Unbelebter Torso soll Zentrum werden

Preisgericht hat fünf Entwürfe ausgewählt. Bürger wünschen sich mehr Leben. Nächster Termin am 11. Juli.
Neu-Anspach -Die Bilder, die Stadtplanerin Elisabeth Schade von der Neuen Mitte zeigt, sind wirklich nicht schön. Alles ist Grau in Grau, kaum ein Mensch ist zu sehen. Zwar war auch nicht das beste Wetter, als die Fotos entstanden sind, aber auf ihnen wirkt das Gelände arg trist.
„Die Fotos dokumentieren Trostlosigkeit“, sagt die Chefin des für die Stadt schon häufig tätig gewesenen Büros Plan ES am Montagabend im Bürgerhaus anlässlich einer Informationsveranstaltung zum Wettbewerb Neue Mitte. Die Mitglieder der gleichnamigen Arbeitsgruppe hatten das Gelände beim Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK) einst als „unbelebten Torso“ bezeichnet, erinnert auch Schade. „Die Unvollendete“ soll sich nun mit Hilfe eines Wettbewerbs in ein urbanes, kleinstädtisch geprägtes Zentrum mit mehr Leben, Handel und Begegnungsflächen verwandeln.
Europaweit ausgeschrieben
Ein Verkehrskonzept, eine Piazza, ein Wasserspiel, Restaurants, die Versorgung mit Lebensmitteln, Wohnbebauung und die Möglichkeit, Märkte zu veranstalten - das alles war den Architekten des europaweit ausgeschriebenen Wettbewerbs ins Pflichtenheft geschrieben worden. Zwölf Planungsbüros waren angetreten, fünf sind nun nach einer ersten Sitzung des Preisgerichts ausgewählt worden. Bürgermeister Thomas Pauli (SPD) bezeichnet die Entwürfe als „interessant“ und wünscht sich von den rund 100 Bürgern der Info-Veranstaltung Eingaben. Ihre Anregungen sollen an die Teilnehmer als Hausaufgaben weitergegeben werden - für die „Phase 2“ des Wettbewerbs.
Doch noch bevor der erste Entwurf zu sehen ist, wird Kritik laut. Es sei „völlig unbefriedigend“, dass sich die Bürger nur an diesem einen Abend einbringen könnten, moniert Stadtverordneter Andreas Moses (NBL). Ein anderer fühlt sich „über den Tisch gezogen“. Es sei nicht möglich, sich auch später noch einzubringen, erklärt Schade. „Das gibt der eng getaktete Zeitplan nicht her.“ Auch habe es bereits einen Beteiligungsprozess gegeben. „Die Bürger haben beim ISEK die Leitpfosten eingeschlagen.“
Die fünf Konzepte, welche die Stadtplanerin schließlich vorstellt, „funktionieren alle unterschiedlich“. Das Wettbewerbsgebiet umfasst drei Parkplätze (entlang der Adolf-Reichwein-Straße, in der Hans-Böckler-Straße und vor der Sporthalle), ein unbebautes Gelände, das der Evangelischen Kirche gehört, und den Marktplatz inklusive Feldbergcenter, Katholischer Kirche und Bürgerhaus. „Nein, die Gebäude werden nicht abgerissen, sie sind zu integrieren“, meint Schade lachend.
Unter dem Motto „Das vermisste Kleeblatt“ stellt gleich der erste Beitrag klar: Es fehlt an Wohnbebauung in der Mitte. Hier sehen die Architekten Reihenhäuser, einen großen Gebäudekomplex entlang der Adolf-Reichwein-Straße inklusive Hotel, ein Mehrgenerationenhaus und ein sechsgeschossiges Markthaus vor.
Auch bei den anderen Planern steht die Wohnbebauung im Vordergrund - mal ist es ein Riegel, mal sind es gefächerte Bauten, mal mehrere kleine Einheiten. Weil die vorhandenen Parkplätze bebaut werden, sind überall Tiefgaragen vorgesehen. Grünflächen haben mal eine untergeordnete Bedeutung, mal ist ein Stadtwald geplant, mal gibt es Dachterrassen zum Gärtnern.
In der Regel ist bei den Gebäuden im Erdgeschoss Gewerbe und Gastronomie vorgesehen, ab dem ersten Obergeschoss soll gewohnt werden. Überall gibt es einen „Mobilitätshub“, ein Begriff, mit dem nur die wenigsten etwas anfangen können, und der als eine Art öffentlich zugänglicher Knotenpunkt in den eingereichten Entwürfen beispielsweise Parkplätze, Car-Sharing-Angebote und Fahrrad-Stellplätze vorsieht.
In einem Konzept gibt es einen Kindergarten, in einem anderen ein Ärztehaus, in weiteren Coworking-Spaces und Gründerzentren. Ein Modell will unter dem Motto „Die produktive Kleinstadt“ Wohnen und Arbeiten ins Zentrum holen. Hier gibt es „produktive Höfe“ und eine Erweiterung des Feldbergcenters und größere Flächen für den Rewe-Markt.
Rewe-Markt ist ein Frequenzbringer
Der Lebensmittelmarkt ist auch für die Bürger ein wichtiges Thema. Er ist ein „Frequenzbringer“, sagt Schade und berichtet, dass der Besitzer des Einkaufskomplexes ebenfalls Mitglied des Preisgerichts ist.
Die Menschen erfahren außerdem, wie das Preisgericht die einzelnen Entwürfe beurteilt hat, und sie sagen, was ihnen wichtig ist. Dazu gehört zum Beispiel die Anzahl der Stellplätze, die von 361 bis 700 reicht (bislang sind es 358). Für Protest sorgt, dass auch der Parkplatz vor der Sporthalle bebaut werden soll, denn der ist „das ganze Wochenende belegt“, so Moses.
Einig sind sich am Ende aber alle, dass der Platz nicht nur durch Gebäude, sondern durch Menschen belebt werden muss. Und die kommen, wenn es Geschäfte, Gaststätten und kulturelle Angebote gibt. Das findet auch Raphael Eckhard, Sprecher der Arbeitsgruppe Neue Mitte: „Nur Beton und Grün erzeugen kein Leben.“ Er ist aber auf jeden Fall froh, dass sich endlich etwas tut.
Zu Wort meldet sich auch Jonas Mulfinger, Sprecher der Arbeitsgruppe Siedlungsentwicklung. Ihn stimmen die Ergebnisse optimistisch, und er verweist darauf, dass Details zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch nicht zu klären sind. Er hofft auf eine bessere Verweilqualität, findet alles aber „vielversprechend“. Für Schade, die sich darüber offensichtlich freut, ist dies nach zweieinhalb Stunden „ein gutes Schlusswort“.
Übrigens: Die fünf Entwürfe sind an dem Abend zwar zu sehen, es ist aber nicht erlaubt, Fotos zu machen. Die Stadt wird sie auch nicht ins Internet stellen, denn das ist aus wettbewerbsrechtlichen Gründen verboten. Der Wettbewerb verläuft anonym, und es gibt keine Infos über die teilnehmenden Büros. Von Anja Petter
So geht’s weiter
Wer sich für den weiteren Verlauf des Wettbewerbs interessiert, sollte sich den 11. Juli vormerken, denn dann werden die Büros 3D-Modelle ihrer überarbeiteten Entwürfe präsentieren. Einen Tag später entscheidet das Preisgericht über die Platzierung. Das letzte Wort über die Umsetzung hat am Ende die Stadtverordnetenversammlung.