Viel Enttäuschung über Hochtaunusstift-Aus

Eigentümerin des Altenwohn- und Pflegeheims in Neu-Anspach: Wegen Corona konnten wir den Baumaßnahmen nicht nachkommen - 52 Mitarbeitern droht die Arbeitslosigkeit
Neu-Anspach -Ein Schreckensszenario ist für die 52 Mitarbeiter des Hochtaunusstifts wahr geworden - sie verlieren ihren Arbeitsplatz mitten in der Corona-Pandemie. Aber auch für die 45 Bewohner sind es schlimme Neuigkeiten. Das vom DRK Hochtaunus betriebene Altenwohn- und Pflegeheim in Neu-Anspach wird bekanntlich Ende März schließen, weil die Eigentümerin des Gebäudes, die Achat-Immobilien, eine Tochter der Raiffeisen Leasing Austria, dem Betreiber die Duldung des Betriebes untersagt hat.
"Nachdem der Anordnung des zuständigen Bauamts vom 18. Jänner 2021, per 31. März 2021 die notwendigen Brandschutzrichtlinien zu erfüllen, aufgrund von Corona sowie dem Umfang der erforderlichen baulichen Maßnahmen nicht nachgekommen werden konnte, sahen wir uns leider aus Haftungsgründen zu diesem Schritt veranlasst", so Anja Knass von der Raiffeisen Bank International AG.
Im Stift beschäftigt sind Pflegefachkräfte, aber auch Helferinnen und Helfer, Personal für Küche, Wäscherei, Reinigungskräfte und Hausmeister, "zu einem großen Teil auch in Teilzeitbeschäftigung", informiert DRK-Kreisgeschäftsführer Axel Bangert. "Wir werden Stellen, die das DRK in anderen Einrichtungen derzeit nicht besetzt hat, ausschreiben, und die betroffenen Kollegen haben die Möglichkeit, sich darauf zu bewerben. Dies wird allerdings nicht so viel sein, dass wir für alle Mitarbeitenden Angebote machen können", dämpft er die Erwartung. Dass es so ernst um ihre Arbeitsplätze steht, habe niemand gewusst, so der Betriebsratsvorsitzende des Hochtaunusstifts am Montag.
Suche nach neuen Plätzen unter Hochdruck
Dirk Stuff und seine 85-jährige Mutter Friederike Stuff waren dabei, als das DRK am Freitagabend in der Cafeteria Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter über die unmittelbar bevorstehende Schließung informierte. "Es herrschte große Enttäuschung, aber keine Wut", berichtet der 56-Jährige.
Seine Mutter lebe seit einem Jahr im Seniorenwohnheim. "Sie hat den Umzug aus ihrer 150 Kilometer entfernten Heimatstadt in Kauf genommen, um mehr örtliche Nähe zu uns zu haben", so Stuff, der mit seiner Ehefrau in Neu-Anspach und nur drei Gehminuten vom Pflegeheim entfernt wohnt. Davon profitierten beide Seiten sehr, weil neben den regulären Besuchen am Wochenende auch spontane Besuche möglich seien. "Eine Verteilung der Bewohner auf andere Einrichtungen in der voraussichtlich auch weiteren Umgebung wird viel von dieser Nähe nehmen, die für beide Seiten sehr wichtig ist." Er bemühe sich nun, eine neue Einrichtung im Umkreis von rund 15 Kilometer für seine Mutter zu finden. Im Hochtaunusstift habe sie sich sehr wohl gefühlt, "was viel auch mit dem freundlichen und zuvorkommenden Personal des DRK zu tun hat".
Der Sozialhilfeträger und die Heimaufsicht suchen mit Hochdruck nach einer Bleibe für die 45 Bewohner ab 1. April, sagt Bangert. Es würden alle in Frage kommenden Pflegeeinrichtungen, vornehmlich im Hochtaunuskreis, angefragt, ob Aufnahmen möglich sind und von wie vielen Personen. "Danach werden die Betroffenen zeitnah und umfassend informiert." Das DRK selbst unterstütze bei der Vermittlung der Heimplätze an die Bewohner und werde anbieten, die bevorstehenden Umzüge zu begleiten.
Unglückliche Formulierung
Bereits am Wochenende hatte Bürgermeister Thomas Pauli (SPD) gesagt: ""Ich finde es ganz furchtbar ( . . .), dass das Alten- und Pflegeheim zum Spekulationsobjekt einer österreichischen Bank wird ( . . .)." Dieser Darstellung widerspricht die Raiffeisen Leasing Austria ausdrücklich. Diese "unglückliche Formulierung" könne man inhaltlich nicht nachvollziehen. "Die Historie rund um den Betrieb der Pflegeeinrichtung ist Herrn Bürgermeister Pauli seit Jahren bekannt, ebenso unsere Rolle als Vermittler zwischen den Betreibern und den zuständigen Behörden."
