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Oberursel: Hilfe und Unterstützung für Neuangekommene

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Von: Manuela Reimer

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Bildungsprojekte kosten Geld: Der buchstäbliche Spendentopf wird künftig noch wichtiger, wissen Reinhard Dunger (links), Noch-Vorsitzender des Internationalen Vereins Windrose, und Vize Michael Behrent, der im Sommer die Nachfolge übernehmen möchte.
Bildungsprojekte kosten Geld: Der buchstäbliche Spendentopf wird künftig noch wichtiger, wissen Reinhard Dunger (links), Noch-Vorsitzender des Internationalen Vereins Windrose, und Vize Michael Behrent, der im Sommer die Nachfolge übernehmen möchte. © mrm

Der Internationale Verein Windrose blickt bei seinem Neujahrsempfang auf unsichere Zeiten zurück und auf spannende voraus. Seit den 1970er-Jahren engagiert er sich für Integration, Kultur, Bildung und Unterstützung für zugewanderte Menschen aus aller Welt.

Oberursel -Was aus der Windrose geworden sei, darauf sei er schon stolz, sagt Reinhard Dunger. „Der Verein war am Boden, wir haben viel bewältigt. Wir haben wieder Leben reingebracht.“ Mit umso besserem Gefühl kann der 75 Jahre alte Vorsitzende des Internationalen Vereins Windrose in Oberursel die Geschicke des Klubs nun übergeben: Bei der Mitgliederversammlung im Sommer wird sich Dungers Vize Michael Behrent für das Spitzenamt zur Wahl stellen. „Wir freuen uns beide. Es passt wunderbar“, erklärte Dunger am Rande des Neujahrsempfangs der Windrose gegenüber dieser Zeitung. Der Vereinschef, der seit 1990 im Vorstand aktiv ist, seit elf Jahren als Vorsitzender, weiß nur zu gut um die Schwierigkeiten, die Vereine inzwischen haben, wenn es darum geht, eine geeignete wie gewillte Nachfolge für Reihe eins zu akquirieren. Er selbst habe eigentlich nur zwei Jahre Vorsitzender bleiben wollen, so Dunger, später habe er aufgrund der Pandemie verlängert und deshalb, weil der Verein alle seine Domizile in der Stadt verlor und neue finden musste. „Jetzt sind elf Jahre daraus geworden.“

Im Flaggschiff der neuen Domizile, dem Kulturcafé Windrose im frisch umgebauten Alberti-Gebäude an der Strackgasse, fand jetzt auch der Neujahrsempfang des Vereins statt. Es wäre der zehnte gewesen - ohne Corona -, so hatte es eine zweijährige Pause gegeben, aber die Veranstaltung war gut wie eh und je besucht. Dunger und Behrent begrüßten Vereinsmitglieder, haupt- und ehrenamtlich Engagierte und Gäste aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft, darunter auch Rathauschefin Antje Runge (SPD) und deren Vorgänger Hans-Georg Brum, der das Projekt Kommunikationszentrum Altstadt in seiner Amtszeit vorangetrieben hatte.

„Ich bin überwältigt, dass so viele Menschen den Weg zu uns gefunden haben - das spricht für einen gewissen Bekanntheitsgrad in Oberursel“, freute sich Dunger. „Dass wir jetzt ins neue Kulturcafé einladen können, darüber sind wir besonders froh - und stolz“, ergänzte Behrent. Natürlich ging es beim Empfang auch um den Wechsel, der bevorsteht - 2023 werde ein besonderes Jahr für die Windrose: „Die Vergangenheit und die Zukunft nehmen eine markante Wende“, formulierte es Behrent. „Gute Nachbarschaft aufbauen“, für ein weltoffenes Oberursel, das sei der Leitgedanke der Windrose, erklärte der 66 Jahre alte Oberurseler, der sich seit vier Jahren im Vorstand engagiert und davor schon länger Mitglied war. 1976 von „Gastarbeitern“ gegründet, leiste der 600 Mitglieder starke Verein heute allen neuen Oberurselern nachbarschaftliche Hilfe.

Darunter sind derzeit vor allem Geflüchtete und Asylbewerber aus Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Eritrea und der Ukraine. Behrent: „Die Hilfe, die wir leisten, findet auf Augenhöhe statt. Wenn man Augenhöhe erreicht hat, erreicht man auch die Integration.“ Nach wie vor sei die Windrose mit ihren Projekten ein „wichtiger Faktor“ in der Brunnenstadt, betonte Behrent. „Wir sind kein klassischer Verein mit einem Vereinsleben. Wir sind gewissermaßen ein Behälter für Projekte, ein Ort, wo sich Gleichgesinnte zusammenfinden.“

Auf Spenden und Sponsoren angewiesen

Da sei die Hilfe von privaten Spendern und Sponsoren sehr wichtig - die die Treue hielten, war Behrent glücklich, auch während der „unglaublichen Achterbahnfahrt“, die die Windrose in den vergangenen Jahren erlebt habe: Nachdem dem Verein der Verkauf seines Lokals an der Neutorallee angekündigt worden war, begann die Domizilsuche - wobei nach ersten Ideen 2017 lange unklar war, ob und wie der Alberti-Umbau klappt -, dann kam die Pandemie. Bald fiel auch das ehemalige Stellwerkhäuschen am Bahnhof weg, wo die offene Lern- und Hausaufgabenhilfe der Windrose untergebracht war, die dann zum Schwimmclub Oberursel (SCO) ziehen durfte.

