„Little Ukraine“ ist im Altort entstanden

Rund um die Pfarrgasse leben derzeit etwa 30 Geflüchtete mit ihren Gastgebern
Neu-Anspach -„Wir sind in der Pfarrgasse die Straße des Friedens, und in der näheren Umgebung im Anspacher Altort leben derzeit rund 30 Geflüchtete aus der Ukraine“, stellt Katja Schneider-Pauli, die Frau von Bürgermeister Thomas Pauli (SPD), fest. Hier ist eine kleine ukrainische Gemeinschaft entstanden, die das Leben fern der Heimat leichter macht. Denn hier findet gelebte Integration statt.
Die ukrainischen Familien haben nämlich nicht nur Zuflucht bei ihren Wohnungsgebern gefunden, sondern tauschen mit ihnen oft auch Essen aus und treffen sich mit ihnen zu gemeinsamen Unternehmungen. Die ukrainischen Kinder spielen nicht nur untereinander, sondern auch mit den deutschen Kindern.
„Als der erste Artikel in der lokalen Presse stand, dass Sascha Poth Unterkünfte für geflüchtete Ukrainer sucht, habe ich gleich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um auch bei uns Ukrainer aufzunehmen“, berichtet Schneider-Pauli. Für sie war es wichtig, dass die Kriegsflüchtlinge nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, sondern eine persönliche Anbindung haben sollten.
Unmengen an Wareniki
Bei den Paulis leben in einer eigenen Wohnung Mutter Inna und ihre Kinder Viktoria (18 Jahre), Alex (zehn Jahre) und Pawlik (sieben Jahre). Inna spricht gut Deutsch, denn sie ist quasi eine Wiederkehrerin. Vor 20 Jahren war sie au pair in Neu-Anspach und fand am 6. März zunächst mit ihren Kindern und Oma Svetlana Zuflucht bei ihrer früheren Gastfamilie. Ab 11. April waren sie vorübergehend bei einer anderen Familie im Hunoldstaler Weg und zogen dann bei den Paulis in der Pfarrgasse ein.
Die Oma ist in der vergangene Woche zurück in die Ukraine gereist. Zwei weitere Kinder und zwei Enkel waren bereits im Sommer wieder nach Odessa zurückgekehrt. „Ich dachte erst, Svetlana heißt Babuschka, bis ich mitgekriegt habe, dass ,Babuschka’ so viel bedeutet wie ,Großmutter’“, meint Schneider-Pauli und sagt: „Meine ukrainischen Sprachkenntnisse halten sich in Grenzen, aber die bei uns wohnende Familie spricht ziemlich gut deutsch, und mit den anderen geht viel auf Englisch.“
„Wenn Viktoria Unmengen Wareniki, die tollen ukrainisches Teigtaschen, zubereitet hat, lädt sie uns zum gemeinsamen Essen ein“, so Schneider-Pauli, die im Gegenzug nicht nur ihre ukrainischen Familie mit deutschen und anderen Speisen versorgt. Guten Kontakt haben die Paulis auch zu Yuliya. Die war mit ihrem Mann und den drei Kindern aus Sumy im Nordosten der Ukraine geflüchtet, weil die Gefahr in der Nähe der russischen Grenze zu groß ist.
Die Familie lebt schon seit März bei Familie Lempp in der Backhausgasse, und die Kinder sind oft bei Alex und Pawlik. „Yuliya bringt uns dann immer selbstgebackenen Kuchen mit, und wir geben von uns Essen Kleidung oder Spielsachen mit“, sagt Schneider-Pauli.
Direkt gegenüber von Paulis hat Lutz Tuchscheerer seit April ebenfalls in seinem Haus etliche Ukrainer aufgenommen. „Am Anfang hatte ich acht Gäste, jetzt sind es nur noch vier“, berichtet er.
In den ersten Wochen sei die Verständigung sehr holprig gewesen. Aber die Deutschkurse im Welcomecenter hätten sich bewährt. Der elfjährige Nikolaj dolmetsche für seine Mutter Valentina und die Oma.
Obwohl Alexandra, die alle Sascha nennen und die ebenfalls mit ihren beiden Kindern in der Pfarrgasse wohnt, eigentlich nur auf der Durchreise ist, gehört auch sie zur Gemeinschaft „Little Ukraine in Neu-Anspach“.
Alexandra ist seit Kriegsbeginn in der Ukraine mit ihren beiden Kindern auf der Flucht. Über London, Berlin und Belgien ist sie in Neu-Anspach gelandet und versucht jetzt ein Visum für die USA zu bekommen. Ihre Mutter lebt ebenfalls in Neu-Anspach, hat drei Nähmaschinen mitgebracht und erledigt für alle in ihrem neuen Bekanntenkreis Schneiderarbeiten.
Holzfigur mit Friedenstaube
„Wichtig ist, dass die Menschen aus der Ukraine sich hier bei uns möglichst gut einrichten können. Sie sollen bleiben, solange es nötig ist“, sagt Schneider-Pauli.
Als Symbol für den Frieden unter den Menschen steht vor dem Haus der Paulis eine von Anja Buhlmann aus Wilhelmsdorf angefertigte und gespendete Holzfigur mit einer Friedenstaube. An Weihnachten, dem Fest des Friedens, will keine der derzeit im Anspacher Altort lebenden Ukrainerinnen in die Heimat reisen. Weiterhin fallen Bomben, und die Energie- und Wasserversorgung wird im kalten Kriegswinter immer wieder unterbrochen.
In Gedanken sind die Ukrainer bei ihren Angehörigen. Aber die Zuwendung ihrer Gastfamilien tut ihnen offensichtlich gut. So hat Schneider-Pauli ihre ukrainische Familie am vergangenen Sonntag zum gemeinsamen Schlittschuhlaufen in Eschborn eingeladen. VON EVELYN KREUTZ