1. Startseite
  2. Region
  3. Hochtaunus
  4. Bad Homburg

Wenn der Raum gestört wird

Kommentare

Auf Glas im Fensterrahmen hat Dorothea Gräbner zwei reale Menschen in Ölfarbe festgehalten. Zu sehen gibt es die Werke „Nomadenportrait Alessandru C.“ (re.) und „Nomadenportrait Zirkus Krämani“ in der neuen Ausstellung „Gestörte Räume“.
Auf Glas im Fensterrahmen hat Dorothea Gräbner zwei reale Menschen in Ölfarbe festgehalten. Zu sehen gibt es die Werke „Nomadenportrait Alessandru C.“ (re.) und „Nomadenportrait Zirkus Krämani“ in der neuen Ausstellung „Gestörte Räume“. © Jens Priedemuth

Neue Ausstellung in der Galerie Artlantis geht wider das ästhetische Empfinden

Bad Homburg -Hager, mit hängenden Schultern stehen die Frauengestalten beieinander. Ein Umhang aus Fleece ihr einziger Schutz. Bestenfalls angedeutet sind ihre Münder, ihre Augen nur zu erahnen. Den trostlosen Eindruck der Szenerie verstärkt, ja verschärft die Farbe der Tristesse schlechthin. Das helle Grau verleiht den „Gesichtern“ eine ungesunde, schon morbide Anmutung. Sie stehen zusammen, aber auf Abstand. Zu schützen vermögen sie einander nicht. Das müssten sie wohl, denn eine Formation schwarzer, aufrecht gehender vogelartiger Wesen rückt auf sie zu. Auch sind sie augenlos.

Die Situation hat etwas Apokalyptisches

Es ist eine bedrohliche Situation, die Marianne Roetzel vor den schwarz verhangenen Wänden des Hauptraums der Galerie Artlantis in Szene setzt. Auf den Betrachter wirkt dieser Abschnitt der neuen Ausstellung mehr als irritierend, gerade wenn er seiner allein gewahr wird. Frontal betrachtet muten die Vogelwesen mit ihren aufragenden Hälsen und den spitzen, waagrechten Schnäbeln schildartig, massiv, bedrohlich an. Beim Gang um sie herum fällt jedoch auf, wie zerfranst die Flügel und dass sie flach und hohl sind. Unter der „Haut“ zeichnet sich das Gerippe ab.

Ein anregendes Vexierspiel

Keine Frage: Roetzels Skulpturen beherrschen den Raum nicht nur, sie „stören“ ihn regelrecht, wie der Titel der just eröffneten Ausstellung ankündigt. Sie stören die Harmonie, das Wohlbefinden, das ästhetische Empfinden insgesamt. Ob man die Situation nach einer Naturkatastrophe oder einem Krieg verortet: Sie hat etwas Apokalyptisches. Dem setzt die 1941 geborene Bildhauerin eine Vielzahl breit lachender Gesichter entgegen. Bisweilen erinnern sie an den Frosch Kermit aus der Sesamstraße.

Gegenüber dem Pappmaché der Frauen und Vögel erscheinen die Gestalten aus drahtverstärktem Gips nicht minder fragil, jedoch weniger empfindlich. Störend auf den Raum - im positiven Sinne - wirken diese großen und kleinen Lachen aber schon. Allein optisch, denn der breit geöffnete Mund beherrscht das helle Gesicht und lässt dessen andere Partien regelrecht dahinter verschwinden. Doch auch das ist doppeldeutig: Stirn und Gehirn scheinen ver(f)lacht.

Beunruhigend und doch nicht bedrohlich strahlen die Insekten aus Totholz an den Wänden auf den Betrachter aus. Ob einzeln oder als krabbelnde Gruppe arrangiert, spielen die Geschöpfe Dorothea Gräbners mit der Wahrnehmung. Jene fordern sowohl die beiden Skulpturen im Seitenraum als auch die ineinander verdrehten Rahmen an den Wänden heraus. Deren Vorderseite zeigt zugleich die Rückseite und umgekehrt. Der Künstlerin gelingt ein anregendes Vexierspiel. Es habe sie immer gestört, erläutert Gräbner, „dass die Rückseite nicht zu sehen ist“. Daher habe sie diesen Teil „nach vorne geknickt“.

Von ihr stammen außerdem die beiden „Nomadenporträts“. Auf Glas in Fensterrahmen hält Gräbner zwei reale Menschen in Ölfarbe fest. Während Janine aus der Zirkusfamilie Krämer förmlich im Rahmen bleibt, tritt Alessandru C. deutlich sichtbar heraus. Gebundenheit und Ungebundenheit im Weiterziehen. Als „Abbild ihres Selbstbildes“ fasst die bildende Künstlerin die lebensgroße Figur „Verpackt (hockend)“. In dieser „Sitzhaltung, die verbirgt“ drücke sich vieles aus, was sie beunruhige, sagt Gräbner, etwa der aktuelle Krieg in Europa oder „die Wirtschaftsideologie, die den Anstrengungen zuwiderläuft, den Klimawandel aufzuhalten“. Gerade da Gräbners und Roetzels Werke optisch und vom gestalteten Material her kontrastieren, ergeben sie in der gemeinsamen Ausstellung eine Einheit auf höherer Ebene.

Öffnungszeiten

Bis einschließlich 6. August zeigt die Galerie Artlantis, Tannenwaldweg 6, die Ausstellung „Gestörte Räume“. Die Öffnungszeiten sind freitags von 15 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr.

Auch interessant

Kommentare