Dennoch muss die Eigentümerin beantworten, warum sie den Fristen zur Behebung von baulichen Mängeln nicht nachgekommen ist. "Die Verantwortung lag in diesem Bereich wesentlich beim ehemaligen Betreiber der Pflegeeinrichtung, der seiner Verpflichtung zur Beseitigung des Sanierungsstaus nicht nachgekommen ist. Erst auf Druck der Heimaufsicht war es Ende 2019 möglich, sich vom damaligen Betreiber loszuspielen und mit dem DRK die Fortführung des Betriebes zu gewährleisten. Auf Basis eines Gutachtens wurde im März 2020 der Gebäudezustand festgestellt und sodann entschieden, das Objekt auf den Markt zu bringen, sobald Corona das möglich macht. Seither waren wir in unserer Rolle als Eigentümer stets bemüht, den Bewohnern und Mitarbeitern in Form der bereits erwähnten Duldung eine Perspektive zu geben."
Was mit dem Gebäude ab April passiert, dazu könne man noch keine Auskunft geben, heißt es, aber: "Wir gehen davon aus, dass jegliche zukünftige Widmung durch die zuständigen Behörden wieder eine Nutzung als Pflegeanstalt vorsehen wird."
Holger Bellino (CDU), stellvertretender DRK-Kreisvorsitzender, wird deutlich: "Sollte ein potenzieller Investor hoffen, dass man hier irgendwann einer ausgedehnten Wohnbebauung zustimmen wird, ist er sicher auf dem Holzweg. Dies ist nach meinem sicheren Empfinden die Meinung aller Fraktionen."
Betriebsratsvorsitzender vermisst Engagement der Stadt
Am Freitag wurden die 52 Mitarbeiter im Hochtaunusstift darüber informiert, dass die Einrichtung am 31. März schließt. Betriebsratsvorsitzender Gabriel Marian arbeitet seit 1993 als Physiotherapeut im Stift. Auch wenn der DRK-Kreisverband Hochtaunus Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zugesagt habe, ist er nicht ganz so optimistisch, dass das auch immer erfolgreich sein wird. Nur zehn Prozent der Mitarbeiter seien examinierte Kräfte und hätten eine gute Chance auf dem Arbeitsmarkt. Bei Assistenzkräften oder Mitarbeitern im Bereich Küche und Gebäudetechnik sehe das in Corona-Zeiten anders aus. Dazu komme, dass viele langjährige Mitarbeiter älter und nicht mobil seien und wohl nicht so schnell eine neue Stelle finden.
Marian vermisst das Engagement der Stadt und meint: "Als 2019 geschlossen werden sollte, standen alle aus der Stadt hinter uns, aber wo sind sie jetzt?" Er habe gehofft, dass die Politiker mal auf den Tisch hauen. Die Hoffnungen der Mitarbeiter seien groß gewesen, als das DRK den Betrieb übernommen habe. "Aber wir sind jetzt schon enttäuscht. Das DRK hat Erste Hilfe geleistet, aber den Patienten nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern gewartet, ob er vielleicht stirbt."
Unverständlich ist für Marian, dass jetzt alles so schnell geht und so kurzfristig mitgeteilt wurde. Es sei doch lange bekannt gewesen, dass das Gebäude Baumängel hat. "Dass es so ernst um unsere Arbeitsplätze steht, haben wir alle nicht gewusst", meint er. Was ihn besonders trifft, ist, dass langjährige Mitarbeiter nicht mit einer Abfindung rechnen könnten. Sie seien zwar vom DRK übernommen, aber in eine neu gegründete gemeinnützige Gesellschaft des Kreisverbandes eingegliedert worden. Sie hätten Pech gehabt, habe es am Freitag nur geheißen.
Pflegedienstleiterin Anita Studenovic, die seit 18 Jahren in der Einrichtung arbeitet, hofft, dass es vom DRK wenigstens das eine oder andere Jobangebot gibt. Sie sagt: "Es hat uns allen das Herz herausgerissen, dass nun doch Schluss sein soll", und sie versichert: "Unsere Bewohner brauchen sich keine Sorgen zu machen, wir ziehen durch bis zum letzten Tag." Sie ist derzeit damit beschäftigt, zu koordinieren, wo die Bewohner, die übrigens wie viele Mitarbeiter schon zweimal gegen Corona geimpft worden sind, bis zum 31. März untergebracht werden können. "Nach den Wünschen der Angehörigen versuchen wir, freie Plätze zu finden", so die Pflegedienstleiterin. Sie ist optimistisch, dass wenigstens ihre Schützlinge gut unterkommen. Von Nina Fachinger und Evelyn Kreutz