Gefährlich laut

Oberreifenberg . »Nach zweieinhalb Jahren Bühnenabstinenz: Are you ready for rock?«, rief Frontsänger Reinhold Herr ins Publikum. Sein Sohn Sebastian Herr am Schlagzeug zählte ein, und schon rockte »Good Stuff« mit den Gitarristen Lars Löw und Timo Reiser und Bassist Michael Schweitzer auch schon los und brachte die Jahrtausendhalle zum ersten Mal zum Beben.
Nach der heimischen Coverband ließen es beim neunten Reifenberger Rock-Festival zwei weitere Bands mit eigenen Songs richtig krachen. Den Fans gefiel es, aber die Organisatoren hätten sich ein paar Besucher mehr gewünscht.
Dass das Herz von Reinhold Herr, dem Vorsitzenden des Männergesangvereins (MGV) 1871 Oberreifenberg, auch für Rockmusik schlägt, ist hinlänglich bekannt. Seit 2010 gehören Rockveranstaltungen zum festen Programm des MGV. Im Jubiläumsjahr des 150-jähriges Bestehens (mit einem Jahr Verspätung) feiert die Haus- und Hofband des Vereins immerhin auch ihr »Zehnjähriges« nach. Da durfte das Reifenberger Rockfestival natürlich nicht fehlen. Auch nicht die Jungs von »Good Stuff«, die seit 2011 jedes Jahr als erste auf der Bühne stehen und das Publikum anheizen.
Hexenmeister an der Lead-Gitarre
Mit der Heavy-Metal-Nummer »Breaking the law« von Judas Priest war das kein Problem. Der Titel machte einmal mehr deutlich, was passiert, wenn brave Chorsänger ihrer Leidenschaft nachgehen. Tenor Reinhold Herr reizte seine Stimme bis zum Letzten aus. Jungspund Löw bewies sich als wahrer Hexenmeister an der Lead-Gitarre und ließ bei sensationellen Soli die Saiten kreischen. Reiser wuchs an der Gitarre ebenfalls über sich hinaus, spielte nicht nur die Begleitakkorde, sondern auch kleine Soli. Als ruhender Pol trieb Schweitzer am dröhnenden Bass zusammen mit den harten Beats von Schlagzeuger Sebastian Herr den Groove gnadenlos voran.
Aber die fünf Jungs konnten auch anders, luden mit vergleichsweise leisen Tönen des Rockklassikers »Californication« von den Red Hot Chili Peppers zum Träumen ein. Mitreißender als das Original war das, was »Good Stuff« aus »Sultans of Swing« gemacht hat. Nach der ersten Zugabe, Reinhold Herrs Renommierstück »Rebel Yell«, wo es heißt »In the midnight hour she cried more, more, more, more«, setzten die Jungs noch einen drauf mit einem Titel von Ozzy Osbourne, dem »Mastermind of Darkness«.
Nach den Lokalmatadoren hatte es »Reason for Jack« aus Köln zunächst etwas schwer, das Publikum noch weiter anzutreiben. Als sie mit ihrem knallharten ehrlich-kantigen vor allem lauten »Badass Rock’n’Roll« loslegten, zückten die ersten Besucher ihre Ohrstöpsel, um sich dann von der unerbittlichen Rock’n’Roll-Maschine, die auch dank ihrer Show auf der Bühne so richtig zur Hochform auflief, mitnehmen zu lassen.
Stimmung, aber auch Zurückhaltung
Aber es sollte noch besser kommen mit »Stagewar« aus Neu-Anspach und ihrem für sie typischen Trash’n’Roll. Die vier Hardrocker haben in ihrer 18-jährigen Laufbahn europaweit über 200 Konzerte gespielt und mit »Danger to Ourselves« Ende des Jahres ihr neuestes Album herausgebracht.
Gefährlich laut war es für manche Ohren. Doch wer genau hinhörte, spürte nicht nur die Energie, die von ihrem superschnellen hammerharten Rock ausging. Musikalisch ausgereifte Strukturen ließen sich ausmachen. Dazu kam das, was die Bühnenshow von »Stagewar« ausmacht. Sie gibt den harten Beats und Riffs von Gitarrist Kimon, Josef (Drums), Dominik (Gesang) und James (Bass) den zusätzlichen Kick. Wenn Kimon und Dominik ihre Haarmähnen wehen und im Takt zur Musik um die Köpfe kreisen ließen, gab es auch einige Besucher, die ihnen nacheiferten.
Abgesehen von der Besucherzahl zeigte sich Reinhold Herr dennoch zufrieden mit dem Rockfestival. »Wichtig ist, dass die Stimmung trotzdem gut war«, meinte er und hofft auf bessere Zeiten. Es war das erste seit der Pandemie, sodass Herr mutmaßte: »Da war vielleicht doch noch eine gewisse Zurückhaltung.«