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Sonnige Sternstunden

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Sie war ein Wagnis, die Freiluft-Lesung im Innenhof des Lokschuppens. Das Wagnis ist geglückt – und Robert Stadlober hat mit drei Miniaturen aus Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ dem Poesie- und Literaturfestival ein ganz besonderes Finale gegeben.

Um seinen Platz zu finden, war ein bisschen Konzentration vonnöten. Wie in einem Theatersaal waren die Reihen durchnummeriert, doch es konnte sein, dass zwischen Sitz Nummer 4 und 5 ein Staudenbeet lag. Als habe sie dem diesjährigen Poesie- und Literaturfestival noch einen krönenden Abschluss geben wollen, war die Abendsonne pünktlich vor der letzten Lesung durchgebrochen und beleuchtete das Auditorium aus Plastikstühlen nun unerbittlich von Westen. Die Besucher saßen wie in einem Amphitheater in einem Halbrund; die einen blinzelten mit Sonnenbrille gen Bühne, den anderen spendete der kürzlich sanierte historische Lokschuppen bereits Schatten.

Eine Lesung unter freiem Himmel – ein Wagnis. Doch eine dann und wann vorbeiratternde S-Bahn, überfliegende Enten und nur ein Mal in der Ferne Tatütata waren die einzigen Ablenkungen von dem wunderbaren Programm, was da auf der Bühne geboten wurde. Bis auf die Maus, die plötzlich im Beet auftauchte und dem Schauspieler einige Sekunden die Show stahl . . .

Toller Auftritt des JSO

Mit weißem Sommerhut und unterschiedlich farbigen Socken war Robert Stadlober (32) zu seinem Lesepult geschritten. Den Schauspieler umweht – auch aufgrund seiner Rollen – ein Hauch von Jugend, der auch seiner Stimme innewohnt. Man merkte, dass ihm die abenteuerlichen Geschichten von Stefan Zweig, die Episoden der Weltgeschichte so schilderten, wie sie hätten sein können, vertraut sind. Stadlober las, als erzähle er Kindern eine Abenteuergeschichte. Er wirkte angenehm unprätentiös; spielte das Orchester, blieb er in yogischer Drehung den jungen Musikern zugewandt.

Die 44 jungen Musiker der Orchester-Akademie des Jugendsinfonieorchesters (JSO) Hochtaunus – das sind die Besten der Schulen im Taunus, unterstützt von Profis vornehmlich der Frankfurter Oper, dirigiert von Lars Keitel – betteten die Literatur in passende Klänge. Die Titelmelodie des Westerns „Die glorreichen Sieben“ von Elmer Bernstein führte den Geist nach Amerika, wo die ersten beiden Miniaturen spielten, die Stadlober las.

In „Flucht in die Unsterblichkeit“ und „Die Entdeckung Eldorados“ geht es beide Male um die Gier nach Gold, die Europäer in die Neue Welt zog. Am Ende lässt das Schicksal Köpfe rollen und den klugen Millionär verarmen – das JSO mit Ennio Morricones „Once Upon A Time in America“ brachte den richtigen Soundtrack dazu. Beethovens zweiter Satz aus der siebten Sinfonie war es, der nach der Pause Goethes letzte große (unerfüllte) Liebe beerdigte – auch wenn sie nicht alle Töne trafen, gaben die jungen Musiker dem Stück doch jene schöne unendliche Traurigkeit. Um anschließend mit Schostakowitschs berühmtem Walzer dem Leben und Lieben zu huldigen.

Neuer poetischer Ort

Daniel Massey, Mitglied des Vorstands der Firma w-tec, die einen Teil des Lokschuppens gemietet hat, hatte eingangs erklärt, er freue sich jeden Tag, in diesem Industrie-Denkmal zur Arbeit zu gehen. Mag sein, dass ein neuer Homburger Poesie-Ort gefunden ist: Bernd Hoffmann, künstlerischer Leiter des Poesie-Festivals, kündigte an: „Es war sicher nicht die letzte Veranstaltung hier.“

Immer noch mit Sonnenhut, stand Robert Stadlober nach der Lesung an den Homburger Gleisen und schaute in den Himmel – da waren tatsächlich Sterne! Ein schöner Moment. Gleich ging’s für ihn zum Signieren. Um die Sternstunden ein bisschen zu bewahren.

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