Schicksalsjahre eines Dichters

Neue Filme über Hölderlin in der Villa Wertheimber - Kabinett ist jetzt komplett
Bad Homburg -„Liebste Mutter . . .“ - so weit kommen die meisten Besucher, wenn sie versuchen, einen der Briefe zu entziffern, die Friedrich Hölderlin vor gut 200 Jahren in Homburg geschrieben hat. Wer kann schon alte deutsche Schreibschrift lesen? Hinzu kommt, dass der Dichter zuweilen recht exzentrisch die Feder geschwungen hat. Zum Glück gibt’s gedruckte Zusammenfassungen, denn was Hölderlin von hier schrieb, ist höchst interessant.
Auf Basis der Briefe, von denen die Stadt 15 im Original besitzt - Teile davon zeigt sie als Faksimiles - hat der städtische Fachbereich Kultur jetzt zwei Kurzfilme gemacht, die dem Dichter persönlich recht nahe kommen. Sie können seit gestern auf einem großen Bildschirm in der Villa Wertheimber oder über den You-Tube-Kanal „Kultur Live Bad Homburg“ angesehen werden. „Mit dem neuen Screen ist unser Hölderlin-Kabinett komplett“, erklärt OB und Kulturdezernent Alexander Hetjes (CDU). In den Filmen könne man dem Dichter praktisch über die Schulter schauen.
Kulturamtsleiterin Dr. Bettina Gentzcke hat sich in die Briefe eingelesen und die Texte zu den beiden Filmen geschrieben, die, eingebettet in eine Ausstellung, unter dem Titel „Schicksalsjahre eines großen Dichters“ stehen. Und der verspricht nicht zu viel: Das Schicksal wollte es, dass die Jahre um 1800, die Hölderlin in Homburg weilte, zunächst voller Wonne waren: Er war inspiriert und schrieb viel und Bedeutendes. Bei seinem zweiten Besuch aber ging es ihm schlecht, und es kam 1806 zu einem dramatischen Abschied.
Was damals genau passierte und wie der Dichter das seiner Mutter, seiner Schwester Heinrike sowie Freunden mitteilte, zeigen die beiden Streifen „Homburg als Zufluchtsort“ (9 Minuten) und „Homburg als Schreibort (15 Minuten) höchst unterhaltsam. Gedreht wurde im September 2022 mit zwei Profi-Schauspielern im Hessenpark. „Dort gibt es Häuser, wie sie zur Zeit Hölderlins auch in Homburg standen“, erläutert Gentzcke. In seinen Briefen, die, wenn man sie denn entziffern kann, viel leichter verständlich sind als seine Gedichte, schilderte Hölderlin recht genau, was er in Homburg machte und wie er sich fühlte. Die Stadt war auch Zufluchtsort für ihn. Er beschrieb die Umgebung, den Taunus und auch sein Zimmer in der Haingasse genau - Fotos gab es damals ja noch nicht.
Historische Szenen im Hessenpark gedreht
Die historischen Szenen wechseln sich in beiden Filmen ab mit sonnigen Bildern der heutigen Kurstadt, teils aus der Vogelperspektive; gefilmt wurde auch mit einer Drohne. Im Schlosspark und in den Auen, die heute den Kurpark bilden, hat sich Hölderlin gerne aufgehalten. Immer wieder fährt der Film auch über Kunstgegenstände aus dem Gotischen Haus: ein Ölbild seines Freundes Sinclair oder eine Büste seiner Frankfurter Geliebten Susette Gontard etwa. Gegenstände von ihm, etwa eine Schreibfeder, gibt es nicht mehr. Dafür sind - neben einer guten Zusammenfassung von Hölderlins bewegtem Leben - immer wieder Zitate aus seinen Briefen zu hören.
„Sehr bewegend“ findet Gentzcke seine Schilderungen. Sie sei froh, dass mit dem Hölderlin-Kabinett jetzt ein Ort in Bad Homburg existiert, an dem immer wieder Exponate zu dem Dichter gezeigt werden können. Die anderen Hölderlin-Städte in Württemberg hätten auch „aufgerüstet, gerade der 250. Geburtstag hat noch mal einen Schub gegeben“.
Das Kabinett, jetzt mit dem Herzstück der Filme, entschädige dafür, dass beide Häuser in der Haingasse und der Dorotheenstraße, in denen der Dichter lebte, nicht mehr im Original erhalten sind. In Homburg hat der Dichter zwar nur sechs, dafür aber für sein Schaffen und sein Leben wichtige Jahre verlebt. Gentzcke: „Darauf sind die Württemberger sogar ein bisschen neidisch.“
Öffnungszeiten
Das Hölderlin-Kabinett in der Villa Wertheimber kann dienstags, 9- 16 Uhr, mittwochs, 14-19 Uhr und freitags, 9-12 Uhr, kostenlos besichtigt werden. Kostenfreie Führungen kann man unter kultur@bad-homburg vereinbaren.
KFG-Schüler sprechen über Lyrik
In Schulen werden Hölderlins Gedichte äußerst selten behandelt. „Meist nur Goethe, dabei steht Hölderlins Epoche, die Schwelle von der Klassik zur Romantik, durchaus im Lehrplan“, bedauert Kulturamtsleiterin Gentzcke. Im Kaiserin-Friedrich-Gymnasium (KFG) stieß sie auf Nachfrage auf Interesse: Nun werden die teils in Homburg verfassten Verse dort durchgenommen. Am 4. Juni, wenn in der Schlosskirche zum 40. Mal der Hölderlinpreis vergeben wird, werden auch Jugendliche vom KFG mit auf dem Podium sitzen und mit den Preisträgern über Lyrik sprechen.
