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Das Geheimnis des Grabsteins von Oberstedten

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Wolfgang Diel
Wolfgang Diel © Helmut Seuffert

Ein Grabstein kehrt am kommenden Donnerstag auf den jüdischen Friedhof im Frankfurter Stadtteil Niederursel zurück. Hinter diesem Sandsteinblock steckt eine besondere Geschichte, die die Oberurseler Historikerin Angelika Rieber für diese Zeitung aufgeschrieben hat.

Da staunte Wolfgang Diel, als er im Oberurseler Ortsteil Oberstedten, vom Weg abgekommen, im Unterholz plötzlich einen merkwürdigen Sandsteinblock entdeckte. Bei näherem Hinschauen wurde ihm klar, dass es sich hier um einen jüdischen Grabstein handelte, dem von Jakob Grünebaum.

„Hier ruht in G’tt

Jakob Grünebaum

Geb. 28. Jan. 1885

Gest. 18. Juli 1910“

Da er diesen Grabstein unweit des Gotischen Hauses gefunden hatte, erkundigte sich Diel zunächst beim Stadtarchiv Bad Homburg. Fehlanzeige! Ein Jakob Grünebaum war dort nicht in den Akten verzeichnet. Auf Umwegen gelangte Wolfgang Diel zur Verfasserin dieser Zeilen, die dank eines Hinweises der Leiterin des Stadtarchivs, Andrea Bott, und mit Hilfe des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt die Geburts- und Sterbeurkunde von Jakob Grünebaum finden konnte.

Danach stammte Jakob Grünebaum aus Niederursel. Er wurde am 28. Januar 1885 als Sohn des Metzgers Bernhard Grünebaum und dessen Frau Amalie geboren. Bernhard Grünebaum, in Oberursel gebürtig, lebte später mit seiner Familie in Niederursel. Sein Sohn Jakob verstarb früh, im Alter von nur 25 Jahren. Angezeigt wurde der Tod von seinem Bruder Ludwig. Beide waren, wie auch ihr Vater, von Beruf Metzger. Da Jakob in Niederursel geboren wurde und dort starb, ist anzunehmen, dass er auch auf dem Niederurseler Friedhof beerdigt war.

Wie gelangte nun der Grabstein nach Oberstedten? Viele Fragen bleiben bislang noch offen, aber es ist anzunehmen, dass dies während der Zeit der Nationalsozialisten geschah. Das Gelände des alten jüdischen Friedhofs wurde 1720 von der jüdischen Gemeinde erworben. Als dieser Friedhof zu klein wurde, kaufte die Gemeinde ein weiteres Grundstück, heute direkt neben der Strecke der U-Bahn. Dieses Gelände wurde von 1876 an als Gemeindefriedhof genutzt.

Aus Boden gerissen

Bereits vor dem Beginn der NS-Zeit, im März 1932, wurde dieser Friedhof geschändet. Vier Grabsteine wurden gewaltsam aus dem Boden gerissen und umgelegt.

Belegt ist, dass beide Niederurseler Friedhöfe während der NS-Zeit zerstört und abgeräumt wurden, denn Ende 1942 erwarb die Stadt Frankfurt diese und andere Liegenschaften mit folgender Begründung: „Zur Sicherung dringlichsten Raumbedarfs der Stadt Frankfurt, insbesondere zur Erfüllung sozialer Aufgaben, ist der Erwerb der Liegenschaften dringend geboten.“ Nachdem mit den Deportationen 1941/42 jüdisches Leben fast ausgelöscht worden war, sollten nun auch die Orte, die an das frühere jüdische Leben erinnerten, beseitigt werden.

Die Grabsteine auf den beiden Friedhöfen wurden offensichtlich abgeräumt. Da Grabsteine auf christlichen Friedhöfen nach einer bestimmten Zeit abgeräumt werden und anschließend oft für die Einfassung von Grundstücken oder beispielsweise von Bachläufen genutzt werden, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Grabstein aus solchen Gründen von den Friedhöfen entfernt wurde.

Da rund um den Fundort des Grabsteins in Oberstedten kleine Steinblöcke zu sehen sind, ist anzunehmen, dass der Grabstein als Fundament einer Gartenhütte genutzt wurde. Dies würde auch den guten Erhaltungszustand des Grabsteins erklären.

Ob diese Nutzung des Grabsteins in Unkenntnis des jüdischen Brauches erfolgte, wonach Grabsteine nicht abgeräumt und die Grabstätte nicht wieder belegt wird, in bewusster Missachtung dieses Brauches oder auch aus anderen Gründen, ist gegenwärtig noch offen. Gerade weil die jüdischen Friedhöfe über Jahrhunderte erhalten bleiben und die Mehrzahl der Begräbnisstätten die Nazizeit mehr oder weniger unbeschädigt überlebt haben, sind sie wichtige Zeugnisse einer vergangenen Epoche.

BSO hat geholfen

Deshalb ist der Fund des Grabsteins von großer Bedeutung, zeugt er doch von dem lebendigen jüdischen Leben in Niederursel vor der NS-Zeit. Bislang sieht man von dem früheren Friedhof nur noch ein umzäuntes Gelände und einen Hinweisstein, der an die einstige Beerdigungsstätte erinnert.

Nun ist der wieder gefundene Grabstein am Freitag vergangener Woche dank des Engagements des Oberurseler Bürgermeisters Hans-Georg Brum (SPD) vom städtischen Betrieb Bau und Service Oberursel (BSO) geborgen worden und wird am kommenden Donnerstag wieder an seinen Ursprungsort, den jüdischen Friedhof in Niederursel zurückgeführt. Er wird dann sichtbar an die frühere jüdische Gemeinde, an ihre Zerstörung und an das Schicksal ihrer Mitglieder erinnern.

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