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Heilstätte „Mammolshöhe“: Das skrupellose Regiment des Dr. Catel

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Von: Stefan Jung

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Das Sonnenbad der kleinen Patienten auf der Terrasse lässt die Mammolshöhe als perfekte Oase der Erholung erscheinen. Zumindest gegen Ende der 1940er Jahre muss die Realität unter der Führung von Dr. Werner Catel für einige Kinder eine andere gewesen sein.
Das Sonnenbad der kleinen Patienten auf der Terrasse lässt die Mammolshöhe als perfekte Oase der Erholung erscheinen. Zumindest gegen Ende der 1940er Jahre muss die Realität unter der Führung von Dr. Werner Catel für einige Kinder eine andere gewesen sein. © Archiv LWV

Vor den Toren von Frankfurt, in der „Mammolshöhe“ in Königstein wurden seit Ende der 1940er Jahre Medikamententests an Kindern vorgenommen. Verantwortlich dafür war Dr. Werner Catel.

Mammolshain - „Mammolshain mit seinem milden Reizklima, seiner gesunden Luft und seinem Waldreichtum ist wie geschaffen für Kranke, die an Tuberkulose, zumal an Lungentuberkulose, leiden.“

Der Mann, der das schrieb, wusste durchaus, wovon er sprach. Karl-Wilhelm Bruno war von 1965 bis 1979 Pfarrer in Mammolshain. Sein 1975 veröffentlichtes Buch „Mammolshain - Königsteins Fenster nach Süden“, dem auch das Zitat entnommen ist, gilt nach wie vor als die Ortschronik schlechthin.

Wer etwas über die Geschichte des heutigen Königsteiner Stadtteils erfahren möchte, schlägt hier nach. Zum Beispiel auch, wenn es um die „Mammolshöhe“ geht.

Heute „nur“ noch als Bezeichnung für das Wohngebiet oberhalb des alten Ortskerns hinterlegt, stand der Begriff über Jahrzehnte für eine Heilstätte, in der an Tuberkulose erkrankte Kinder und Jugendliche behandelt wurden. Die im „wunderschönen Park“ der ehemaligen Villa May gelegene Einrichtung schien für Pfarrer Bruno offensichtlich der perfekte Ort.

Königstein: Medikamentenversuche an Kindern und Jugendlichen

Was weder dem katholischen Seelsorger noch den Bewohnern des Dorfes bekannt gewesen sein sollte, ist ein dunkles Kapitel in der langen Geschichte der Mammolshöhe, das jetzt aufgearbeitet werden soll.

Der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen, als Nachfolge-Organisation des ehemaligen Klinik-Trägers, hat den Gießener Medizinhistoriker Volker Roelcke damit beauftragt.

Konkret geht es um Medikamentenversuche an Kindern und Jugendlichen. Laut LWV geht man davon aus, dass Ende der 1940er Jahre an 61 Betroffene zwischen 9 und 22 Jahren Tuberkulose-Medikamente verabreicht wurden, die für Kinder nicht zugelassen waren. Mindestens vier junge Patienten sollen die Tests nicht überlebt haben.

Wäre die Tatsache, dass solche Versuche vorgenommen wurden, per se schon Grund genug, hier Aufklärung zu betreiben, erhöht sich der Druck im konkreten Fall der Mammolshöhe noch. Der Chefarzt und Anstaltsleiter nämlich, der die Versuche anstieß, war Werner Catel, ein Mediziner von - aus heutiger Sicht - mehr als fragwürdiger Reputation.

Königstein: Catel an Tötung von „unwertem Leben“ beteiligt

Catel war laut LWV während der NS-Zeit als Direktor der Universitäts-Kinderklinik Leipzig am „Mordprogramm“ für „unwertes Leben“ beteiligt.

Dr. Hubert Kolling wird in seinem Beitrag über Catel im siebten Band des „Biographischen Lexikons zur Pflegegeschichte“ noch um einiges deutlicher. Spätestens ab 1941, so Kolling, habe Catel in seiner Klinik eine sogenannte „Kinderfachabteilung“ unterhalten, „in der sowohl durch ihn selbst als auch durch sein medizinisches und pflegerisches Personal behinderte Kinder getötet wurden“.

Umso unverständlicher erscheint dem Betrachter aus heutiger Perspektive, dass Catel nach dem Krieg in leitender Funktion weiter als Arzt tätig sein konnte - unter anderem in Mammolshain.

