Pfarrer-Mangel im Dekanat Usinger Land

Dekan Michael Tönges-Braungart äußert sich zur Pfarrer-Vakanz im Usinger Land und zu den Chancen, die sich durch die Umstrukturierungen in den nächsten Jahren ergeben können.
Usinger Land. In der evangelischen Kirchengemeinde Grävenwiesbach beginnt eine neue Ära, in der sich der Kirchenvorstand erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten auf Pfarrersuche begeben muss. In der evangelischen Landeskirche gibt es viel mehr offene Stellen als Pfarrer und Pfarrerinnen. Die Zahl der Gemeindemitglieder sinkt entsprechend der demografischen Lage stetig, gerade auch im hiesigen Dekanat. Wie sieht die personelle Zukunft der evangelischen Kirchen im Usinger Land aus? Welche weiteren Veränderungen sind zu erwarten? Im Interview mit dieser Zeitung gab Dekan Michael Tönges-Braungart detailliert Auskunft und warf einen kritischen, aber zugleich hoffnungsvollen Blick auf die heimische Kirche von morgen.
Herr Tönges-Braungart, wie viele evangelische Pfarrer gibt es im Usinger Land?
Zurzeit sind zehn Pfarrer auf neun Stellen, von denen sind zwei mit einer halben Stelle im Dienst. Es gibt im Usinger Land 12,5 Pfarrstellen, von denen zurzeit 3,5 vakant sind.
Wie sind die Pfarrstellen aufgeteilt? Welcher Pfarrer ist für welche Gemeinde zuständig?
Es existieren 13 Kirchengemeinden. Davon sind drei pfarramtlich verbunden: Emmershausen, Gemünden und Rod an der Weil. ( Infobox).
Wie viele offene Stellen gibt es und welcher Art ganz oder halb sind diese? Welche weiteren Vakanzen könnte es in naher Zukunft geben?
Vakant sind: Weilnau (0,5), Merzhausen-Lauken (0,5), Hausen-Westerfeld (1,0) und Grävenwiesbach (1,5). Weitere Vakanzen sind zurzeit noch nicht abzusehen. Ruhestands-Versetzungen von Pfarrern stehen demnächst nicht an. Andererseits kann ein Wechsel auf andere Stellen natürlich erfolgen, ohne dass das lange vorher abzusehen ist.
Wie viele Prädikanten und wie viele Lektoren gibt es, bzw. sind im Dekanat/Usinger Land tätig ?
In den 30 Kirchengemeinden des Dekanats sind 28 Prädikanten ehrenamtlich im Verkündigungsdienst tätig. Sie engagieren sich nicht nur in ihren Heimatgemeinden, sondern grundsätzlich im gesamten Dekanat. 13 von ihnen sind Gemeindeglieder im Usinger Land. Hinzukommen 17 Lektoren, davon sind acht aus dem Usinger Land. In diesem Jahr startet - wiederum in Zusammenarbeit mit dem Dekanat Kronberg - ein neuer Ausbildungskurs für Prädikanten. Natürlich feiern auch Pfarrer im Ruhestand noch Gottesdienste mit Gemeinden.
Welche Pläne gibt es zur Zusammenlegung von Gemeinden? Welche Kooperationen gibt es bereits? Was halten Sie von IKZ in der evangelischen Kirche Usinger Land?
Verschiedene Kirchengemeinden arbeiten bereits zusammen beim Konfirmandenunterricht, beim Gottesdienstplan, in der Sommerkirche, beim gemeindepädagogischen Dienst. Das gilt vor allem für Neu-Anspach/Schmitten, aber auch Usingen/Eschbach und in der Verwaltung von Grävenwiesbach/Weilnau und Merzhausen-Lauken/Rod an der Weil/Gemünden und Hausen-Westerfeld/ Rod am Berg. Darüber hinaus gibt es weitere Formen der Zusammenarbeit. In Zukunft werden alle Gemeinden Nachbarschaftsräumen zugeordnet werden, die dann mittel- und langfristig für Pfarrstellen, Gemeindepädagogik-Stellen, Gemeindebüros und Gebäude relevant sind.
Den Prozess zur Bildung von Nachbarschaftsräumen steuert das Dekanat und bezieht dabei bestehende Nachbarschaftsregionen und Kooperationen ein. Selbstverständlich werden Kirchenvorstände und Pfarrer sowie Gemeindepädagogen und Kirchenmusiker an dem Prozess beteiligt. Es wird keine zwangsweise Zusammenlegung von Gemeinden geben. Es wird aber sehr viel mehr Zusammenarbeit bestehen. Die Gemeinden wissen das und wollen das. Bis zum 31. 12. 2023 soll entschieden werden, welche Nachbarschaftsräume es geben wird. Danach soll die praktische Umsetzung erfolgen. Kirche wird sich verändern, muss sich verändern und hat sich immer wieder verändert. Zur Gestaltung nehmen wir die regionalen Kirchenvorstände mit ins Boot. Das steht außer Frage.
Wie viel Mitglieder gibt es im Usinger Land ?
