Ende des Fahrradbooms: Die Luft ist raus

Volle Lager und weniger Nachfrage - im Fahrrad-Handel ist der Boom vorbei. Die Händler drohen, auf der Ware sitzenzubleiben, und locken mit Rabatten.
Hochtaunus -Wenn Marc Denfeld dieser Tage in den Lagerräumen und -hallen seines Fahrradgeschäfts in Bad Homburg vorbeischaut, sieht er ein Rad nach dem anderen. „Um die 15 000 Fahrräder und E-Bikes“ hat Denfeld aktuell vorrätig, „so viel wie nie zuvor“, sagt der Geschäftsführer von „Fahrrad Denfeld Radsport“.
Wie die meisten anderen Fahrradhändler in Deutschland hat er ein volles Lager - und damit womöglich auch ein Problem: Denn die Kunden kaufen derzeit weniger Räder als erhofft, so dass sich viele Händler sorgen, auf den Produkten sitzen zu bleiben.
Beim Zweirad-Industrie-Verband schlug man anlässlich der Branchenmesse „Eurobike“ vor einigen Wochen jedenfalls Alarm. Der Corona-Boom sei vorbei. In verschiedenen Bereichen gebe es einen Nachfragerückgang; die Lager bei Herstellern und Händlern seien nach Monaten der Lieferengpässe nun aber oftmals noch voll, sagte Reiner Kolberg, Sprecher des Zweirad-Industrie-Verbands, jüngst der Deutschen Presse-Agentur.
Das macht sich auch im Hochtaunuskreis bemerkbar. „Es war klar, dass die Mega-Welle abflacht“, sagt der Oberurseler Fahrradhändler Stephan Beus. Wie im Jahr 2020, als gefühlt jeder ein Rad haben wollte, „so ist es nicht mehr.“ Die Nachfrage sei aber schon noch da. „Wir haben gut zu tun“, berichtet der Inhaber des Geschäfts „City Bike & Fun“.
400 Räder stehen derzeit bei ihm im Lager - so viele wie lange nicht mehr. „Es wurde viel geliefert. Die Hersteller haben Rückstände ausgeglichen“, erklärt Beus. Denn in den beiden Vorjahren sei vieles nicht lieferbar gewesen. „Es gab keine Teile für die Räder.“ Als die Komponenten dann endlich da gewesen seien, hätten „alle gebaut wie wild“ und vor einigen Monaten dann angefangen, wieder viel zu liefern.
Die Händler bekommen jetzt also nicht nur neue Bestellungen, sondern auch solche, die sie teils vor eineinhalb Jahren aufgegeben haben.
Im Winter wurde das Lager vollgestellt
Große Sorgen macht Beus sich zwar nicht, aber: „Es ist nicht so einfach, wenn du im Winter das Lager vollgestellt bekommst. Das ist eine Situation, die man so nicht will. 400 Räder sind für einen Laden unserer Größe viel.“
Ähnliches berichtet Alexander Müller. „Zu viel“, antwortet der Geschäftsführer von „Fahrrad Müller“ auf die Frage, wie viele Räder er derzeit vorrätig habe. „Die Hersteller haben Rückstände aus zwei Jahren in zwei Monaten ausgeliefert.“ Auch er verkauft weniger als in den Pandemiejahren. „Die Nachfrage hat sich einfach normalisiert“, erklärt er.
Viel Angebot und weniger Nachfrage - das führt zwangsläufig zu sinkenden Preisen. Bei Müller sind „bestimmt 30 Prozent der Ware“ derzeit rabattiert. „Mehr als sonst“, wie er sagt. Besonders gefallen sind die Preise für E-Bikes, etwa jene der Marke Bosch. Dort gab es eine Systemumstellung, die Modelle des alten Systems gibt es jetzt günstiger.
„Seit dem Winter geht es runter“, sagt Denfeld über die Preisentwicklung. Er führt das auch auf die Zurückhaltung bei den Käufern zurück. Inflation, Heizkosten und dann sei das Frühjahr verregnet gewesen. „Da war die Nachfrage dann auch nicht da“, sagt er. Dabei seien die Monate von März bis Mai sonst die verkaufsstärksten. Mit dem besseren Wetter danach habe sich das aber gelegt. „Es gibt einen Nachholeffekt. Die Verkäufe sind besser als in denselben Monaten in den Vorjahren“, sagt er.
