüstete der Verein die in Wohnungen, Hotels, Pensionen und Gästehäusern untergebrachten Tiere - meist Hunde oder Katzen - mit Leinen, Näpfen, Betten und Futter aus. Dann wurden die Tierzelte an den Erstaufnahmeeinrichtungen in Kronberg und Neu-Anspach bestückt, in denen die Tiere von Geflüchteten eine vorübergehende Bleibe gefunden hatten.
Tierschutzverein Bad Homburg: Tierfutter ins Kriegsgebiet
Die Tierhelfer schicken aber auch Futter ins Kriegsgebiet. Videos dokumentieren, wie die Futterspenden verteilt werden. Auf einem ist ein Mann zu sehen, der - selbst stark unterernährt - zwei Katzen durchbringt.
Die Tiere von einkommensschwächeren Besitzern und Flüchtlingen werden zudem von der Tier-Tafel des Vereins versorgt. In einem kleinen Raum sammeln Tille und Co. Futter, Leckerlis, Körbchen, Decken und Spielzeug. Einmal im Monat können sich die Leute hier Futter für bis zu drei Tiere abholen. Die Menge an Futter, die mitgegeben wird, reiche für drei Wochen. Dadurch, dass die vierte Woche selbst gestemmt werden müsse, werde noch eigene Verantwortung übernommen, so sieht es das Konzept vor.
„Inzwischen hat die Tier-Tafel mehr ukrainische Kunden als deutsche“, bilanziert Tille. Sie versorgen derzeit 46 Ukrainer mit 34 Hunden und 29 Katzen und zudem 44 Deutsche mit 30 Hunden und 45 Katzen. Mitunter reisten Geflüchtete mehr als 100 Kilometer, um ihre Tiere in der Kurstadt versorgen zu lassen, erzählt die Tierschützerin. „Die müssen wir leider wieder wegschicken, da wir nur in Bad Homburg und im Hochtaunuskreis helfen können.“
Umgangston mit Tierschützern wird rauer
Und auch die Bürokratie macht Tille zu schaffen: Die Anpassung der Tierarzt-Gebührenordnung mit den stark gestiegenen Rechnungen zwinge immer mehr Halter dazu, das Tier abzugeben oder es nicht mehr zum Arzt zu bringen. Die Preise für Impfungen von Hund und Katze etwa verdoppeln sich nahezu - von 5,77 Euro auf 11,50 Euro. „Diese Tiere ertragen dann mitunter einen langen Leidensweg, da Krankheiten nicht mehr behandelt werden, Tiere Schmerzen haben und zum Schluss einen verfrühten Tod erleiden müssen.“
Gleichzeitig stellt das Team um Tille fest, dass der Umgangston rauer wird. Oft erhalten die Mitarbeiter bis spät in die Nacht Anrufe - bis zu vier pro Tag - oder Menschen stehen vor der Haustür und fordern Hilfe. Manche Halter glauben wohl, so Tierschützerin Tille, „dass es sich um hoch bezahlte Mitarbeiter handelt, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen“.
Dabei sind alle Mitglieder Ehrenamtliche, die ihre Freizeit opfern und Einsätze mit ihren privaten Wagen fahren. Selbst am Wochenende werden Tille und Kollegen „auch mal von der Familienfeier weg“ zu Rettungseinsätzen gerufen. Und wohin dann etwa mit dem verletzten Igel im Straßengraben? Oft möchte der Verein helfen, kann aber Tiere nicht übernehmen, da keine Pflegestellen zur Verfügung stehen. Häufig riefen Tierhalter an und erwarteten, dass Vierbeiner sofort übernommen werden.
Tiere in Bad Homburg: Gestern geliebt, heute weggegeben
Tille hört dann immer die gleichen Erklärungen: Die Besitzer möchten in den Urlaub fahren, müssen angeblich nächste Woche aus der Wohnung oder leiden urplötzlich an Allergien. Dann werden die Helfer vor die Wahl gestellt: Entweder die Tierschützer kümmern sich oder das Tier wird ausgesetzt - oder auch über Anzeigenportale im Internet verkauft. „Da fragt niemand nach, was später mit dem Tier passieren soll“, so Tille. Die online fündig gewordenen, neuen Halter könnten dann irgendwann überfordert sein. Ergo: Das Tier landet am Ende doch im Heim.
