Selten stecken Todesfälle dahinter
Suche nach Vermissten erfordert Spürsinn und Feingefühl
Hochtaunus -Mitunter steht am Ende ein tragisches Schicksal. Als Anfang Oktober 2022 eine junge Frau aus Glashütten vermisst wird, schaltet die Polizei die Öffentlichkeit ein und bittet um Hinweise auf den Verbleib der 22-Jährigen. Am 17. Oktober, einem Sonntag, kann die Polizei ihre Suche einstellen und ihre breit angelegte Fahndung zurücknehmen. Traurige Gewissheit kehrt ein: Die Polizei-Pressestelle berichtet, die Frau sei leblos in einem Waldstück bei Glashütten aufgefunden worden: „Es liegen derzeit keine Hinweise auf ein Fremdverschulden vor.“
Der Fall geht ein in eine polizeiliche Vermissten-Statistik, die für 2022 im Hochtaunuskreis belegt: Todesfälle kommen vor, sind aber selten. Im vergangenen Jahr sah die Polizei 23 Mal keine andere Möglichkeit, als die Bevölkerung über Presse, Funk und Fernsehen sowie die sozialen Medien um Unterstützung zu bitten. Polizeisprecher Florian Hähnlein teilt auf „TZ“-Anfrage mit, in 18 dieser Fälle seien die vermissten Personen „wohlbehalten aufgefunden“ worden oder gar „eigenständig zurückgekehrt“. Drei Todesfälle sind darunter (keine Fremdeinwirkung). Bei einem Jungen aus Schmitten gehen die Ordnungshüter davon aus, dass er unversehrt durch die Gegend streune. Ein Fall aus Oberursel ist offiziell noch nicht abgeschlossen.
Intime Verhältnisse kommen ans Licht
Bei der Polizei im Hochtaunuskreis, der 13 Städte und Gemeinden umfasst, wurden 2022 Dutzende Menschen als vermisst gemeldet. Oft sind es demente, orientierungslose, labile oder geistig eingeschränkte Personen, die weglaufen oder -fahren. Manchmal steckt familiärer Ärger hinter einem Abtauchen.
Viele Fälle klären sich durch polizeiliche Fleißarbeit oder dank glücklicher Wendungen auf, ohne dass sie an die große Glocke gehängt werden. Doch teilweise bleibt der Kripo keine andere Wahl, als sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Dies sei ein „ziemlicher Einschnitt in die Privatsphäre“, sagt Florian Hähnlein. Plötzlich werden intime Verhältnisse publik, die für immer in der Welt sind. Was einmal im Internet auftaucht, lässt sich kaum mehr tilgen. Darüber müssen die Beamten die Angehörigen aufklären, gegebenenfalls auch die Betreuer von Erwachsenen, die ihre Angelegenheiten aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr hinreichend regeln können. Der Weg über die Medien bedeutet: Die Polizei veröffentlicht den Namen der gesuchten Person, eine präzise Beschreibung und Hinweise darauf, wo der oder die Vermisste zuletzt gesehen wurde. Meist stellt die Polizei-Pressestelle ein Foto zur Verfügung.
So verfährt sie auch am 28. Dezember 2022, weil ein 62-Jähriger aus Oberursel-Oberstedten verschwunden ist. Nach Angaben der Polizei gibt es „eindeutige Hinweise“ auf den Verbleib dieses Mannes, zumal sie seinen Pkw in Frankfurt entdeckte. Noch kann sie die Akte aber nicht zuklappen. Die Ermittlungen laufen noch.
Tagelang im Wald gelegen und gerettet
Manche Personensuchen erregen Aufsehen, etwa jene Ende März 2022 rund um den Feldberg. Es ist der späte Sonntagabend, als ein besorgter Mann aus Österreich der Polizei kundtut, dass er seinen Bekannten (84) aus Oberursel seit Tagen nicht erreichen könne. Die polizeilichen Recherchen führen zum Parkplatz Sandplacken Ost, wo das Auto des Mittachtzigers steht. Irrt er hilflos durch den Wald? Ist dem Senior etwas zugestoßen? Die Polizei rückt nachts aus und stöbert den geschwächten sowie unterkühlten Mann vom Hubschrauber aus auf - dank einer Wärmebildkamera. Die Polizei meldet später: „Nach eigenen Angaben war der Senior bereits drei Tage zuvor auf einem Waldspaziergang gestürzt. Die Sorge des österreichischen Bekannten um sein Wohlergehen, die in den großangelegten Rettungseinsatz mündete, hatte ihm vermutlich das Leben gerettet.“
Oft lassen sich Vermisstenfälle aber auch ohne gewaltigen Aufwand klären. Polizeioberkommissar Hähnlein schildert: „Wir haben Fachleute, die wissen, wo sie ansetzen müssen.“ Diese Kollegen seien erfahren und verfügen über „Spürsinn“. Gibt es eine Stammkneipe, die jemand gerne ansteuert? Dann lohnt dort eine Nachfrage, die wertvolle Hinweise bringen kann. Bei älteren Leuten kommt es zum Beispiel vor, dass sie regelmäßig auf den Friedhof gehen, um Gräber von Angehörigen, Freunden oder Bekannten zu besuchen. Auch dort können sich Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen ergeben.
Wenn sich alle noch so umsichtigen Befragungen als Sackgasse erweisen und sich wochenlang keine heiße Spur ergibt, selbst wenn die Polizei einen öffentlichen Fahndungsaufruf startet, schwindet die Zuversicht, eine vermisste Person zu finden. Doch Hoffnung besteht selbst dann, wie sich bei einem Mittfünfziger im Spätsommer 2022 zeigt: Nach vier Wochen taucht der vermisste Bad Homburger doch wieder auf.
Im Internet listet die Polizei unter www.polizei.hessen.de unter anderem Vermisste auf (Stichwort „Fahndungen“ anklicken). Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen. Hähnlein: „Die Vergangenheit zeigt, dass Hinweise aus der Bevölkerung zum Erfolg führen können.“
Für den Pressesprecher des Polizeipräsidiums Westhessen sind öffentliche Vermisstenfahndungen daher „ein probates Hilfsmittel“. Weil für Angehörige von Vermissten „große Belastungen“ bestünden, biete die Polizei im Übrigen an, Seelsorger oder psychologische Begleitung zu vermitteln, gerade wenn liebgewonnene Menschen tot aufgefunden werden, etwa nach einem Suizid.
Hilfe ist möglich!
Sollten Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, oder jemanden mit Suizid-Absicht kennen, kontaktieren Sie umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Nummer 08 00-1 11 01 11 (oder 08 00-1 11 02 22) erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen.