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Harte Drogen auf dem Schulhof

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Sozialarbeiterin Janine Müller im Gespräch mit Felix. Die Beratung ist nicht nur auf Drogen beschränkt.
Sozialarbeiterin Janine Müller im Gespräch mit Felix. Die Beratung ist nicht nur auf Drogen beschränkt. © SIMONE DITTMAR

Grund zur Sorge: Beratungsstelle stellt ihren Jahresbericht vor. Der Konsum von Beruhigungsmitteln ist deutlich gestiegen.

Hochtaunus -Es war ein Freitagnachmittag im Februar vor zwei Jahren, als sein Hausarzt den Krankenwagen rief. „An diesen Tag erinnere ich mich noch ganz genau. Die Sonne schien, aber ich war physisch und psychisch kaputt“, berichtet Felix (Name von der Redaktion geändert). Zu diesem Zeitpunkt konsumierte der 23-Jährige seit acht Jahren Alkohol und Drogen. Es war ein schleichender Prozess in die Abhängigkeit: „Mit 15 Jahren begann ich damit, regelmäßig Alkohol zu trinken und Zigaretten zu rauchen. Ungefähr zwei Jahre später kamen Cannabis und chemische Drogen, wie Ecstasy, hinzu.“

In seiner Hochphase rauchte Felix 10 bis 20 Joints am Tag, meist in Kombination mit Alkohol, mit dem Ziel, schlechte Gedanken zu vertreiben. Dann kam der Februar 2021 - und ein einschneidendes Erlebnis.

„Ich hatte mal wieder etwas konsumiert, als ich mir plötzlich einbildete, dass die Wände auf mich zukommen. Und da fasste ich den Entschluss: Es geht nichts mehr rein. Ich bin müde. Fertig.“ Er suchte seinen Hausarzt auf, der die Dringlichkeit erkannte und sofort handelte, indem er einen Krankenwagen rief. Es folgten zwei Monate der Entgiftung, eine Langzeit- und eine Nachtherapie. Mittlerweile ist Felix clean und lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft. Zwölf Plätze für Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung umfasst diese WG in Bad Homburg, die vom Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe Hochtaunuskreis (ZJS HTK) betrieben wird.

Alkohol vor Cannabis

Felix ist einer von insgesamt 39 Klienten, die 2022 das Angebot des betreuten Wohnens wahrnahmen, dies verrät der neue Jahresbericht des ZJS HTK. Von den 39 der dort abstinent lebenden Frauen und Männern konsumierten 20 vor ihrer Entgiftung Alkohol, gefolgt von Cannabis und Opiaten. Cannabis gehört zu den Hanfgewächsen; bei Opiaten handelt es sich um schmerzhemmende Arzneimittel. Eine Tendenz, die sich auch mit Blick auf die Hauptsubstanzen im Jahr 2022 beobachten lässt: „Mit 258 Klienten suchten uns mehr als noch im Vorjahr wegen einer Alkoholproblematik auf“, resümiert Sebastian Messer, Leiter des ZJS HTK.

Cannabis als Suchtmittel, das 2021 bei den so genannten Hauptproblem-Bereichen noch vor Alkohol rangierte, verzeichnete 2022 einen leichten Rückgang von 220 (2021) auf 201 (2022). Mit Blick auf die Gesamtzahl der Klienten ist zu sagen, dass es 2022 im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Steigerung von 799 auf 824 gab. Auch die Anzahl der Mehrfachkontakte steigt weiterhin. Diese längerfristigen Kontakte seien ein maßgeblicher Indikator, da sie oft die Voraussetzung für die Einleitung der von der Klientel gewünschten Veränderung der Lebenssituation sind, so Messer.

Mit Blick auf die Altersgruppen fällt auf, dass die Klientel im Vergleich zum Vorjahr älter geworden ist. „Die Gruppe der 45- bis 54-Jährigen ist am stärksten vertreten, dicht gefolgt von den 35- bis 44-Jährigen“, verrät Messer. Platz drei in der Statistik belegen die 55- bis 64-Jährigen. Es sind übrigens mehr Männer als Frauen, die Rat bei der Suchthilfe suchen: 2022 waren es 66,7 Prozent, die die Räumlichkeiten des ZJS HTK in der Louisenstraße 9 aufsuchten.

80,4 Prozent der Klienten nahmen die Beratung wegen einer eigenen Problematik in Anspruch. Personen mit einer Problematik im sozialen Umfeld, wie zum Beispiel Angehörige von Konsumenten, machten 19,6 Prozent aus. An sie richtet sich ein weiteres Angebot des ZJS HTK: An jedem letzten Mittwoch im Monat leitet Linda Uhl von der Fachstelle Suchtprävention die Angehörigenberatung. An der Online-Veranstaltung, die von 18 Uhr an stattfindet, können Angehörige auch anonym teilnehmen.

Mit Sorge beobachtet Messer den Anstieg bei den Benzodiazepinen (Beruhigungs- und Schlafmittel). Mit sieben Klienten, die sich im Jahr 2022 hilfesuchend an das ZJS HTK wandten, ist die Zahl auf den ersten Blick zwar verhältnismäßig gering, hat sich aber im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. „Benzodiazepine sind eine sehr gefährliche Droge, die physisch und psychisch schnell abhängig macht. Setzt man den Wirkstoff ab, kann das einen Krampfanfall auslösen, der im schlimmsten Fall zum Tod führen kann“, warnt Messer und ergänzt: „Die Konsumenten sind überwiegend männlich und werden immer jünger!“

Neben der Suchthilfe ist die Jugendberatung das zweite Standbein des ZJS HTK. Hierzu zählen etwa die Mobilen Beratungen in Bad Homburg und Oberursel.

Hauptschwerpunkt der Mobilen Beratung Oberursel sei beispielsweise eine niedrigschwellige Jugend- und Suchtberatung, welche in einem Beratungsraum der Portstrasse „Jugend&Kultur“, einem städtischen Jugendzentrum, stattfindet, so Messer. 49 Klienten wurden dort 2022 verzeichnet. In den Beratungen werden nicht nur Drogen thematisiert, sondern zum Beispiel auch Homosexualität und das damit verbundene Outing.

Doch zurück zu Felix: Der mittlerweile 25-Jährige fühlt sich im Betreuten Wohnen äußerst wohl. Einmal pro Woche trifft er sich noch mit Sozialarbeiterin Janine Müller. Hierbei handelt es sich um eine langfristige Begleitung hin zu einem suchtfreien Alltag mit einem neuen Job und einer eigenen Wohnung. Der Weg dorthin ist steinig, aber Felix hat große Träume: Er möchte an einer Abendschule sein Fachabitur machen, um später Elektrotechnik oder Architektur zu studieren. Der 25-Jährige beobachtet eine zunehmende Enttabuisierung des Drogenkonsums: „Früher sind wir zum Rauchen in der Pause noch um die Ecke gegangen. Heute werden auch schon harte Drogen auf dem Schulhof konsumiert.“

Eine Aufklärung in der Schule, das hätte sich Felix seinerzeit gewünscht: „Dass uns jemand die Auswirkungen der Drogen auf das Gehirn und den gesamten Körper aufzeigt, das wäre gut gewesen.“ Dabei denkt der 25-Jährige vor allem an andere Kinder und Jugendliche. In der Hoffnung, dass ihnen das Martyrium erspart bleibt, was er durchmachen musste.

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