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Info: Der vergebliche Kampf gegen Sturmflut und Missgunst

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700 Gäste in der ausverkauften Erlöserkirche, 100 Musiker und Sängerinnen, einer der besten deutschen Schauspieler und das Meisterwerk Theodor Storms.

700 Gäste in der ausverkauften Erlöserkirche, 100 Musiker und Sängerinnen, einer der besten deutschen Schauspieler und das Meisterwerk Theodor Storms. Es liegt bereits in der Luft, dass an diesem Abend etwas ganz Besonderes geboten wird.

Die außergewöhnliche Atmosphäre scheint auch Dietmar Bär zu beeindrucken, als er unter großem Applaus an der Seite des Friedrichsdorfer Dirigenten Lars Keitel das Kirchenschiff betritt und die Szenerie erfasst. Zur Ouvertüre Brahms’ Symphonie Nummer 3, Poco Allegretto.

Dann die sonore Stimme des Kölner „Tatort“-Kommissars und Hörbuchsprechers: „Der Schimmelreiter.“ Unmittelbar fühlt sich das Publikum in die von Wind und Sturmfluten geplagte nordfriesische Küste des 18. und 19. Jahrhunderts entführt und lauscht der seit Generationen weitererzählten Sage des Hauke Haien, die der Schulmeister dem Reisenden schildert.

Theodor Storms (1817 – 1888) letztes und berühmtestes Werk (erschienen 1888) gehört zur klassischen Schulbuchlektüre und dürfte fast jedem im Publikum ein Begriff sein – vielleicht bislang nicht mit den besten (schulischen) Erinnerungen verknüpft. Auf jeden Fall bietet die Novelle aus der ausgehenden Epoche des Realismus viele Ansatzpunkte zur Interpretation: der vergebliche Kampf gegen Missgunst und Aberglaube; die Unfähigkeit, Menschen für eine Idee zu begeistern und „mitzunehmen“ wie man heute sagen würde; ein großes Herz für leidenden Kreaturen (wie den ausgemergelten Schimmel, der später von den Widersachern als Symbol des Teufels gedeutet wird); ein fester Gottesglaube und die treue Liebe zu Frau und Kind, denen Hauke in den Tod folgt, nachdem die Jahrhundertflut das Dorf mit sich gerissen hat, obwohl sein Deich, der „Hauke-Haien-Deich“, standgehalten hatte.

Professionell vorgelesen ist die tragische Geschichte des talentierten jungen Deichgrafen ein spannender Stoff, dem das Publikum vom ersten bis zum letzten Wort gut zwei Stunden lang aufmerksam folgt. Zum Gesamtkunstwerk tragen sieben musikalische Stücke bei, die das Jugendsinfonieorchester Hochtaunus und die Frauenstimmen des Bachchors der Erlöserkirche unter der Leitung von Lars Keitel darbieten. Bachchor-Leiterin Susanne Rohn war übrigens unter den Sängerinnen, die eigens für diesen Abend schwedische und norwegische Texte eingeübt hatten.

Hervorragend vorgetragene und zum nordischen Thema passende Klassiker wie „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg und das schwedische Volkslied „Vem kann segla“ (Wer kann segeln ohne Wind?) sorgen zwischendurch immer wieder für begeisterten Applaus, bevor man sich wieder konzentriert Hauke Haiens vergeblichem Kampf gegen die Naturgewalten und der Verleumdungen seiner Widersacher widmet.

In Griegs „Ases Tod“ hinein liest Dietmar Bär die letzten Sätze der Novelle. Applaus braust auf, in dem sich der Schauspieler und die Musiker lange und zu recht feiern lassen. Dann tritt ein von klassischer Literatur und Musik verzaubertes Publikum aus den Stürmen der nordfriesischen Küste in den lauen Bad Homburger Sommerabend hinaus. mmh

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