Hessen Forst wagt Alleingang

Ausschreibung für Windpark Winterstein jetzt ohne Kommunen geplant
Hochtaunus -Wie bereits berichtet, haben bis auf Wehrheim die Anrainerkommunen des Wintersteingebiets inzwischen beschlossen, gemeinsam einen Windpark zu errichten. Auch Hessen Forst und Bundesforst besitzen dort Areale und hatten bisher stets betont, gemeinsam mit den Kommunen das Projekt zu planen. Ebenfalls ist das Bürger-Bündnis Windpark Winterstein involviert. Nun schert Hessen Forst aus und hat angekündigt, selbst ausschreiben zu wollen, was eine Umgehung der Bürgerbeteiligung nach sich ziehen könnte, wie das Bündnis Windpark Winterstein befürchtet und sich in langem E-Mail-Verkehr mit Hessen Forst auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) beruft, um doch noch ein gemeinsames Projekt hinzubekommen.
Laut des BVG-Urteils können Betreiber von Windkraftanlagen verpflichtet werden, Bürger und Gemeinden in der Nachbarschaft finanziell an den Projekten zu beteiligen. Auf Bundesebene können Windrad-Betreiber die betroffenen Kommunen zwar auf freiwilliger Basis finanziell beteiligen, die einzelnen Bundesländer dürfen aber weitergehende Regelungen erlassen.
Dieser Entscheidung vorausgegangen war eine Verfassungsbeschwerde eines Betreibers aus Mecklenburg-Vorpommern, die damit erfolglos blieb. Nach dem Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz von Mecklenburg-Vorpommern sind Betreiber von Windkraftanlagen verpflichtet, eine Gesellschaft zu gründen und 20 Prozent der Anteile den Anwohnern und Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern anzubieten. Dabei darf ein Anteil maximal 500 Euro kosten. Alternativ zu den Gesellschaftsanteilen können die Projektbetreiber auch eine jährliche Ausgleichsabgabe anbieten. Das Bundesland war das erste, das 2016 ein entsprechendes Modell einführte, um die Akzeptanz von Windenergieprojekten zu erhöhen.
Das Urteil hat auch Wirkung auf die anderen Bundesländer. Daher hat diese Zeitung bei den Landtagsabgeordneten des Hochtaunus-Wahlkreises nachgefragt, welche Pläne die jeweiligen Fraktionen haben, vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVG in Bezug auf die Bürgerbeteiligung an Windparks, die Interessen der Kommunen und Bürger sicherzustellen.
Was sagen unsere Abgeordneten?
Holger Bellino (MdL und parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion) betont, dass die Fraktion vor dem Hintergrund der BVG-Entscheidung berate, ob eine solche Verpflichtung ein möglicher Weg für Hessen wäre, um den Windkraftausbau zu beschleunigen. "Ziel einer finanziellen Beteiligung ist es unter anderem, die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung gegenüber Windkraftanlagen zu erhöhen. Gleichzeitig stellt es aber auch einen ordnungspolitischen Eingriff dar, der Betreiber von der Errichtung eines Windparks abschrecken könnte", so Bellino und verweist auf die Gewerbesteuereinnahmen durch Windkraftanlagen, von denen die Kommunen bereits profitierten.
Einheitlich im ganzen Land
Zugleich sieht er die Gefahr der Ungleichbehandlung, denn es hätten in der Vergangenheit andere Gemeinden nicht von einer finanziellen Beteiligung über die Gewerbesteuereinnahmen hinaus profitiert, obwohl sie einen wichtigen Beitrag zur Energieerzeugung leisteten. "Des Weiteren hat der Bundesverband Windenergie im Nachgang zu dem Urteil noch einmal darauf hingewiesen, dass es eine bundeseinheitliche Regelung zur Beteiligung gibt. Diese sieht vor, dass Windradbetreiber seit 2021 die betroffenen Kommunen auf freiwilliger Basis beteiligen können. Der Bundesverband warne daher davor, dass parallel erlassenes Landesrecht den notwendigen zügigen Ausbau der Windenergie blockieren könnte. Diese Sorge teilen wir." Im Rahmen der Novellierung des hessischen Energiezukunftsgesetzes, das Ende des Jahres ausläuft, werde die CDU die Argumente nochmals ausführlich diskutieren, betont Bellino.