Schließlich wurde es doch etwas mit dem neuen Kulturcafé, das der Verein im Frühjahr 2022 erst einmal als Pop-up-Version eröffnete, unweit der Baustelle, und nach Abschluss der Arbeiten im Oktober an der Strackgasse (siehe Box). „Aber dies alles hat unsere Arbeit erstaunlicherweise sogar beflügelt. Wir erkannten, dass wir um das Kulturcafé kämpfen müssen“, resümierte Behrent. Dass die Arbeit einschläft, dass Projekte sterben, auch damit habe man zu Beginn der Pandemie gerechnet, „doch heute stehen wir besser da als je zuvor“: Die Windrose-Familienbegleitung läuft, die bei Gängen zum Arzt, zu Behörden und mit dem Formular-Wirrwarr unterstützt, der offene Treff „Café International“ und das Fahrrad-Flickwerk. Weiterhin werden auch aufbereitete Laptops verteilt - ein Projekt, das zu Zeiten des Schulunterrichts per Internet entstand -, gerade konnte das 300. Gerät an eine aus der Ukraine geflüchtete Familie vergeben werden. 40 Kinder werden jeden Nachmittag im Schulprojekt an der Integrierten Gesamtschule Stierstadt (IGS) beim Lernen begleitet und in Deutsch unterstützt, das Team bilden zwei haupt- und sechs ehrenamtliche Kräfte. Die freie Schülerhilfe in den SCO-Räumen besuchen täglich 20 Kinder, viele weitere stehen auf der Warteliste.

Insgesamt 27 Ehrenamtliche begleiten die Mädchen und Jungen eins zu eins. Inzwischen finanziere man auch eine hauptamtliche Kraft mit halber Stelle, die sich um Aus- und Fortbildung der Aktiven kümmere. „Ohne sie hätten wir nicht so viele Ehrenamtliche gewinnen können“, weiß Behrent. „Die Arbeit ist hart - aber auch unglaublich befriedigend: Sie lernen drei Wochen mit einem Kind, dann kommt es mit einer Eins im Test zurück!“ Jetzt sollen die Windrose-Bildungsprojekte - jährliches Budget: 140000 Euro - weiter gestärkt und ausgebaut werden. „Wir haben eine Bildungskrise: Das deutsche Schulsystem wurde dem realen Bildungsbedarf seit Jahren nicht angepasst“, stellte Behrent fest. Und sei ohnehin nicht darauf ausgelegt, jene Kinder zu unterstützen, die geringere Chancen hätten, weil beispielsweise zu Hause kein Deutsch gesprochen werde. Behrent: „Jetzt sollen mehr Lehrer ausgebildet werden. Aber das wird Jahre dauern! Bis dahin braucht es Menschen, die sich um die Kinder kümmern.“ Die Windrose träumt von einem Oberurseler Bildungsnetzwerk, über das die Aktiven Erfahrungen teilen und Fortbildungen wahrnehmen könnten. „Wir brauchen noch jemanden, der sich darum kümmert“, warb Behrent. Außerdem vonnöten: zusätzliche Sponsoren und Mäzene, um die Strukturen zu erhalten. Klar sei: „Im Bereich der Bildungsprojekte besteht das größte finanzielle Risiko, das sind zweieinhalb Stellen. Es geht nur mit Spenden.“ Und so weihte man gleich den neuen Spenden-(Koch-)Topf ein. „Der Boden ist aus Blech - wenn Sie nur einen Euro reinwerfen, hört das jeder!“

Das Kulturcafé brummt: Hunderte Veranstaltungen sei Aprill ’22

Der Laden läuft: Seit April 2022 zählte die Windrose - erst in der Pop-up-Version, dann im neuen Kulturcafé - schon 100 öffentliche Veranstaltungen, also Konzerte, Kleinkunst und Gespräche, außerdem 300 private. „Wir hatten allein im Januar 3500 Nutzer. Das Kulturcafé ist mit seiner Idee erfolgreich“, freut sich Michael Behrent, Stellvertretender Vorsitzender der Windrose. „Unser Motto funktioniert: Wir vereinen hier Vielfalt und machen sie genießbar.“ Die europäisch-arabische-Kaffeeküche solle „Akzente setzen“, so Behrent, daneben sei man Dienstleister für die vielen Kooperationspartner wie Volkshochschule und Kulturkreis, die die Räume nutzten - für Angebote vom Krabbeldeckenkonzert bis zur Seniorengymnastik.

Die Windrose-Veranstaltungen im Kulturcafé, hinter dem der Trägerverein Kommunikationszentrum Altstadt steht - gegründet Ende 2020 von der Stadt, der Windrose, der Pfarrei St. Ursula und dem Kultur- und Sportförderverein Oberursel -, sind kostenfrei. Dennoch sei der Raum wichtig, um Geld für die Projekte des Vereins zu generieren, wie Behrent erklärt: „Wir wollen keine finanziellen Barrieren aufbauen. Man kann auch herkommen und nur einen Chai trinken. Wer ein gutes Leben hatte und etwas zurückgeben möchte, nimmt den teureren Wein.“

Man sei zuversichtlich, dass sich das Café auch wirtschaftlich tragen werde. Es soll, so der 66-Jährige, zu einer zentralen kulturellen Einrichtung der Stadt werden - mitmachen kann jeder: „Das Kulturcafé Windrose ist eine Einladung an alle Oberurseler, sich einzubringen.“ Das Café, Strackgasse 6, hat dienstags, mittwochs und donnerstags von 9 bis 22 Uhr und freitags und samstags von 9 bis 23 Uhr geöffnet. Mehr Infos auf www.kulturcafe-windrose.de. mrm

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