Kanoniere wollen sich an Bischof wenden

Pfarrer will mit Rücksicht auf Geflüchtete auf Böller-Tradition zu Fronleichnam verzichten
Oberreifenberg -Es sieht so aus, als ob in Oberreifenberg zur Fronleichnamsprozession in diesem Jahr nicht geböllert wird. Die Kanoniergesellschaft 1860 Oberreifenberg wird sich über den Wunsch von Pfarrer Tobias Blechschmidt nicht hinwegsetzen, will sich aber jetzt noch kurzfristig an den Bischof wenden.
Das Thema war der ganz große Aufreger in der Jahreshauptversammlung. Denn viele Mitglieder sehen langfristig nicht nur die über 300 Jahre alte Tradition gefährdet, sondern auch die Existenz der Kanoniergesellschaft.
"Wir sind traurig und enttäuscht"
"Das Böllern an Fronleichnam ist unser höchstes Gut, wir sind traurig und enttäuscht", sagte Vorsitzender Holger Brendel im Namen des Vorstandes, als er der Versammlung zum Thema Fronleichnam 2022 berichtete. Er habe erst spät erfahren, dass die Fronleichnamsprozession in diesem Jahr überhaupt stattfindet. Doch es sei noch Zeit genug gewesen, das Böllern offiziell anzuzeigen und alles Erforderliche dafür in die Wege zu leiten. Dann habe der Pfarrer Bedenken angemeldet wegen der in der Gemeinde lebenden ukrainischen Flüchtlinge.
Trotzdem zu böllern kommt für Brendel nicht in Frage. Er sagte: "Es ist eine kirchliche Veranstaltung und der ausdrückliche Wunsch des Pfarrers, dass wir nicht böllern." Aus den Reihen der Mitglieder gab es etliche Wortbeiträge, wonach vor allem einheimische ältere Bürger sehr enttäuscht sind, dass diese alte Tradition nicht stattfinden darf. Der Pfarrer müsse sich den Fragen der Bevölkerung stellen, meinte dazu Brendel, der befürchtete: "Wir verlieren nach und nach unsere langjährigen Traditionen."
Brief übersetzt
ins Ukrainische
Die Kanoniergesellschaft habe sogar einen Brief, der ins Ukrainische übersetzt wurde, an die Koordinatoren von "Schmitten hilft Ukraine" geschrieben, den Brauch der Kanoniere an Fronleichnam erläutert, und dass das Böllern nichts mit Waffengewalt zu tun habe. Brendel bestätigt, es habe keine negativen Reaktionen auf den Brief gegeben. Doch der Pfarrer gehe davon aus, dass erwachsene Flüchtlinge das vielleicht verstehen, traumatisierten Kindern könnte man das aber nur schwer vermitteln.
Der frühere Vereinsringvorsitzende Rainer Burkard befürchtet jedoch: "Wenn das Böllern an Fronleichnam einmal eingestellt ist, wird es schwer, es wieder aufzunehmen." Er meinte: "Was jetzt hier passiert, geht an die Existenz des Vereins und untergräbt die alte Tradition."
Eine einsame Entscheidung?
Die Gründung der Kanoniergesellschaft habe ihren Ursprung schließlich in der Begleitung der Fronleichnamsprozession. Der Pax-Christi-Altar sei sogar Motiv beim Umzugswagen der Kanoniere an den Hessentagen. Insofern ergebe es Sinn, gerade angesichts des Krieges in der Ukraine ein Zeichen zu setzen.
Burkard befürchtete, dass es sich um eine einsame Entscheidung des Pfarrers handelt und empfahl dem Vorstand, den Bischof anzuschreiben. Diesen Weg kann sich auch Erster Beigeordneter Hartmut Müller (CDU) vorstellen.
Kein klassischer Schützenverein
Peter Bamberger sah nicht den Unterschied zwischen den ukrainischen Flüchtlingen und Flüchtlingen aus Syrien und anderen Kriegsgebieten, die schon lange in Schmitten leben. Er hob auch hervor, dass die Kanoniere keine klassische Schützengesellschaft sind und dass schließlich auch in Bayern in vielen Gemeinden an Fronleichnam geböllert werde.
Der Vorstand will nun auf jeden Fall Kontakt zum Bischof aufnehmen. Die Chancen, dass am Donnerstag geböllert werde, seien zwar gering.
Aber wenn in den nächsten Jahren in den anderen Schmittener Kirchorten die Fronleichnamsprozession stattfindet, wollen die Kanoniere auch dort böllern, damit ihre Tradition künftig nicht auf weltliche Anlässe begrenzt wird. Dass sie die Feier zum 50-jährigen Bestehen der Großgemeinde lautstark eröffnen, ist Ehrensache.
Ziemlich sicher wird es Proteste dagegen geben, dass nicht geböllert wird. Einige Mitglieder der Kanoniere wollen Mails an den Pfarrer schreiben. Andere wollen sogar am Donnerstag vor ihrem Haus statt der Fronleichnamsfahnen einen Trauerflor am Fahnenmast anbringen. "Das kann aber nicht von unserer Gesellschaft ausgehen, dass muss jeder für sich selbst entscheiden", so der Vorsitzende. Weil der Pfarrer in seinem Gespräch mit Brendel schon angedeutet hatte, dass Fronleichnamsprozessionen künftig noch seltener stattfinden, befürchtete Jutta Geck, dass massive Proteste dazu führen könnten, dass gar keine Prozessionen mehr stattfinden.
Der komplette Vorstand der Kanoniergesellschaft 1860 Oberreifenberg wurde in der Jahreshauptversammlung wiedergewählt. Daher wurde nicht nur Vorsitzender Holger Brendel, der seit acht Jahren an der Spitze steht, im Amt bestätigt. Sein Stellvertreter bleibt Andreas Messer. Christine Messer führt weiter die Kasse und wird dabei von ihrer Stellvertreterin Nadja Knippler unterstützt. Annegard Oetter fungiert weiterhin als Schriftführerin. Erster Zeugwart und Fähnrich bleibt Daniel Horvath, sein Stellvertreter ist Jan Maurer. Peter Schneikert und Anna Biala arbeiten weiter als Beisitzer im Vorstand mit.
Martina und Dieter Schöpp hatten den Antrag auf aktive Mitgliedschaft gestellt und brauchten dafür laut Vereinssatzung einen Leumund. "Wir sind da etwas altmodisch", meinte Brendel, der allerdings persönlich bestätigte, dass beide Anwärter einen tadellosen Ruf haben und würdig sind, in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Nach einstimmigem Beschluss der Versammlung dürfen die beiden sich jetzt bei den Kanonieren engagieren. Wer jedoch wie Winfried Nitschke, Stefan Geck und Peter Bamberger den Böllerschein machen will, muss nicht nur aktives Mitglied sein. Um überhaupt die Ausbildung machen zu dürfen, müssen sie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.
Bamberger durfte zum ersten Mal offiziell im September bei der gemeinsam mit der TSG Niederreifenberg und dem Tourismus- und Kulturverein (TKV) Schmitten Veranstaltung "Mit dem Rad durch den Taunus" den Start der Radler anböllern.
In den vergangenen beiden Jahren gab es sonst keine Veranstaltungen. In Arbeitseinsätzen hatten die Kanoniere jedoch das Dach am Container neu installiert und den Container repariert. Die Materialbeschaffung nach dem Sturmschaden hat zum Glück die Versicherung reguliert. Im vergangenen Jahr hat der Vorstand, wie Brendel in seinem Jahresbericht verlas, zudem neue Kleidung für die Mitglieder angeschafft, damit ein einheitlicher Auftritt, auch als Helfer bei Veranstaltungen andere Vereine sichergestellt ist. evk