Miriam Dahlke (MdL, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin der Grünen-Fraktion) erklärt, dass zwar alle Eigentümer - Bundesforst, Hessen Forst sowie die drei betroffenen Gemeinden (außer Wehrheim) - in einem "Letter of Intent" (Absichtserklärung) erklärt haben, die Fläche gemeinschaftlich zu entwickeln, um die Energiewende bestmöglich voranzutreiben. Rechtlich gesehen könnten die unterschiedlichen Eigentümer jedoch nicht gemeinschaftlich ausschreiben, da jeweils unterschiedliche Regelungen und Verfahren gelten. "Hessen Forst berücksichtigt allerdings in dem eigenen Auswahlverfahren zu eingehenden Bewerbungen Aspekte, welche die kommunale und regionale Wertschöpfung begünstigen. Zudem sind auch Möglichkeiten zur finanziellen Beteiligung der Bürger im Umfeld des Standortes gewünscht. Diese Kriterien gehen mit bis zu 30 Prozent in die Bewertung mit ein. Die Landesenergieagentur (LEA) steht für eine Moderation des Prozesses zur Verfügung. Das Angebot wurde bisher allerdings noch nicht in Anspruch genommen." Außerdem betont sie, das Thema müsse auch auf Bundesebene angegangen werden.
Stefan Naas (MdL der FDP und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Verkehr und Energie im Hessischen Landtag) antwortet: "In Hessen müssen Windkraftbetreiber weder Bürger noch Kommunen an ihren Projekten beteiligen. Angesichts der Tatsache, dass im ersten Quartal 2022 landesweit nur ein einziges Windrad ans Netz ging, wäre eine solche Pflicht auch nicht zielführend. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern verfügt Hessen über große Waldflächen. Hier sind Konflikte mit dem Natur- und Landschaftsschutz vorprogrammiert. "
FDP setzt auf Wasserstoff
Wenn auch nach acht Jahren grüner Energie- und Umweltminister nur ein Windrad ans Netz gehen könne, dann scheine es objektive Gründe zu geben, die dem weiteren Ausbau der Windkraft in Hessen entgegenstehen. Naas: "Wir setzen stattdessen auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Damit ist Klimaneutralität im Bereich der Industrie genauso denkbar, wie im Verkehrs- oder Wärmesektor."
Elke Barth (MdL der SPD und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnungsbau sowie im Petitionsausschuss) bezieht sich zunächst auf die Wehrheimer Politik: "Mit Unverständnis habe ich beobachtet, dass sich in Wehrheim CDU und FDP nicht durchringen können, sich am Windpark Winterstein zu beteiligen. Schließlich steht ja inzwischen fest, dass es den Windpark geben wird, und da ist es doch dumm, dass man hier auf eine lukrative Beteiligung verzichtet hat. Inzwischen sollte zudem auch der Letzte eingesehen haben, dass jedes Windrad, wie ich immer sage ,schöner ist als Putins Gas'. Daher ist es absolut nicht nachvollziehbar, dass die Gemeinde Wehrheim hier freiwillig auf eine Beteiligung verzichtet hat."
Barth begrüßte außerordentlich, dass die Entscheidung in Mecklenburg-Vorpommern den Weg dafür ebne, dass Windkraftbetreiber Bürger und Gemeinden stärker als bisher beteiligen müssen Die SPD fordere seit Jahren eine bevorzugte Vergabe an lokale Unternehmungen wie Bürgerenergiegenossenschaften.
Sowohl Weilrod als auch Grävenwiesbach haben auf ihrer Gemarkung Windräder errichtet - und profitieren davon. Nicht nur, dass ausreichend Strom für jeden einzelnen Haushalt der Kommune produziert wird, finanziell lohnt es sich auch.
Beispiel Weilrod: Hier stehen sechs Windkraftanlagen auf kommunaler Fläche, eine auf einem Gebiet von Hessen Forst. Vier weitere kommunale Windkraftanlagen sollen folgen.
Die bisherigen Einnahmen für sechs Windräder liegen bei 204 000 Euro plus Gewerbesteuer und Einspeisevergütung. Insgesamt kommt Weilrod damit auf 240 000 Euro jedes Jahr. Der Windpark hat eine Gesamtleistung von 16,8 Megawatt , die Anlagen produzieren pro Jahr etwa 50 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr - so viel Strom verbrauchen 48 000 Menschen pro Jahr in ihren Häusern.
Beispiel Grävenwiesbach: Hier stehen sechs Windkraftanlagen auf kommunaler Fläche, weitere vier Windkraftanlagen sollen folgen, entsprechende Gutachten dafür werden gerade erstellt. Grävenwiesbach nimmt pro Jahr 47 000 Euro pro Anlage ein. Bürgermeister Roland Seel (CDU) gibt den Hinweis, dass aktuelle Kalkulationen für die Errichtung neuer Anlagen bei einem Wert von 250 000 Euro pro Rad pro Jahr liegen.
Die zusätzlichen Einnahmen würden sich dann auf etwa eine Million Euro belaufen. Zudem werde geprüft, in wie weit sich Photovoltaik realisieren lasse. Ein entsprechendes Areal am Ortsrand Richtung Weilburg würde sich dafür gut eignen. sai