Sicherlich gebe es Notfälle, für die man auch da sein möchte, „aber leider stellen wir auch fest, dass die Eigenverantwortung der Tierhalter ab-, die Bereitschaft sein Tier im Stich zu lassen aber zunimmt.“
Das spiegelt auch die Situation in vielen Tierheimen. Anders als die Tierschützer in der Kurstadt unterhalten einige Vereine auch eigene Tierheime. Viele hätten schon im vergangenen Sommer einen Aufnahmestopp verkündet, sagt Daniela Müller vom Landestierschutzverband Hessen. „Die meisten Tierheime haben sich definitiv gefüllt, vor allem mit verhaltensauffälligen Hunden.“ Diese „Langzeitsitzer“ nähmen dann viel Zeit und Platz in Anspruch und kosteten viel Geld, so Müller.
Nicht nur der Homburger Verein, sondern auch viele andere in Hessen, insbesondere die mit eigenem Tierheim, haben laut Verband wegen der Inflation ohnehin finanzielle Sorgen: höhere Kosten für Angestellte und Futter, Personalmangel bei den Tierpflegern, weniger Vermittlungen, dafür immer mehr Abgaben. Das Gros der Kosten müssten die Vereine über Spenden finanzieren, heißt es vom Verband. Gerade kleine Vereine ohne eigenes Tierheim hätten es da schwer.
Zwei Vereine im Kreis haben aufgegeben
Ein Problem ist auch der Mangel an Mitgliedern. Aus Altersgründen mussten bereits die Vereine in Friedrichsdorf und Oberursel aufgeben. Die Helfer aus der Kurstadt müssen nun also den ganzen Hochtaunus abdecken.
Das bedeutet mehr Arbeit - und das bei immer weniger Futter-, Sach- und Geldspenden, zumindest in der Kurstadt. Auch wenn der Landestierschutzverband noch keinen allgemeinen Rückgang der Spendenbereitschaft feststellen kann, wird der Homburger Verein bei der nächsten Futterausgabe wohl nicht mehr alle Tiere versorgen können und bittet daher um Futterspenden. Besonders wichtig sei Hundenassfutter in 400- und 800-Gramm-Dosen. Diese könnten auch in die Futterspendenboxen in Bad Homburg oder Oberursel bei Rewe, Edeka, DM, HIT und Fressnapf eingeworfen werden.
Neben der täglichen Arbeit - Hunde, Katzen oder Vögel zu retten und dann zum Tierarzt oder ins Tierheim Hochtaunus zu fahren - müssen die Ehrenamtlichen Futterboxen leeren, Verwaltungsarbeit erledigen sowie die Tierfutter-Tafel bestücken.
Viele Tiere fanden schon ein neues Zuhause
Außerdem hilft der Verein dabei, heimatlose Tiere zu vermitteln - und zwar sehr erfolgreich, wie die Bilanz 2022 zeigt: „So konnten von uns elf Katzen und 34 Hunde, deren Besitzer verstorben, erkrankt oder verzogen sind, an liebevolle Menschen vermittelt werden,“ resümiert Tille. „Eine trächtige Foxterrier-Hündin gebar sogar fünf Welpen“, berichtet die Schriftführerin des Vereins, „die mit der Hundemama zunächst vom Tierschutzverein betreut und dann in gute Hände vermittelt wurden.“
Arztbesuche, Suche nach Pflegestellen, Kennenlern-Gassi-Runden mit Interessenten und zu guter Letzt auch die Bewältigung des „Papierkrams“ - die Vermittlung ist mit viel Arbeit verbunden. Denn bevor ein Vierbeiner vermittelt wird, nehmen die Tierschützer potenzielle Besitzer unter die Lupe: Stimmt die Chemie zwischen Tier und Mensch? Gibt es weitere Tiere im Haushalt? Ist ein Garten vorhanden - und falls ja: Stehen dort etwa giftige Pflanzen, die dem Tier gefährlich werden könnten? Oft machen Tille und Kollegen auch mehrere Hausbesuche.
Eine wichtige Arbeit, die nun gefährdet ist. Kann die Stadt helfen? „Der Verein bekommt einen jährlichen Zuschuss in Höhe von 3000 Euro“, so Stadtsprecher Thomas Steinforth. Ob da mehr drin ist? „Weitere Unterstützung müsste durch den Haushalt festgelegt werden“, sagt Steinforth. Ergo: Die Politik ist gefragt, dürfte aber angesichts der prekären Haushaltslage im Moment wenig Spielraum haben. Freiwillige Leistungen wurden ohnehin jüngst um 25 Prozent gekürzt. Allein: Die Stadt sei Mitglied beim Tierheim Hochtaunus und unterstütze diesen mit einer Umlage.
Die Tierschützer sind also weiter auf Spenden angewiesen, um ihrem Leitspruch gerecht zu werden: „Ein einzelnes Tier zu retten verändert nicht die Welt, aber für dieses eine Tier verändert sich die ganze Welt.“ Der Verein hofft, dass er auch in Zukunft weiter Welten retten kann. (Julian Dorn)
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