Mendl und der Glöckner
Zum Auftakt des 6. „Poesie & Literaturfestivals“ las Michael Mendl aus dem Klassiker „Der Glöckner von Notre-Dame“. Geballte Gewalt und starke Gefühle in historischer Kulisse.
Das Treiben vor der Erlöserkirche, die am Abend des Fronleichnam-Tages in herrlichem Licht daliegt, könnte sommerlicher nicht sein. Die festlich gewandeten Besucher flanieren mit einem Sekt in der Hand vor der Lesung des Schauspielers Michael Mendl um das Grasrondell. Welch ein Auftakt des sechsten „Bad Homburger Poesie & Literaturfestivals“, dessen kulturellen und literarischen Wert Oberbürgermeister Michael Korwisi (Grüne) und der künstlerische Leiter Bernd Hoffmann eingangs in der zunächst noch düster wirkenden Kirche preisen.
Mendl ist zum sechsten Mal dabei. Er hat sich mit Victor Hugos 1831 erschienenem Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ einen nicht eben leichten Stoff vorgenommen, der auf eine historische Begebenheit im 15. Jahrhundert zurückgeht. Die Wahl der Erlöserkirche als Lesungsort gibt eine kluge Parallele zu Notre-Dame, wo sich ein Großteil der verwickelten Geschichte um den in der deutschen Übersetzung titelgebenden Glöckner abspielt.
Des tauben, buckeligen Quasimodo, der als Findelkind in Notre-Dame ausgesetzt wurde, nimmt sich Dom Claude Frollo an. Er zieht ihn auf und macht ihn zum Glöckner.
Naturgemäß beschränkt sich Mendl auf Auszüge aus dem 600 Seiten starken Epos des französischen Nationaldichters. Dem vermutlich zumeist über die berühmte Verfilmung mit dem Stoff vertrauten Publikum hätte er mit dem Hinweis darauf, warum er dieses Werk vorstelle, den Einstieg erleichtern können. Das Werk gilt als erster Großstadtroman, weil es das Paris des 15. Jahrhunderts plastisch schildert. Der hässliche Quasimodo verliebt sich in die schöne Zigeunerin Esmeralda, die wiederum dem Hauptmann Phoebe verfallen ist.
Die Kirche ist bis in die Emporen hinauf gut besetzt. Das an der Orgel (Kantorin Susanne Rohn in gewohnter Manier) gruppierte Streicherensemble des Jugendsinfonieorchesters Hochtaunus unter der Leitung von Lars Keitel verheißt musikalische Unterbrechungen, die dem dramatischen Geschehen wohl anstehen.
Die angekündigte Bebilderung scheitert an der Technik; die Leinwand im Altarraum bleibt die ersten eineinhalb Stunden bis zur Pause leer. Später dann – die Fantasie hat sich längst eigene Bilder geschaffen – erscheinen Gemälde zweier Zigeunerinnen und des Erzdechanten auf der Leinwand. Die Beleuchtung des Innenraums mit Rot, Violett, Blau und Grün hat ihren optischen Reiz; ein inhaltliches Zusammenspiel mit dem Text ist nicht zu erkennen.
Mendl geht das Pensum gewohnt charismatisch an. Bei Dialogen und dramatischen Szenen setzt er gern auf herbe Lautstärke.
Wie Balsam wirkt die Musik, etwa das Adagio von Albinoni, der Satz aus Vivaldis Konzert für zwei Celli und Orchester. Harmonisch fügen sich die jungen Streicher dem behutsamen Dirigat Keitels. Hinreißend schön wirkt der innige, rosenblätterleichte Gesang Susanne Rohns in den Arien aus Händls Opern „Rinaldo“ und „Teseo“, berückend das „Ave Maria“ von Caccini. Da hat die Geschichte aber schon ihr Ende genommen.
In einer Krypta liegen hochromantisch unlösbar ineinander verschlungen zwei Skelette. Es sind, im Tod vereint, Esmeralda und Quasimodo.