Der ÖPNV braucht auf dem Land eine neue Struktur

Seniorenvertretung kritisiert die ungenügende Versorgung und bringt Vorschläge ein
Neu-Anspach -Es ist kein Geheimnis, dass der ÖPNV vor allem in ländlichen Gebieten den eigentlichen Ansprüchen der Bürger hinterher hinkt. Das haben nun auch der Seniorenbeirat mit Raphael Eckhard als Vorsitzendem und seine Stellvertreterin Ursula Oestreich in einer Stellungnahme klar formuliert. Harry Euler als Pressesprecher der Seniorenvertretung Neu-Anspach hat die Meinung zusammen gefasst und fragt provokativ: „Ist ein neues Mobilitätskonzept ein Flop oder Chance für die Region Usinger Land und den Hochtaunuskreis?“
Wo nicht einmal ein Bus fahre, da brauche man auch kein 9-Euro-Ticket, obwohl es bundesweit 230 000 Haltestellen für Bus und Bahn gebe. Auf dem Land aber werde weniger als die Hälfte davon stündlich oder häufiger angefahren. Laut einer Mobilitätsstudie der Deutsche-Bahn-Tochter Ioki lebten derzeit 55 Millionen Bürger in Gebieten ohne ausreichenden ÖPNV.
Desolate Situation
„Die desolate Situation wird noch dadurch verschärft, dass sich gleichzeitig auf dem Land die Wege verlängert haben. Bäckereien, Arztpraxen, Freizeiteinrichtungen und Supermärkte sind auf die grüne Wiese gezogen“, sagt Harry Euler. „Dies sieht auf dem Papier zwar nach einer praktischen Bündelung aus, führt aber dazu, dass der alltägliche Bedarf fußläufig kaum noch zu erreichen ist.“
An Kreis- oder Verkehrsverbundgrenzen brächen in den Randbereichen die Verbindungen oft gänzlich ab. Öfters sei ein kilometerlanger Fußmarsch erforderlich. „So geht es nicht mehr weiter“, ist Euler überzeugt, dass die derzeitigen ÖPNV-Angebote in der Region nicht ausreichend sind, deshalb sollten die Erfahrungen mit dem bundeseinheitlichen 9-Euro-Ticket für notwendige Veränderungen genutzt werden.
Die Verkehrsbranche und die Kommunalpolitiker sollten die Chance zur Verbesserung der Lebensqualität durch die Entwicklung und Umsetzung von Mobilitätskonzepten vor Ort zusätzlich nutzen. Die Mobilitätskonzepte müssten grundsätzlich neu überdacht werden. „Nur einen weiteren Bus fahren lassen, das geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Wer einen weiten Weg zur Haltestelle hat, dem ist damit auch nicht geholfen. Richtet sich die Taktung - wie bislang - auf dem Land im Wesentlichen nach dem Schulverkehr, ändert sich mit einer Verkürzung nichts am wesentlichen Problem.“
Angebote neu denken
Das Mobilitätsverhalten der Menschen im ländlichen Bereich könne man nicht nur mit einem ÖPNV-Bus- oder -Bahnsystem nachbilden, so Euler. Die Region benötige ergänzende On-demand-Angebote - wie etwa Rufbusse oder Sammeltaxis. Es würden bereits zahlreiche Mobilitätskonzepte vom Bund oder von den Ländern durch geförderte Pilotprojekte erprobt.
Politiker müssen handeln
Dies rechne sich, weil ein Ruftaxi-Kilometer mit etwas über zwei Euro günstiger sei als ein Bus-Kilometer, da dieser rund 3,50 Euro kostet. „Ebenso ist es wenig wirtschaftlich, wenn der Bus leer von Haltestelle zu Haltestelle fährt. Wieso sollte der neue ÖPNV nicht wie die Mobilfunknetze zukünftig funktionieren? So können verschiedene Unternehmen mit individuellen und den ÖPVN ergänzenden Angeboten um Kunden werben. Dies wird einen grundlegenden und nachhaltig strukturellen Mobilitätswandel mit der Steigerung der Lebensqualität ermöglichen.“
Euler betont, dass der ÖPNV endlich wieder Thema sei, und zwar über allgemeine Lippenbekenntnisse hinaus. Es werde über langfristige Nachfolgemodelle des Tickets und neue Strukturen der Mobilitätsplanungen nachgedacht.
„Dies ist auch gut so. Wenn der ländliche Raum die Flächen für die Energiewende bereitstellt, damit die Städte grüne Energie bekommen, sollte der ländliche Raum fairerweise passende und bessere Mobilitätsangebote und Infrastruktur im Allgemeinen erhalten.“
Es müssten entsprechende Mobilitäts- und Infrastrukturfinanzierungen im ländlichen Raum generationsübergreifend geschaffen werden, sagt Euler. Der ÖPNV sei ein Mittel der Gesellschaft, das für alle Bürger gedacht sei. Die gesellschaftliche Debatte zur Optimierung des Mobilitätskonzepts in der Region Usinger Land und dem Kreisgebiet sei längst überfällig.
Auch Landrat Ulrich Krebs habe in einem Presseartikel zur guten Platzierung des Hochtaunuskreises im „Zukunftsatlas“ vom 31. Oktober 2022 die zentrale Bedeutung zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, das Image der Region und den Erhalt der Lebensqualität bei den Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung des Kreises als Schlüsselfunktionen hingewiesen. Hierzu seien auch Konzepte zu unterschiedlichen altersgerechten Wohnformen und Pflegeleistungen aus Sicht von Euler wichtig.
„Leider sind der Seniorenvertretung der Stadt Neu-Anspach bisher keine regionalen Reaktionen der Kommunalpolitiker bekannt. Auf die drängenden Fragen zur Energie- und Mobilitätswende fordern die Bürger von allen Parteien Aussagen mit einer deutlichen Position zur Weiterentwicklung für die Stadt, den unmittelbaren Nachbarkommunen und dem Hochtaunuskreis. Auch die Bürger müssen zum Neuaufbau der Strukturen und den gesellschaftlichen Themen frühzeitig beteiligt werden.“
Es bleibe weiterhin die Frage, welche konkreten Antworten die Parteien vor Ort zu den drängenden Zukunftsthemen Mobilität, Energie, Lebensqualität, altersgerechte Wohnformen und Pflege im Hochtaunuskreis und besonders in der Region Usinger Land hätten. VON ANDREAS BURGER