Oberursel:Urselbach muss wieder mäandern können

Der Weißkirchener SPD-Ortsverein unternimmt lehrreichen Hochwasser-Rundgang entlang des Urselbachs unter Führung des LOK-Experten und Klimkaschutzbeiratsvorsitzenden Peter Cornel. Dass der Hochwasserschutz drängt, ist parteiübergreifender Konsens, doch betroffene Anwohner verlieren allmählich die Geduld.
Weißkirchen -Sie haben die vollgelaufenen Keller, das zerstörte Inventar, die verwüsteten Gärten, das stinkende, aus Gullys quellende Abwasser noch in bitterer Erinnerung: Die Anwohner der Weißkirchener Straße. Es war der 22. August 2021 als der Starkregen kam und das unvermeidliche Absaufen begann.
Hochwasserschutz ist im Zeichen von Klimaveränderungen und vermehrt zu erwartenden sogenannten Starkregenereignissen angesagt. Und zwar dringender denn je. „Aber bis heute heißt es: Die Stadt prüft“, sagt Peter Cornel, Vorsitzender des Klimabeirats und ehemaliger Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der TU Darmstadt. Bei 35 Interessierten stößt er auf offene Ohren, aber auch Ungeduld, Ärger, Kopfschütteln. Es ist zwar der Weißkirchener SPD-Ortsverein, der zum Hochwasserschutz-Spaziergang entlang des Urselbachs eingeladen hatte, doch neben den Betroffenen gesellen sich ob des fachkundigen Wanderführers auch Vertreter von CDU, OBG, FDP und Grünen hinzu. Denn dass der Hochwasserschutz drängt, ist parteiübergreifender Konsens. Die Lokale Oberurseler Klimainitiative (LOK) habe der Stadt mindestens zehn Maßnahmen bachaufwärts vorgeschlagen, die Überflutungen abschwächen oder verhindern könnten, berichtet Cornel.
Das Problem: Der Urselbach liegt bei Weißkirchen seit mindestens 100 Jahren nicht mehr in seinem natürlichen Bett, sondern wurde zwecks Antriebs der Mühlen umgeleitet. Er fließt im ehemaligen Mühlgraben, gut 300 Meter von seinem Ur-Bett entfernt. Das hat unter anderem zur Folge, dass er nahe der Wohnhäuser entlang der Weißkirchener Straße an einer Stelle eine 90-Grad-Kehre machen muss. Dass enorme Starkregen-Wassermassen diese Kurve nicht kriegen, ist Physik.
Die LOK habe der Stadt etwa das Aufschütten von vier kleineren, halbmondförmigen „Huppeln“ vorgeschlagen, die das Wasser ausbremsen könnten. Das habe inzwischen im sogenannten Klimaanpassungskonzept, zu dem auch der Hochwasserschutz gehört, sogar oberste Priorität. „Aber es dauert und es kostet. Beim BSO ist der gute Wille da, aber kein Geld“, sagt Cornel und verweist auf das Landesprogramm „100 wilde Bäche“, aus dem man Fördermittel schöpfen könnte. Außerdem müsste man auch bei der Stadt Frankfurt zwecks Kostenbeteiligung anklopfen. Denn alle Oberurseler Hochwasserschutzmaßnahmen, sorgten schließlich auch für trockene Niederurseler Füße.
Es sei alles so kompliziert und langwierig, weil auch die Obere Wasserbehörde eingeschaltet werden müsse, für einzelne Maßnahmen Grundstückseigentümer und -pächter konsultiert werden müssten. „Wir können nicht morgen mit der Schippe anfangen“, merkt CDU-Stadtverordneter Jürgen Aumüller an. Es brauche Behördengänge und es gebe immer wieder ein Zuständigkeits-Hin- und-Her. „Aber die Stadt ist auf einem guten Weg“, stellt SPD-Magistratsmitglied Jutta Niesel-Heinrichs fest.
Cornel berichtet vom Hochwasserschutz im Wald, wo die LOK gemeinsam mit BSO bereits für relativ kleines Geld wirksam herumgebaggert habe, um die Schwamm-Wirkung des Waldes zu vergrößern: Gräben, Abflüsse, Mulden wo sich Wasser verteilen und versickern könne, statt sturzflutartig zu Tal zu schießen. Der Experte erklärt der Wandergruppe auch die dem natürlichen Wasserhaushalt abträglichen Bausünden der vergangenen Jahrzehnte. „Wenn ich schon Straßennamen habe wie ,In der Aue’ oder ,In der Riedwiese’, dann ziehe ich Gummistiefel an und baue keine Tiefgarage.“ Er meint die immer näher an Bach, Feucht- und Überschwemmungsgebiet herangerückte Wohn- und Gewerbebebauung, Stichwort „Büropark in der Aue“.
In den vergangenen 100 Jahren habe man Bäche umgeleitet, begradigt, verrohrt, in Betonbetten gezwungen. „Der Urselbach muss wieder mäandern und sich ausbreiten können, er braucht Retentionsflächen. Wir müssen verhindern, dass bei Starkregen das Wasser in einer einzigen Welle kommt“, mahnt Cornel eindringlich und plädiert für Renaturierung wo immer es geht, sowie für private Zisternen. Alles Regenwasser das aufgefangen und gesammelt wird, strömt nicht in Bach und Kanalisation.
Apropos Kanalisation. Eine Teilnehmerin merkt an, dass immer mehr bebaut, die Kanalisation aber nicht angepasst wurde. „Man kann Kanäle nie für Hochwasser auslegen“, erklärt Cornel. Genaugenommen habe Hochwasser im Kanal gar nichts zu suchen.
Und die Anwohner warten und ärgern sich. Helga Maibach berichtet von einem typischen Fall von gut gedacht, schlecht gemacht: BSO habe einen Wall aufgeschüttet. Nur leider auf der falschen Bachseite. „Das ist ein Schildbürgerstreich“, sagt sie kopfschüttelnd und zeigt auf die riesengroße Wiesenfläche nordöstlich des Bachs, die eine ideale Retentionsfläche wäre.“ Die Wohnhäuser entlang der Weißkirchener Straße, darunter ihr eigenes, sind dagegen nach wie vor ungeschützt.