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Oberursel: Opfern Namen und Gesicht geben

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Den Schülern ist es wichtig, die Steine selbst in den Bürgersteig einzulassen: Vor dem Haus Lindenstraße 4 wird Eliott (18) dabei von Ben (19, links) und Max (18) unterstützt.
Den Schülern ist es wichtig, die Steine selbst in den Bürgersteig einzulassen: Vor dem Haus Lindenstraße 4 wird Eliott (18) dabei von Ben (19, links) und Max (18) unterstützt. © mrm

Schüler haben weitere Stolpersteine für drei NS-verfolgte und ermordete Oberurseler verlegt.

Oberursel -„In Deutschland gibt es jede Menge antisemitischer Tendenzen“, sagt Céline. „Das ist erschütternd.“ Die junge Frau gehört jener Arbeitsgemeinschaft der Feldbergschule an, die sich für das Projekt Stolpersteine in Oberursel einsetzt. Jetzt haben die Schüler drei neue Gedenksteine in den Bürgersteig eingelassen - die Messingplatten erzählen vom Grauen, das Oberurseler Juden und andere Opfer des NS-Staats einst erlitten, am letzten selbst gewählten Wohnort und vor allem danach: Die Stolpersteine erinnern vor dem Haus Lindenstraße 4 an Paul Katzenstein, in der Austraße 1 an Theodor Creizenach und in der Erich-Ollenhauer-Straße 44 an Jacob Rexroth.

„Neben dem Erinnern stehen für uns die Gegenwart und die Zukunft im Fokus - mit diesen Veranstaltungen können wir den Hass verringern und für eine tolerante, weltoffene Stadt einstehen“, spricht Céline an der Lindenstraße ins Mikrofon. Zur Verlegung an einem herbstlichen Nachmittag sind rund 70 Menschen gekommen: viele Schüler und Lehrer, Stadtverordnete, Bürgermeisterin Antje Runge (SPD), Vertreter verschiedener Vereine und Historikerin Angelika Rieber, Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Hochtaunus. Eliott (18), Max (18) und Ben (19) haben schon Arbeitshandschuhe angezogen. Den Platz für den kleinen Quader unweit der Tür zum Haus Nummer 4 hat der städtische Eigenbetrieb BSO schon vorbereitet. Eliott nimmt den Gedenkstein für Paul Katzenstein hoch, zeigt ihn vor und setzt ihn vorsichtig in die Öffnung. Ein wenig Material zum Verfüllen fehlt noch, stellt der BSO-Fachmann fest, der die jungen Männer unterstützt. Dann passt alles, der Stein liegt verkehrssicher, schließlich sollen Passanten nur im übertragenen Sinn darüber stolpern. Ben schippt noch ein wenig Kies aus einem schwarzen Eimer in die Zwischenräume und wischt die Gravur frei.

„Wir wollten das unbedingt selbst machen“, erzählt Eliott. „Das ist eine Ehre für uns, eine schöne Sache“, sagt Ben. Der Stolperstein-Arbeitsgemeinschaft an der Feldbergschule gehören die Schüler seit kurzem an, zusammen sind sie um die 25 Leute, die die Mahnmale nach deren Verlegung auch pflegen. „Die Teilnahme ist freiwillig, wir bekommen da auch keine Noten.“ Allen liege das Projekt am Herzen, betont Eliott. „Es waren Nachbarn, die hier rausgerissen wurden, inmitten unserer Stadt - spätestens da konnte niemand mehr sagen, er habe nichts gewusst“, sagt Bürgermeisterin Runge. „Auch heute, nach dem antisemitischen Terrorangriff der Hamas auf Israel, geht es darum, einen jüdischen Staat zu vernichten. Das muss man sich bewusst machen, wenn man hier steht und sagt: Nie wieder.“

Nicht alle Palästinenser seien die Hamas und humanitäre Hilfe im Gazastreifen wichtig. „Aber unsere Verpflichtung ist, an der Seite Israels zu stehen“, unterstreicht Runge. Juden hätten derzeit Angst, mit Kippa auf die Straße zu gehen, auch im Hochtaunus. Mehr denn je gelte es, sich gegen jegliche Diskriminierung einzusetzen. Runge: „Es gab einen Weg vorher, vor den Novemberpogromen 1938. Deshalb müssen wir jetzt achtsam sein, was in der Welt passiert. Und ich hoffe weiter auf den Mut, mit dem wir hier zusammenstehen.“ Die Erinnerungskultur sei wichtig, so Runge. „Wir sind nicht unbeteiligt. Wir sind mitten drin“, sagt auch Historikerin Rieber, die über das Leben und die Familiengeschichten von Paul Katzenstein, Theodor Creizenach und Jacob Rexroth spricht. „Biografien geben den Opfern einen Namen und ein Gesicht“, so Rieber. „Sie zeigen sie als Menschen, nicht nur als Nummern. So tragen sie gegen die Entmenschlichung bei.“

Der in Kassel geborene Kaufmann Paul Katzenstein zog 1930 von Frankfurt nach Oberursel. Schon im März 1933 floh er nach Belgien. „Warum so früh, wissen wir noch nicht“, erklärt Rieber. Nach der Besetzung Westeuropas wurde Katzenstein verhaftet und über das Zwischenlager Mechelen/Maline 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Der Historiker Theodor Creizenach, sogenannter Halbjude, starb 1939 in Untersuchungshaft in Frankfurt, ohne dass die ihm zur Last gelegten Anschuldigungen bekannt waren oder vor Gericht geprüft werden konnten. „Die Verhaftung hatte wohl einen politischen Hintergrund“, weiß Rieber. Schülerinnen verlesen ein Grußwort von Keith Nickols, einem Großneffen von Creizenach, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen konnte. Dabei sind dafür die Patin seines Stolpersteins, Lieselotte Bieback-Diel, und die Frankfurterin Katharina Stadelmann-Nichtern, ein Mitglied der weit verzweigten Familie. Auch Jacob Rexroth starb in Untersuchungshaft. Festgenommen worden war er wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD. Rieber: „Da er Kassierer der Partei war und damit die Namen aller Mitglieder kannte, ist davon auszugehen, dass er gefoltert wurde.“ Zwei Wochen nach seiner Verhaftung am 17. Januar 1937 war Jacob Rexroth tot.

Der Stolperstein erinnert an Paul Katzenstein.
Der Stolperstein erinnert an Paul Katzenstein. © mrm

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