Oberursel: Rote Briefkästen für Klima der Achtsamkeit

Die Pfarrei St. Ursula ist auf neuen Wegen gegen sexualisierte Gewalt und Missbrauch.
Es geht um Macht. Es geht um Einschüchterung. Es geht um die perfide Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Es geht um Angst. Es geht um sexualisierte Gewalt und um Missbrauch. Und um Schweigen und Wegschauen.
Und dagegen will die katholische Pfarrei St. Ursula konsequent vorgehen. Rote Briefkästen bieten ab sofort allen Betroffenen die Möglichkeit namentlich oder anonym ihre Not zu kommunizieren, nach Hilfe zu rufen. Achtsamkeit, Sensibilität, Verantwortung, Vertrauen, Hinschauen nennt Pfarrer Andreas Unfried Stichworte des „Institutionellen Schutzkonzepts“ der Pfarrei, an dessen Erstellung alle beteiligt waren, einschließlich der Kinder und Jugendlichen.
„Es war ein breiter Prozess bei uns mit Umfragen und Schulungen unseres Personals“, berichtet der Pfarrer. Vom Küster über die Reinigungskraft zu den Katecheten bis hin zu den Sternsinger-Begleitern würden alle sensibilisiert. Für alle Haupt- und Ehrenamtlichen der Pfarrei wurde ein Verhaltenskodex entwickelt, den sie zur Kenntnis zu nehmen, zu unterschreiben und anzuwenden haben. Es gehe darum, in der gesamten Pfarrei ein kollektives „Klima der Achtsamkeit“ zu schaffen. Das Konzept „Hilfe holen hilft“ gehe über sexuelle Gewalt und Missbrauch, Minderjährige und Schutzbefohlene hinaus, erläutern die beiden Präventionsbeauftragten der Pfarrei, Dr. Katrin Gallegos Sánchez und Anita Novotny. Wer immer sich in einer Situation unwohl, bedrängt, genötigt fühle sei angesprochen, sich zu melden oder einen der roten Briefkästen zu nutzen.
Neben den alarmroten Briefkästen sind Flyer entstanden, die auf das neue Angebot aufmerksam machen. „Du hast das Recht“, heißt es da, „gerecht behandelt zu werden“. „Niemand hat das Recht, Dir zu drohen oder Dir Angst zu machen. Egal ob mit Worten, Bildern oder Taten. Du hast das Recht, NEIN zu sagen und Dich zu wehren, wenn jemand Deine Gefühle oder die eines anderen verletzt.“
Anita Novotny stellt klar: „Wir haben in der katholischen Kirche viel erleben müssen, aber wir gehen es an. Wir meinen es ernst.“ Obwohl es nach wie vor ein „unangenehmes Thema“ sei, wie Katrin Gallegos Sánchez einräumt, sei es umso wichtiger, die Gefahren zu benennen, zu kommunizieren und aus der Tabuzone zu holen.
Das Schweigen brechen
In einer Pfarrei könne es auch „spirituellen Missbrauch“ geben, erklärt Anita Novotny, und „nicht nur, dass ein Pfarrer seine Finger nicht bei sich behalten kann“. Auch hier würden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt, die es zu erkennen und zu verhindern gelte. „Gott sagt, Du sollst... wenn nicht, dann....“, formuliert sie typische Mechanismen der systematischen „Angstmache“ gerade gegenüber Kindern, Jugendlichen aber auch erwachsenen Schwächeren. „Und Missbrauch hat immer etwas damit zu tun, andere zum Schweigen zu bringen.“ Und dieses Schweigen gelte es zu brechen.
Anfangs habe es auch Widerstände gegen das neue „Institutionelle Schutzkonzept“ der Pfarrei gegeben, berichtet Unfried. Einige hätten es als eine Art „Misstrauensvotum“ ihnen gegenüber gesehen, sie hätten sich unter Generalverdacht gestellt gefühlt. „Es geht uns nicht um Denunzieren und Petzen“, sagt der Pfarrer. Die Briefkästen seien ein „niedrigschwelliges Angebot“. Sie seien deshalb auch so diskret platziert, dass nicht die ganze Nachbarschaft mitbekommen kann, wer dort etwas einwirft. Zweimal wöchentlich werden sie kontrolliert, erklärt Marion Scheiner, Verwaltungsleiterin von St. Ursula, die vor allem den ganzen bürokratischen Aufwand des neuen Konzepts stemmt.
Sobald sich ein Hilferuf, Hinweis oder Verdacht in einem roten Briefkasten findet, kommt das institutionalisierte Beschwerdeverfahren bei der Interventionsstelle des Bistums in Gang.
Alle weiteren Infos einschließlich den Standorten der Briefkästen auf www.kath-oberursel. de/praevention.
Stop heißt Stop: Verbindlicher Verhaltenskodex für alle
Auszüge aus dem von der Pfarrei entwickelten für alle verbindlichen Verhaltenskodex:
„Wir begegnen einander achtsam, respektvoll und wertschätzend. Wir fragen lieber einmal zu viel nach und vermeiden dadurch Grenzverletzungen. Wir nehmen individuelle Grenzempfindungen ernst, respektieren sie und kommentieren sie nicht abfällig. Wir dulden keine Geheimnisse, die das Unterlaufen unseres Schutzkonzepts decken. Wir erwarten von allen, die sich in der Pfarrei engagieren und mitarbeiten, sich bei Körperkontakt keine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Wir respektieren, wenn Kinder und Erwachsene nicht fotografiert oder gefilmt werden wollen. Wir achten darauf, dass keine emotionalen oder körperlichen Abhängigkeiten entstehen. Wir erwarten, dass einzelne Menschen nicht bevorzugt oder benachteiligt werden, dass niemand manipuliert oder unter Druck gesetzt wird. Sexualisierte Sprache, abfällige Bemerkungen oder Bloßstellungen haben bei uns keinen Platz. Die Verantwortung für Nähe und Distanz tragen jene, die Macht ausüben können etwa aufgrund von Alter, Stellung, Intelligenz. Ihnen obliegt der Schutz anderer und die Wahrung der Grenzen bei Körperkontakt. Stop heißt Stop: Egal ob durch das Wort, Gesten oder Reaktionen ausgedrückt. Unerwünschte Berührungen und Annäherungen sind tabu.“ Telefon der Präventionsbeauftragten: Katrin Gallegos Sánchez 0170-6991050, Anita Novotny: 0171-5356644.