Depression und Psychose: Wenn Mama Ängste quälen

Seit Dezember werden an der Klinik Hohe Mark seelisch erkrankte Mütter zusammen mit ihren Babys aufgenommen, um den Teufelskreis der „Weitergabe“ psychischer Erkrankungen zu durchbrechen. Der Bedarf ist riesig – die langfristige Finanzierung aber noch offen.
Als frischgebackene Mutter muss man doch die glücklichste Frau der Welt sein: Schließlich hat man da ein kleines Wunder auf dem Arm. Das muss man stillen. Schlaf braucht man nicht mehr, das hat die Natur so eingerichtet, Zeit für sich auch nicht, schon gar nicht in den ersten Monaten, nein, jetzt ist man schließlich Mutter und der Säugling braucht die Mutter, nur sie, 24 Stunden, 7 Tage die Woche.
Nimmermüde lächelnd haben Frauen in der neuen Rolle aufzugehen. Wer ist schon traurig, wenn er ein gesundes Kind geschenkt bekommen hat?
Klinik Hohe Mark, Speisesaal, die Sonne scheint durch die hohen Fenster. „Wir müssen entstigmatisieren“, sagt Krankenhausdirektorin Anke Berger-Schmitt. „Die Mütter, die zu uns kommen, sind alle erst mal erschöpft. Hier haben sie einen sicheren Rahmen, ihnen wird Wertschätzung entgegengebracht. Sie können aus dem Hamsterrad herauskommen“, erklärt Oberarzt Dr. Andreas Richter. Denn auch wenn die Geburt eines Kindes von vielen Eltern als großes Glück erlebt wird – das bisherige Leben ändert sich vollständig, und das ist immer auch mit Belastungen verbunden.
Eine seelische Krise kann auftreten: Die Mütter quälen Ängste, Traurigkeit und Selbstzweifel, innere Leere. Genauso kann sich eine seit längerem bestehende psychische Erkrankung verstärken. Peripartale und Postnatale Depressionen und Angststörungen, Postpartale Psychosen, Persönlichkeits-, Anpassungs- und Zwangsstörungen sind einige der Diagnosen, die bei den frischgebackenen Müttern gestellt werden, die in der psychiatrischen Klinik an der Friedländerstraße behandelt werden. Und weil die Symptomatik dieser Beschwerdebilder hineinrage in die Beziehungsgestaltung zum Kind, werden die Babys und Kleinkinder der Patientinnen – die Altersgrenze liegt bei 24 Monaten – seit Dezember mit aufgenommen. Im neuen Haus Feldberg stehen dafür jetzt sechs Plätze auf der offenen allgemeinpsychiatrischen Station zur Verfügung; die Zimmer – das Zuhause von Mutter und Kind für acht bis zwölf Wochen – sind mit Babybett und Wickelkommode ausgestattet.
Um das Konzept umzusetzen, das die öffentlichen Kostenträger nicht voll finanzieren – nicht zuletzt deshalb werden solche Plätze nur in zwei, drei Einrichtungen pro Bundesland angeboten, tritt die Klinik in Vorleistung: Pro Jahr wird sie 160 000 Euro drauflegen. „Die Kinder sind ja nicht krank. Der Teil der Behandlung, der sich auf die Beziehungsarbeit bezieht, wird daher nicht von den Kassen getragen“, sagt die Klinik-Chefin.
Stress-Reaktionen
„Was uns angehalten hat, sind die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den primärpräventiven Effekten, die wir in der Mutter-Kind-Behandlung erzielen“, führt Oberarzt Richter aus. „In den ersten Monaten und Jahren sind Kinder sehr empfänglich für Störungen, aber auch für Gutes.“ So erzeugten schlechte frühkindliche Erfahrungen wie Vernachlässigung eine dauerhaft erhöhte Stress-Reaktivität und gingen mit einem deutlich erhöhten Risiko für das Kind einher, später selbst einmal psychisch zu erkranken. Präventiv dagegen können sich positive Erfahrungen auswirken.
Um den Teufelskreis der sogenannten transgenerationalen Weitergabe der psychischen Erkrankungsbereitschaft zu durchbrechen, kommt außer medikamentöser Therapie sowie Einzel- und Gruppentherapie für die Mütter die videogestützte Interaktionstherapie zum Einsatz, bei der die Mutter im Kontakt zu ihrem Kind gefilmt wird, sich quasi selbst über die Schulter schauen kann. „Wenn eine Mutter, die sich an nichts freuen kann, die nur grübelt und sich schlecht fühlt, plötzlich positiv auf die Signale des Kindes reagiert, wenn sie zurücklächelt, dann reguliert beim Kind sofort das Stresshormonsystem runter, es wird neugierig, geht in die Entwicklung. Eine Bindung kann aufgebaut werden.“ Nach anfänglichen Berührungsängsten bei den Müttern habe sich diese Art der Therapie sehr bewährt, sagt Richter, der selbst überrascht war, wie groß der Bedarf ist: „Wir hatten teilweise bis zu 50 Anfragen gleichzeitig, jetzt führen wir eine gut belegte Warteliste.“
20 bis 30 Patientinnen wollen er und seine Kollegen im Jahr behandeln; „wenn nur eines dieser Kinder später nicht psychisch erkrankt – mit allen Kosten, die dazugehören – , wird genau der Betrag eingespart, den wir hier im Jahr aufbringen“. Zwei Jahre hat die Krankenhausdirektorin Zeit, die Kassen zu überzeugen beziehungsweise die Finanzierung über Fundraising zu sichern. „Wir sind optimistisch, dass das gelingt.“
Weitere Infos zur Mutter-Kind-Behandlung gibt es an der Klinik unter der Rufnummer (0 61 71) 2 04 39 10.