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Baubranche: Hohe Schäden durch Schwarzarbeit und Lohn-Dumping

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Fordert mehr Kontrollen: Gewerkschafter Peter-Martin Cox.
Fordert mehr Kontrollen: Gewerkschafter Peter-Martin Cox. © Marko Kubitz

Erst vergangene Woche hatten sie wieder zugeschlagen. Bei einer Großrazzia waren bundesweit Hunderte Polizisten und Zollbeamte im Einsatz, um das Treiben der Schwarzarbeiter-Mafia zu unterbinden. Der Zoll hat vor allem die Baubranche ins Visier genommen – es geht um viele Millionen Euro.

Eigentlich ist alles ganz einfach. Wer Arbeitskräfte beschäftigt, muss sie ordnungsgemäß anmelden und ihnen den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro pro Stunde bezahlen. So weit die Theorie. Aber immer wieder gibt es Unternehmen, die sich nicht an die Regeln halten – auch im Taunus. „Allein in der Baubranche haben wir im vergangenen Jahr 593 Verfahren eingeleitet“, berichtet Sprecher Michael Bender über die Kontrollen des Hauptzollamts Gießen, zu dem auch die Feldbergregion gehört. Betroffen waren 425 Firmen und rund 6400 Beschäftigte.

Der Zoll hat den Bausektor zu seinem Schwerpunktgebiet erklärt, und das aus gutem Grund. „Die Branche boomt, die Auftragsbücher sind picke-packe voll, es lässt sich gut Geld verdienen“, erklärt Bender. Entsprechend hoch sei die Zahl der Verstöße wie Schwarzarbeit und zu geringe Entlohnung sowie der angerichtete Schaden. Lag die Schadenshöhe bei den vom Gießener Zoll aufgedeckten Fällen im Bereich Bau 2016 noch bei rund neun Millionen Euro, so kamen im vergangenen Jahr schon beachtliche 38 Millionen Euro zusammen. Über alle Branchen hinweg waren es etwa 50 Millionen Euro.

Qualität statt Quantität

„Wir haben den Schwerpunkt der Kontrollen auf Großbaustellen gelegt, und die gibt es vor allem im Ballungsraum“, sagt Bender und nennt in diesem Zusammenhang auch den Taunus. Dabei gilt das Kontroll-Motto „mehr Qualität als Quantität“, schließlich handelt es sich bei großen Projekten meist um komplexere Fälle. Viele große Baufirmen beschäftigen Subunternehmer, und die sitzen oft sogar im Ausland. Der Zoll hat es hier mit „organisierten Formen“ zu tun, bei denen sich meist ganze Netzwerke gebildet haben. „Wir haben hier jede Menge zu tun“, bekräftigt Bender.

Dass keine Beiträge zur Sozialversicherung oder ein zu geringer Lohn gezahlt wird, ist aus Sicht der Handwerker aber nur eine Seite der Medaille. „Es gibt auch immer wieder Unternehmen, die Leistungen anbieten, obwohl sie nicht die dafür vorgeschriebene Qualifikation haben“, gibt Peter Sachs, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Main- und Hochtaunus, zu bedenken. Für viele Arbeiten bedarf es in Deutschland bekanntlich eines Meisterbriefes – das für die unterschiedlichen Gewerke zu überprüfen ist vor allem bei Aufträgen an Generalunternehmer oft schwierig.

Und auch die Frage, ob der Mindestlohn gezahlt wird, lässt sich schwer klären, wenn Aufträge an diverse Subunternehmen weitergereicht werden. Diese Betriebe kommen häufig nicht aus der Rhein-Main-Region und haben ihren Sitz mitunter sogar im Ausland, wo Arbeitskräfte in der Regel deutlich schlechter entlohnt werden. „Unsere Betriebe aber sitzen vor Ort und müssen die hier üblichen Löhne und Mieten zahlen“, betont Sachs.

Dass gerade die öffentliche Hand größere Aufträge an Generalunternehmer vergibt, hängt unter anderem mit der Pflicht zur Ausschreibung zusammen. Und dann muss letztlich auch an den günstigsten Anbieter vergeben werden. Laut Sachs könnten allerdings auch Kriterien wie Tariftreue und Reaktionszeit bei Reklamationen stärker berücksichtigt werden. „Aber dann wird es natürlich komplizierter“, sagt Sachs. Der Geschäftsführer der Handwerkschaft verweist zudem auf die Möglichkeit, Großaufträge in einzelne Lose aufzuteilen – wissend, dass damit eine wesentlich aufwendigere Koordinierung der Baustelle verbunden ist. Im Moment allerdings sind die Firmen auch so stark ausgelastet, auf manche Handwerker müssen Auftraggeber mehrere Monate warten.

Spitze des Eisbergs

Der Zoll beschäftigt sich zwar schwerpunktmäßig mit der Baubranche, doch auch im Bereich der Gastronomie gibt es eine hohe Zahl an Verstößen. Der aufgedeckte Schaden fällt dort ungleich geringer aus. Zoll-Sprecher Bender beziffert ihn mit zuletzt rund einer halben bis einer Million Euro pro Jahr. Die Zahl der Ermittlungsverfahren betrug im Bereich des Hauptzollamtes Gießen im vergangenen Jahr 295, im Jahr zuvor waren es 325 gewesen. Die Zahl der kontrollierten Gastro-Betriebe lag 2017 bei 217 – zu wenig, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) moniert. In einer Erklärung spricht die NGG Rhein-Main denn auch von einer „mangelnden Kontrolldichte beim Zoll“. Schließlich gebe es allein im Hochtaunuskreis 462 Hotels, Gaststätten und Restaurants. „Wir brauchen mehr Kontrollen, um betrügerischen Chefs das Handwerk zu legen“, fordert NGG-Regionalchef Peter-Martin Cox. Allerdings gab es zumindest im Vergleich zu 2016, als 158 Betriebe geprüft wurden, eine Zunahme der Kontrollen, wie Zoll-Sprecher Bender erklärt.

Die Gewerkschaft verweist in ihrer Erklärung in erster Linie auf Verstöße gegen das Mindestlohngesetz. Im Bereich des Zollamtes Gießen wurden im vergangenen Jahr 98 Ermittlungsverfahren gegen Betriebe eingeleitet, die ihren Beschäftigten zu wenig bezahlten, davon neun im Bereich des Gastro-Gewerbes. Die NGG sieht darin lediglich „die Spitze des Eisbergs“, die Dunkelziffer liege deutlich höher. Die Gewerkschaft bezieht sich dabei auf eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Daraus gehe hervor, dass im Jahr 2016 bundesweit 1,8 Millionen Beschäftigte weniger als den Mindestlohn erhielten. Eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung habe zudem ergeben, dass im Hotel- und Gaststättengewerbe der Anteil der zu niedrig bezahlten Arbeitnehmer seinerzeit bei 38 Prozent gelegen habe. „Das Mindestlohngesetz ist kein Papiertiger“, betont Cox. Es sichere Tausenden von Beschäftigten in der Region ein Existenzminimum.

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