Das liegt wohl auch daran, dass die Kunden sich von Rabatten anlocken lassen. Bei Denfeld in Bad Homburg ist mehr als die Hälfte des Sortiments reduziert. Bis zu 25 Prozent Abschlag bietet der Laden an. „Je nachdem, wie die Nachfrage angeregt werden soll und wie viele Räder auf Lager sind. Wir orientieren uns an den Marktpreisen“, sagt Denfeld. Er sieht die Situation auch positiv. „Wir können unseren Kunden etwas verkaufen und gute Angebote liefern. Die Auswahl ist so groß wie nie“, sagt er.
Droht ein ruinöser Preiskampf?
Was den Kunden freut, könnte für manchen Händler ruinös werden. Experten befürchten einen Preiskampf, den gerade kleine Läden nicht überstehen könnten. „Die Situation ist schon sehr kompetitiv“, sagt Denfeld. „Das kann zu einer Konzentration führen.“ Denn während es für den Verbraucher runtergehe, zahlen die Händler mehr. Nicht nur für Miete, Personal und Energie, sondern auch für die Räder. „Die Ware wurde oft schon vor zwei Jahren bestellt, als die Containerkosten sehr hoch waren. Und natürlich haben die Hersteller auch die Preise hochgeschraubt, als diese im vergangenen Jahr so stark gestiegen waren“, sagt Denfeld.
Hoffnungen setzt die Branche in den Verkauf und das Leasing von E-Bikes. Im Usinger Geschäft „Fahrrad Becker Eschbach“ machen Fahrräder mit Motorantrieb mittlerweile 90 Prozent des Umsatzes aus. „Bei den E-Bikes ist die Nachfrage weiterhin hoch“ sagt Inhaber Rolf Becker. Oft sei es für die Kunden auch nicht das erste E-Bike. „Die Leute suchen etwas Besseres und rüsten dann auf. Kunden, die sich während der Pandemie ein Rad ohne Federung gekauft haben, kommen jetzt wieder und kaufen eins mit Federung“, berichtet der Händler.
Viele E-Bikes werden heutzutage gar nicht verkauft, sondern geleast, das heißt für einen bestimmten Zeitraum gemietet. Besonders Firmen greifen darauf zurück, um ihre Mitarbeiter mit Diensträdern auszustatten. Günstiger komme man nicht an E-Bikes, sagt Fahrradhändler Denfeld. „Hier in der Region gibt es viele Arbeitgeber, die eher lange gebraucht und vor zwei bis drei Jahren damit begonnen haben.“
Im Fahrradladen „Kant Bike“ in Schmitten wird ein Großteil der Räder geleast. „Das ist ein gutes Programm“, sagt Geschäftsführer Raphael Kantorzik. „Die Mitarbeiter zahlen das selbst und müssen nicht auf einmal mehrere Tausend Euro hinlegen“, erklärt er. „Die monatlichen Raten sind abhängig vom Gehalt.“
Beim Schmittener Händler läuft es vergleichsweise gut. „Die Nachfrage ist relativ hoch. Weniger als im Jahr 2021, aber wir sind eigentlich auf unserem normalen Niveau vom Umsatz her.“ Das gilt auch für das Lager. 80 Räder stehen dort - so viele wie sonst auch. „Wir sind aber generell zurückhaltend bei den Bestellungen“, sagt Kantorzik. Er könne sich schon vorstellen, dass andere nun schauen müssen, wenn in den kälteren Monaten alles auf einmal geliefert worden sei.
Für den Oberurseler Händler Beus steht jedenfalls fest: „Im nächsten Jahr werden wir weniger ordern. Da geht man jetzt vorsichtiger heran.“ Aber das würden wohl alle machen. Die Hersteller wüssten das auch. Beus sagt: „Irgendwann ist auch eine Sättigung da.“