Direkt dran am Triebwerk

Ausbildungsbotschafter werben in Abschlussklassen für Alternative zum Studium
Hochtaunus -Was kostet ein Triebwerk für einen Airbus A 380? 10 000 Euro? 200 000 Euro? 500 000 Euro? Alles Raten half da nichts, die 10F der Bad Homburger Humboldtschule wusste es einfach nicht, und auch Nadine Stauch von der Kreishandwerkerschaft war regelrecht baff, als sie von Carlotta Geier den richtigen Preis erfuhr: 25 Millionen Euro! Für eines, und der Riesenvogel hat davon vier, zwei rechts, zwei links . . .
Carlotta muss es wissen. Als angehende Industriemechanikerin im ersten Lehrjahr beim Flugzeugtriebwerkbauer Rolls-Royce in Oberursel hat sie mit extrem teuren Werkstücken zu tun, was ihr durchaus bewusst ist. Carlotta Geier ist aber auch eine von rund 120 Auszubildenden aus 50 im Hoch- und Main-Taunus-Kreis ausgeübten Berufen.
Sie ist damit Teil des von der Kreishandwerkerschaft in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer angebotenen und von Nadine Stauch organisierten Programms „Ausbildungsbotschafter“. Die Idee dahinter ist, dass Auszubildende in die Schulen gehen und dort den 8. bis 10. Klassen erzählen, warum es so toll ist, morgens um 3 Uhr in der Backstube zu stehen, Dächer zu decken, anderer Leute Haare zu schneiden, Möbel zu bauen oder, wie Carlotta, Teil eines Teams zu sein, das Flugzeuge fliegen lässt.
Diese jungen Leute brennen für ihren Beruf
Kim Lepper hat riesigen Spaß daran, beim BMW- und Mini-Händler B&K in Bad Homburg Autos zu lackieren, während Tim Goldmann und Natalie Weber, die bei der Alten Leipziger Versicherung als angehende Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung mit höchst sensiblen Daten umgehen. Man hätte fast die Feuerwehr rufen können, so lichterloh standen die vier für ihre Berufe werbenden jungen Leute in Flammen.
Das Programm „Azubi-Botschafter“, für das die teilnehmenden und von ihren Betrieben dazu auch gerne freigestellten Berufsstarter speziell geschult werden, hat einige Ziele. Zuvorderst geht es darum, jungen Leuten, die noch nicht wissen, „was sie einmal werden wollen“, zwar nicht vom Studieren abzuraten, ihnen aber zu vermitteln, dass es weder zwingend das Abitur noch ein Studium sein muss.
Immer öfter werden Studiengänge, weil vielleicht falsch gewählt, abgebrochen, was dann häufig in die Orientierungslosigkeit und Zeitverlust führt. Oder anders ausgedrückt: Arzt, Lehrer, Apotheker, Physiker & Co. kommen um die Uni natürlich nicht herum. Handwerker, Dienstleister, Kaufleute und IT-ler hingegen schmieden ihr berufliches Glück aber immer noch auf dem sprichwörtlich „goldenen Boden“, haben wegen des fortschreitenden Fachkräftemangels beste Aufstiegschancen, auch für eine spätere Selbstständigkeit, und kommen schon zu Geld, wenn Studierende ohne Jobgarantie noch als Aushilfskellner unterwegs sind.
Staunen mussten die 10F, Klassenlehrerin Ulrike Hadlok und auch Nadine Stauch, als Kim, die ihre Ausbildung zur Kfz-Lackiererin nach auf zweieinhalb Jahre verkürzter Lehrzeit gerade beendet hat und direkt übernommen wurde, erzählte, dass sie mit „zwo-acht“ netto nach Hause geht. Auch die Azubis Carlotta, Tim und Nadine wollen sich über ihre Ausbildungsvergütung nicht beschweren, denn alle drei behalten monatlich mindestens 900 Euro übrig.
Über Geld wurde in Raum 209 der Humboldschule an dem Morgen zwar gesprochen, es war aber nicht alles. Was alle vier Azubis unabhängig von ihrer Profession verbindet, ist der Spaß, den sie an der Arbeit haben, sind sehr flexible Arbeitszeiten, tolle Fortbildungsmöglichkeiten in allen drei vorgestellten Unternehmen, Teamgeist, aber auch die große Verantwortung, die sie selbst zu Beginn ihrer Lehrzeit spüren.
Bei Carlottas Arbeit hängen von der Präzision, mit der bei Rolls-Royce Triebwerke gebaut werden, im Ernstfall Menschenleben ab, bei Tim und Natalie geht es um den Umgang mit den höchst sensiblen Daten der Versicherten.
Und auch Kim trägt als Kfz-Lackiererin mit Hang zur Kreativität Verantwortung für oft sehr teure Kundenfahrzeuge. Natürlich bekommt sie auch viele Anfragen aus dem Freundeskreis: „Kim, ich hab’ Papas Benz gedotzt, kannst du dir das mal anschauen? So verkehrt sind solche Fragen gar nicht, denn für Neukunden, die sie ganz offiziell in die Firma bringt, gibt’s satte Prämien . . .
„Kontakt zur richtigen Arbeitswelt baut Unsicherheiten ab und motiviert“
Wenn der Vater morgens weit vor dem ersten Hahnenschrei das Haus verlässt, um rechtzeitig in der Backstube zu sein, heißt das nicht unbedingt, dass der Junior auch Bäcker werden will. Wird ihm aber von einem Kumpel ähnlichen Alters bedeutet, dass Bäcker ein total cooler Job ist, man müsse zwar früh raus, sei nachmittags aber auch früher im Schwimmbad, dann hilft das vielleicht bei der Berufswahl.
Das funktioniert seit einiger Zeit in vielen Branchen, egal ob im Kfz-Mechatroniker-, Friseur-, Schreiner- oder Dachdeckergewerbe. Nur wer weiß, wie’s geht, kann auch erzählen, wie’s geht, und dafür werben. „Berufsorientierung auf Augenhöhe“ nennen das die Industrie- und Handelskammer Frankfurt und die Kreishandwerkerschaft Hochtaunus, und einen chicen Titel gibt es auch schon: „Ausbildungsbotschafter“. Auch in den Schulen des Hochtaunuskreises sind sie unterwegs. Dr. Brigitte Scheuerle, IHK-Geschäftsführerin Aus- und Fortbildung, schwärmt: „Wir machen das seit Längerem, auch in Frankfurt; das Ganze ist ein toller Erfolg: Die Auszubildenden, die von uns vorher geschult und auf ihren Einsatz in den Schulen vorbereitet werden, geben einen authentischen Einblick in ihren Beruf und unterstützen somit andere Jugendliche bei ihrer Entscheidung, welchen Weg sie für die Zukunft einschlagen können.“ Die Ausbildungsbotschafter berichteten von ihren eigenen Erfahrungen, über die Ausbildung, die Bewerbung, das Vorstellungsgespräch und die ersten Tage im Betrieb, so Scheuerle. Dadurch seien sie den Schülerinnen und Schülern nah und zugleich einen großen Schritt voraus. Umgekehrt profitierten aber auch die Ausbildungsbotschafter, indem sie ihr Selbstbewusstsein steigerten: „Vor so einer ganzen Klasse reden, muss man auch erst einmal lernen“, sagt Scheuerle.
Der Kontakt zum wirklichen Arbeitsleben baue Unsicherheiten ab, schaffe Motivation und Lernbereitschaft. Azubis engagierten sich so ehrenamtlich und zeigten Wege zum beruflichen Erfolg.