Leben im Luftschutzkeller
In unserer Serie berichten Zeitzeugen, wie sie die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Heute geht es um Fliegerangriffe, die gegen Ende des Krieges den Alltag der Menschen im Taunus bestimmte.
Für Bad Homburg gab es während des Krieges rund 650 sogenannte Vollalarme, also Alarmmeldungen, dass Bomberverbände auf die Kurstadt zuflogen. Am 8. März kam es zu einem folgenschweren Abwurf, bei dem 30 Menschen den Tod fanden (TZ berichtete). Alleine 315 Alarme gab es in den letzten 90 Tagen vor Beendigung der Kampfhandlungen. Lesen Sie heute, wie die Menschen damals versucht haben, mit dieser Situation zurechtzukommen, wie aber auch die Angst vor den Fliegern den Alltag bestimmte. Die Ober-Eschbacherin Irmtraud Wächtershäuser erinnert sich heute, wie sie damals die Zeit der Bombenalarme erlebt hat.
„In den letzten Wochen und Monaten vor dem Kriegsende war unser Leben mehr und mehr von den Alarmen bestimmt. Meine Mutter und ich wohnten damals in der Ober-Eschbacher Zehntgasse. Mein Vater war im Krieg. Mehrmals in der Woche kündigte der Alarm Fliegerangriffe an. Wenn der Voralarm ertönte, hatten wir gut zehn Minuten Zeit, in den Luftschutzkeller zu gehen. Jeder hatte „seinen“ Luftschutzkeller zugewiesen bekommen. Wir mussten in einen Keller eines Bauernhofs in der Nachbarschaft gehen. Dort waren immer so um die 15 Leute. Es waren alles Bewohner der Zehntgasse, alles Frauen und ältere Männer. Ich war das einzige Kind. Im Keller standen Stühle und Bänke. Meine Mutter hatte noch eine Kiste mit Kleidung untergestellt. Dazu hatte sie für sich und mich Rucksäcke geschneidert, die wir uns schnappten, wenn der Alarm losging und wir in den Keller rannten. Darin waren zu Essen und Trinken, Bilder und Dokumente. Das Wichtigste eben. Da der Gewölbekeller – ein Gewölbe galt als stabiler als einer mit Flachdecke – nur einen Ausgang hatte, waren auch Essensvorräte dort. Man musste ja damit rechnen, verschüttet zu werden, wenn das Haus einen Bombentreffer erhielt, und dann hätte man vielleicht Tage warten müssen, befreit zu werden. Viel geredet wurde während der Angriffe nicht. Ich sehe heute noch die Bilder vor mir, wie Mütter beim Voralarm in die nahe gelegene Schule rannten, um ihre Kinder abzuholen und sie in einem Keller in Sicherheit zu bringen, während wir bereits in unseren Luftschutzkeller gingen.
Abwarten bis Mitternacht
Ich war damals fünfeinhalb Jahre alt und musste noch nicht zur Schule. Deswegen ließ mich meine Mutter immer bis Mitternacht auf. Es hieß immer, wenn bis Mitternacht kein Alarm kommt, dann bleibt die Nacht ruhig. Erst dann konnte ich ins Bett gehen und schlafen. Aber ich konnte ja auch am nächsten Vormittag ausschlafen. Es kam aber auch vor, dass wir die Nacht im Keller verbracht haben. Da haben wir in Decken eingepackt auf Stühlen und Bänken geschlafen. Elektrisches Licht gab es nicht, Licht kam nur von Stall- und Karbidlampen. Meine Mutter hatte immer Angst, so einen Angriff nicht zu überleben. Sie hatte deswegen eine Freundin gebeten, auf mich aufzupassen, bis mein Vater aus dem Krieg zurückkäme. Mit dem Tod hat damals jeder gerechnet.
Später kamen noch weitere Menschen in unseren Keller. Das waren zumeist ausgebombte Frankfurter, die in Ober-Eschbach einquartiert worden waren. Fremdarbeiter waren aber nicht dabei. Ich glaube, sie durften nicht in den Keller. Wo sie untergebracht waren, weiß ich nicht. Es gab ja viele Verbote für Zwangsarbeiter. Sie durften beispielsweise nicht mit am Tisch essen. Doch daran haben sich die meisten Bauern bei uns im Ort nicht gehalten.
Ich weiß noch, wie ich mit meiner Mutter in der Homburger Hirsch-Apotheke war, als der Fliegeralarm losging. Wir sind mit dem Rad zur Promenade gefahren und versteckten uns dort in Büschen. Da kam dann ein Mann und hat uns in einen Keller in die Promenade gelotst. Dort warteten wir den Angriff ab und sind dann nach Hause gefahren. Solche Angriffe waren Alltag geworden.
Bonbons verteilt
Als die Amerikaner kamen, hatten wir zunächst auch Zuflucht im Luftschutzkeller gesucht. Man wusste ja nicht, was passieren würde, aber schließlich trauten wir uns doch hinaus. Da stand dann ein Jeep mit amerikanischen Soldaten oben an der Hauptstraße. Es war das erste Mal, dass ich einen Schwarzen sah. Und ich glaube, meiner Mutter ging es ebenso.
Die Soldaten waren sehr nett und verteilten Schokolade, Lollis und Kaugummi an uns Kinder. Ich hatte Glück und durfte meine Süßigkeiten behalten. Doch andere haben die Naschereien von ihren Müttern weggenommen bekommen, denn die Nazi-Propaganda hatte ja verkündet, dass die amerikanischen Soldaten vergiftete Bonbons verteilen würden. Und niemand wusste mehr, wem man noch glauben sollte.“