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Hochschulrektor: „Luther war kein Antisemit“

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?Alle Luther-Jubiläen waren vom Zeitgeist beeinflusst?, sagt Professor Dr. Werner Klän.
?Alle Luther-Jubiläen waren vom Zeitgeist beeinflusst?, sagt Professor Dr. Werner Klän. © Pieren

In diesem Jahr „luthert“ es überall. Außer Gedenkveranstaltungen und Vorträgen macht modernes Merchandising auch vor dem Reformator Martin Luther nicht Halt.

In diesem Jahr „luthert“ es überall. Außer Gedenkveranstaltungen und Vorträgen macht modernes Merchandising auch vor dem Reformator Martin Luther nicht Halt. Es gibt das Luther-Konterfei auf Socken, Frisbee-Scheiben, Einkaufswagen-Chips, Bierdeckeln und auch Butterbrotdosen mit der Luther-Rose sowie andere Fan-Artikel. Wie sehen Sie diese Begleiterscheinungen?

WERNER KLÄN: Alle Luther-Jubiläen seit 1617 waren vom jeweiligen Zeitgeist beeinflusst. 1717 wurde Luther als Wegbereiter der Vernunft gesehen. 1883 wurde sein 400. Geburtstag in Deutschland unter dem Fokus „Der nationale Luther“ begangen. Während des Ersten Weltkrieges gedachte man 1917 des „heldenhaften Luthers“. Das Anliegen unserer Hochschule war schon immer die kritische Aneignung des Erbes von Martin Luther. Ich war bereits in den letzten Jahren gespannt, welchen Luther wir 2017 feiern werden.

Und welchen Luther feiern Sie in diesem Jahr?

KLÄN: Zum Glück rückt in diesem Jubiläumsjahr neben allem Festspiel-Charakter vor allem die Bibel als Quelle des eigentlichen Wortes Gottes in den Fokus. Luther war als Professor in der neuen Universität Wittenberg vor allem für die Auslegung der Bibel zuständig. Er hat vor allem Vorlesungen über das Alte Testament gehalten. Selber hat er sich als „Geschworenen Doktor der Heiligen Schrift“ gesehen.

Was heißt das theologisch?

KLÄN: Seine Lesart der Bibel war eine christliche. Er war überzeugt davon, dass das Alte Testament nur im Licht des Neuen Testaments gelesen werden kann. Darin liegt der Grundkonflikt im Verhältnis zu den Juden.

Für Normalbürger ist das schwere Kost. Können Sie das bitte für Laien übersetzen?

KLÄN: Luther hat in seinen Studien und Vorlesungen versucht, eine Antwort auf die Frage „Wer ist Jesus?“ zu finden. War Jesus nur ein frommer Rabbi oder war er der Erlöser aller Menschen, auch der Juden?

Was ist die Antwort darauf?

KLÄN: Ein jüdisch-christliches Gespräch kann nur gelingen, wenn die Frage „Wer ist Jesus?“ behandelt wird. Jüdische Gesprächspartner fordern von christlichen Partnern immer auch, dass sie ihre christliche Sicht nicht verleugnen.

Das Thema „Luther und die Juden“ klingt interessant. Im Lutherjahr wird also nicht nur die Reformation gefeiert. Luther hatte ja auch Ansichten geäußert, die heute kritisch bewertet werden. Doch ist das nicht wieder hohe Theorie im Elfenbeinturm der Wissenschaft?

KLÄN: Um das zu vermeiden, hat unsere Hochschule nicht nur renommierte Fachleute aus ganz Deutschland zum Studientag als Referenten eingeladen. Neben unseren 25 Studierenden sind auch viele Interessierte aus der Region angemeldet, etwa 70 bis 80 Teilnehmer.

„Luther und die Juden“ – ein heikles Thema. Hat denn Luther durch die Bedeutung seiner reformatorischen Lehre nicht immer recht?

KLÄN: Luther ist gewiss ein wichtiger Lehrer der Kirche. Aber es ist gut und notwendig, dass in diesem Jahr auch die von Luther empfohlene Verbrennung von jüdischen Büchern nicht verschwiegen wird. Dazu muss man zwischen dem „frühen Luther“ wie auch dem „späten Luther“ unterscheiden. Der „frühe Luther“ empfiehlt bis ins Jahr 1523 einen Dialog auf Augenhöhe mit den Juden. Der „späte Luther“ vergisst das. Sein Antijudaismus darf aber nicht als völkisch, rassistischer Antisemitismus missverstanden werden.

Sondern?

KLÄN: Luthers Antijudaismus hinterfragt und kritisiert die religiösen Überzeugungen der Juden. Luther hoffte in jungen Jahren, dass die Juden irgendwann entdecken, dass Jesus auch ihr Heiland und Retter ist. In dieser optimistischen Haltung wurde Luther aber je länger, je mehr enttäuscht. Mit den Jahren merkte er, dass die Wiederentdeckung des Evangeliums die Juden nicht für Jesus gewinnen konnte.

Wieso das?

KLÄN: Das Evangelium, wie es Luther verstand, befreit die Menschen vom Zorn Gottes, aber auch von kirchlichen Belastungen. In den späteren Jahren der Reformation ging es dann aber immer mehr um Besitzstandswahrung der nun evangelischen Kirchen. Dabei waren die Juden ein Störfaktor.

Das hat ihm den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht?

KLÄN: Nochmals, auch wenn Luther im Gespräch mit reformatorisch überzeugten Landesfürsten die Zerstörung jüdischer Synagogen, die Verbrennung jüdischer Bücher und die Ausweisung von Juden aus deren Ländern fordert, so ist das keineswegs zu billigen. Aber: Luther war kein Antisemit. Er hat keine Rassenverfolgung und auch keine Ermordung der Juden gefordert. Das entschuldigt aber keinesfalls seine antijudaistischen Äußerungen.

Kommen wir von den Debatten der Wissenschaft zu ganz profanen Dingen. Es hat doch vor kurzem in Ihrer Hochschule gebrannt. Können Sie denn so viele Gäste bewirten?

KLÄN: Zum Glück hat die benachbarte Kirchengemeinde St. Johannes die Bewirtung in ihrem Gemeindehaus übernommen. Sonst hätten wir wirklich ein Problem gehabt.

Welche Bedeutung hat das Jubiläumsjahr 500 Jahre für die Studierenden an Ihrer Hochschule?

KLÄN: Die in diesem Jahr allgegenwärtige Reformation und ihre Lehre hilft unseren Studierenden dabei, über ihre eigene kirchliche Identität nachzudenken. In Gesprächen werden sie möglicherweise auch zu anderen christlichen Fragen Stellung nehmen müssen und über die lutherische Lehre befragt. Da wird ihr eigener kirchlich theologischer Standpunkt auf den Prüfstand gestellt.

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