Carsharing mit angezogener Handbremse

Ein Auto für alle? Nicht in der Region: Hier gibt es kaum Anbieter. In der Kurstadt ist auch die Nachfrage gering.
Hochtaunus -Abends an der Haltestelle: verabredet, die Zeit drängt, kein Bus in Sicht - aber ein Carsharing-Auto. Schnell die Mitgliedskarte dranhalten, einsteigen und losfahren. Komme der Bus, wann er wolle! Solche Leihwagen-Angebote sprießen in den größten deutschen Städten aus dem Boden. Insgesamt wurden 2022 in bundesweit 935 Städten und Gemeinden Carsharing-Fahrzeuge angeboten - 80 Kommunen mehr als im Vorjahr.
Und auch auf dem Land werden es mehr. Carsharing klingt vor allem für Gelegenheitsfahrer verlockend: Die nutzen ein Auto nur, wenn sie es brauchen - etwa in der Nacht, denn dann wird der Heimweg gerade auf dem Land nämlich ohne eigenen Wagen oft zur Odyssee. Nutzer müssen sich um nichts kümmern. Es fallen keine Steuern sowie Kosten für Versicherung, Werkstatt, TÜV, Winterreifen, Pflege und vieles mehr an. Anders als bei der klassischen Autovermietung kann man die Fahrzeuge schon ab einer halben Stunde buchen, rund um die Uhr, und es gibt keine Kilometerbeschränkung. Mit der App oder einer Kundenkarte kann der Wagen geöffnet werden, und der Schlüssel liegt im Handschuhfach. Es gibt zwei Arten des Carsharings: „Stationsbasierte“ Fahrzeuge und solche, die „stationsflexibel“ sind. Bei ersterer Variante gibt es feste Stellplätze. Dorthin müssen die Fahrzeuge auch nach der Nutzung wieder zurückgebracht werden. Bei den flexiblen Fahrzeugen steht das Auto dort, wo es der letzte Kunde abgestellt hat, und wird per App geortet (Free Floating).
Ein tragfähiges Konzept auch für den Taunus? „Wir haben das seit Jahren im Blick. Bisher ist es leider daran gescheitert, dass wir keinen Partner gefunden haben, der perfekt passt“, sagt Steffen Wernard (CDU). Etwas tue sich aber in Usingen, verrät der Bürgermeister: In Wilhelmsdorf gebe es Überlegungen direkt am Bahnhof, die langsam Gestalt annehmen würden. „Es gibt dort einen bestehenden Bebauungsplan. Der Investor hat das Gebiet aufgekauft und will eine Schwedenhaussiedlung bauen.“ Zusätzlich für die Siedlung geplant sind: Gewächshäuser, Hühner - und eben auch Carsharing. „Der Investor plant, zwei bis drei Elektroautos da hinzustellen“, sagt Wernard. Diese seien aber dann nur von den Bewohnern der Siedlung nutzbar. Das bringt für diese aber zumindest einige Vorteile mit sich: Eine Familie in der Siedlung würde sogar ganz ohne Auto auskommen, wenn ein Elternteil sich ein Auto ausleiht und der andere am Bahnhof einen Zug nimmt. „Noch sind wir in der Findungsphase“, fasst es Wernard zusammen. „Es ist wegen Corona etwas hinten runtergefallen, aber wir wollen in diesem Jahr Gespräche führen, um einen Anbieter zu finden, damit wir unsere Wohngebiete autarker gestalten.“
Die E-Autos stehen nur rum
Einen Schritt weiter ist da Bad Homburg: „Wir haben ein stationsbasiertes System“, sagt Stadtsprecher Marc Kolbe. Die Kurstadt hat sich für den Anbieter „book-n-drive“ entschieden. „Aber Tatsache ist, dass die Nachfrage eigentlich nicht vorhanden ist“, sagt Kolbe. So stehen zwar am Rathaus vier Elektrofahrzeuge und am Bahnhof ein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug, aber das Interesse hält sich in Grenzen.