Das Usinger Land zählt 18 390 Mitglieder. 2021 waren es 18 929 Mitglieder. Pro Jahr gehen die Mitgliederzahlen aufgrund der Demografie sowie von Austritten im Schnitt um zwei Prozent zurück. Die Rahmenbedingungen aufgrund der Mitgliederzahlen sorgen dafür, dass wir von manchem Abschied nehmen müssen. Es kann nicht jede Gemeinde alles machen, sondern wir müssen gemeinsam handeln und Schwerpunkte dort setzen, wo eine Gemeinde besondere Stärken hat. Es geht um gute Nachbarschaft.
Sind in Zukunft weitere Stellenkürzungen im Usinger Land zu befürchten?
Bis 31. 12. 2024 wird eine 0,5- Pfarrstelle in Wehrheim wegfallen; das ist bereits vor Jahren beschlossen worden. Konkrete Voraussagen im Blick auf den neuen Sollstellenplan, der ab 2025 gelten wird, lassen sich noch nicht treffen. Allerdings ist mit einer weiteren Reduktion von Pfarrstellen zu rechnen. Wir werden weiter weniger werden. Der Trend ist nicht einfach umkehrbar. Die Bildung der Nachbarschaftsräume ist kein Ansatz, um die Reduzierung von Pfarrstellen zu vertuschen. Es geht darum, kirchliches Leben neu zu gestalten, unter veränderten Bedingungen Kirche zu sein oder Kirche anders zu sein. Das ist der Zweck von Nachbarschaftsräumen.
Welche Aussichten bestehen, die offenen Pfarrstellen zeitnah wieder zu besetzen?
Es gibt in der gesamten Landeskirche weniger Pfarrer als offene Pfarrstellen. Der gesamtgesellschaftliche Trend hin zur Stadt spiegelt sich wider. Es ist leichter in der Stadt eine Stelle zu besetzen. Aber was bedeutet eigentlich Land? Neu-Anspach oder Wehrheim sind keine Großstädte, aber durch die Nähe zum Rhein-Main-Gebiet ist die Infrastruktur, öffentlicher Nahverkehr oder die Schulversorgung für Familien gut gegeben.
Welche Bedeutung haben in Zukunft die ehrenamtlichen Prädikanten und Lektoren?
Die ehrenamtliche Verkündigung gibt es schon sehr lange. Sie ist nicht aus der Not geboren. Prädikanten und Lektoren gehören vielmehr zur protestantischen DNA. Allerdings gibt es in den letzten fünf bis sechs Jahren ein verstärktes Interesse Lektor und später vielleicht auch Prädikant zu werden. Seit sechs Jahren bieten wir erfolgreich zusammen mit dem Dekanat Kronberg nicht parallel sondern immer aufeinander folgend Lektoren- und Prädikantenkurse an. Die Ehrenamtlichen sind keine Lückenfüller, sondern sie sorgen mit ihrer Lebenserfahrung und vielfältigem beruflichen Hintergrund für Vielfalt.
Welche Rolle spielt bei den Vakanzen bzw. bei der Neubesetzung von Stellen die Zukunft der Pfarrhäuser?
In Zukunft wird es sicher nicht mehr die klassische Situation geben, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin in eine Gemeinde geht und die Familie einfach mitzieht. Die jeweilige berufliche Situation bestimmt bei Ehepartnern den Wohnort. Insofern ist das eine ganz individuelle Entscheidung, insbesondere wenn es um die Kombination von verschiedenen Pfarrstellen geht. Die Neubesetzung kann dauern, aber ich denke, dass wir nicht schlecht im Rennen liegen. Grundsätzlich besteht Residenzpflicht. Wenn ein Pfarrhaus da ist, muss der Pfarrer es beziehen. Im Vordertaunus ist es schon wegen der Mieten kostengünstiger im Pfarrhaus zu wohnen. Allerdings wird sich das Dekanat mittelfristig bis 2030 überlegen: Wie viel Pfarrhäuser brauchen wir? Wo stehen die? Denn es gibt in der Realität völlig unterschiedliche Situationen, wenn ein alleinstehender Pfarrer ein riesiges Pfarrhaus bewohnen oder eine Großfamilie in ein ganz kleines Pfarrhaus einziehen soll. In Zukunft werden wir die Residenzpflicht flexibler handhaben müssen. Insbesondere muss über Gemeindegrenzen hinweg geschaut werden. So wird der neue Pfarrer oder die neue Pfarrerin in Hausen/Westerfeld wahrscheinlich das Pfarrhaus in Rod am Berg beziehen.
Mit welchem Blick betrachten sie die Zukunft der evangelischen Kirche und speziell der Gemeinden im Usinger Land?
Das ist eine ganz spannende Entwicklung. Es kommt eine Menge Arbeit auf uns zu. Aber es ist lohnende Herausforderung, Kirche neu zu denken. Es spannend und verlockend, wird aber auch anstrengend. Das ist kein Spaziergang, aber es kann etwas Gutes daraus entstehen.