Dabei ist Carsharing in Deutschland eigentlich so beliebt wie nie zuvor. Das verraten Zahlen des Branchenverbands BCS. Demnach waren zum 1. Januar 2022 in Deutschland insgesamt fast 3,4 Millionen Fahrberechtigte bei einem oder mehreren Carsharing-Anbietern registriert - 18 Prozent 2021. Die Zahl der Carsharing-Fahrzeuge wuchs im gleichen Zeitraum um 15,2 Prozent auf nun 30 200. Etwas mehr als 7000 davon waren Elektrofahrzeuge.
Dass auf dem Land oder in Kleinstädten die Nachfrage geringer ist, könnte auch damit zusammenhängen, dass dort mehr Leute ein eigenes Auto besitzen - anders als Bewohner von Großstädten, die aufgrund eines gut ausgebauten Nahverkehrssystems nicht auf einen eigenen Wagen angewiesen sind. Somit ist es wahrscheinlicher, dass Großstädter sich trotzdem einem Carsharing-Anbieter anschließen, um die Möglichkeit zu haben, sporadisch ein Auto zu nutzen.
Um die Klimaschutzziele im Verkehr zu erreichen, muss aus Sicht des Branchenverbands in den nächsten Jahren die Nutzung von Fahrrad, Bus und Bahn weiter zunehmen - ergänzend dazu könnten Carsharing-Autos helfen, zum Beispiel größere Einkäufe oder Ausflüge am Wochenende zu erledigen. Der BCS fordert daher Bund, Länder und Kommunen dazu auf, Carsharing zu fördern. So müsste der Bund eine besser nutzbare Ladeinfrastruktur schaffen; zudem forderte der Verband die Kommunen auf, mehr Carsharing-Stellplätze im öffentlichen Raum schneller zu schaffen.
In Oberursel gibt es bereits mehrere Wagen von „cityFlitzer“. Das ist das stationsflexible Angebot von „book-n-drive“, so Stadtsprecherin Nina Kuhn. Unter anderem am Rathaus und am Bahnhof sind die Fahrzeuge zu finden. Die genauen Standorte werden in der App angezeigt. Nach der Fahrt können sie überall innerhalb der „cityFlitzer“-Gebiete geparkt werden, wo mindestens 72 Stunden lang kostenlose Parkplätze zur Verfügung stehen, unabhängig davon, wo die Fahrzeuge (etwa Seat Leon, Opel Astra, Audi A4) entliehen wurden.
Der Preis für eine Fahrt setzt sich aus Zeitpreis und Kilometerpreis, die je nach gewähltem Tarif variieren, zusammen. Jeder gefahrene Kilometer wird mit einer festen Kilometerpauschale berechnet (0,30 Euro pro Kilometer im Basic-Tarif), eine Kilometerbeschränkung gibt es nicht. In der Kilometerpauschale ist bereits der Kraftstoff enthalten. Pro Stunde zahlt der Nutzer im Basic-Modell 2,40 Euro. Bei „book-n-drive“ wird zwischen Stunden- und Tagespreisen unterschieden. Ein Beispiel: Vom Bahnhof in Oberursel zum Parkhaus in der Hauptwache sind es 25 Kilometer. Der Gesamtpreis (Zeit- plus Kilometerpreis) im Basic-Tarif bei einer Stunde Fahrtzeit beträgt 11,90 Euro. Wer das Auto beispielsweise vier Stunden ausgeliehen hat, aber nur 20 Kilometer gefahren ist, zahlt 17,60 Euro. Wer den „cityFlitzer“ den ganzen Tag nutzen möchte und insgesamt 50 Kilometer fährt, muss mit 53 Euro kalkulieren. Ein stolzer Preis - und vielleicht auch ein Grund, warum Carsharing in der Region nicht so beliebt ist. Und für Berufspendler ist es ohnehin keine Alternative, da über die Nutzungsdauer abgerechnet wird.