Im April 1947 war er zum Direktor der Landeskinderheilstätte Mammolshöhe ernannt worden. Zwei Monate später wurde er im Rahmen der Entnazifizierung vor der Spruchkammer Wiesbaden „als ,entlastet' eingestuft“.

Königstein: Catel verliert kein Wort über die Opfer

Bis 1954 blieb der Mediziner im Taunus. Und just in diese Zeit fallen die Medikamenten-Versuche. Catel selbst schreibt in seinem 1974 erschienen Buch „Leben im Widerstreit, Bekenntnisse eines Arztes“ voll Pathos: „Während meiner ärztlichen Tätigkeit in der Heilstätte wurde im Schmerzensbuch der Tuberkulose zum ersten Mal ein helles Blatt aufgeschlagen.“

Er berichtet vom erfolgreichen Einsatz von „Thiosemikarbazon“ und „Streptomyzin“. Von Tests an Kindern, von möglichen Opfern ist nicht die Rede. Stattdessen ergeht sich Catel in der Schilderung der dörflichen Idylle und seiner Gartenarbeit.

Dass die Todesfälle nicht verborgen blieben, sondern sogar an höherer Stelle bekannt waren, legen Forschungen nahe, die die Historiker Hans-Christian Petersen und Sönke Zanke bereits 2018 in einem Beitrag für das „Medizinhistorische Journal“ skizziert hatten.

Demnach seien sowohl das hessische Innenministerium als auch die Frankfurter Ärztekammer darüber informiert gewesen, dass bei den Medikamententests auf der Mammolshöhe mehrere Kinder gestorben waren. Der Ehemann einer in der Heilanstalt tätigen Oberärztin hätte entsprechende Informationen weitergegeben. Die Behörden seien aber nicht eingeschritten

Wie das geschehen konnte? Die anstehende Aufarbeitung von Catels Medikamententests auf der Mammolshöhe könnte auch dazu weitere Hinweise liefern.

Versuche in Königstein: Catel wusste über Auswirkungen Bescheid

Es gebe derzeit, so Elke Bockhorst, Pressesprecherin des LWV, zwar keine Anhaltspunkte, dass Catel den Kindern auf der Mammolshöhe die Medikamente mit einer konkreten Tötungsabsicht verabreicht habe. Gegenüber dem Hessischen Rundfunk jedoch äußerte Medizin-Historiker Volker Roelcke bereits, dass Catel „gewusst“ habe, dass das Medikament bei Kindern zu heftigen Nebenwirkungen oder sogar zum Tod führen konnte. Roelcke: „Trotzdem hat er das Präparat weiter bei Kindern erprobt“ - und zwar ohne Zustimmung der Kinder und ihrer Eltern.

Genau hier setzt denn auch die Aufarbeitung an. „Im Mittelpunkt stehen Fragen nach der Kontinuität nationalsozialistischer Karrieren und von eugenischen, rassistischen und menschenverachtenden Behandlungsmethoden“, skizzierte eine LWV-Sprecherin den Forschungsauftrag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Dafür stellt der Landeswohlfahrtsverband 111.000 Euro zur Verfügung, 50.000 Euro steuert das Land bei. Volker Roelcke will Verwaltungs- und Patientenakten auswerten und Mitte 2021 Ergebnisse vorlegen. Stefan Jung.

Versuche in Königstein: Catel nahm „zentrale Rolle“ ein

Dr. Hubert Kolling hat im „Biographischen Lexikon zur Pflegegeschichte“ über 500 Beiträge zum Leben und Wirken von zentralen Figuren der Medizingeschichte verfasst. Dass er auch Dr. Werner Catel ausführlich skizziert, wirft einmal mehr kein gutes Licht auf die juristische Aufarbeitung der Nazi-Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Für Kolling ist klar, dass der „Pädiater Werner Catel“ unter den an der Euthanasie beteiligten Medizinern eine „zentrale Rolle“ einnahm.

Der gebürtige Mannheimer sei einer von drei Obergutachtern bei der ,Kinder-Euthanasie' gewesen. Als Leiter der „Kinderfachabteilung“ in Leipzig, ergänzt der Autor, habe Catel sogar in den Jahren 1943 und 1944 vorgeschlagen, „dem dortigen Personal Sonderzuwendungen für ihre mörderische Arbeit zu gewähren“. Unter deren Opfern waren Kinder, bei denen Idiotie, Mongoloismus, Microcephalie, Hydrocephalus oder Missbildungen anderer Art diagnostiziert wurden.

Zwar kann Kolling die Zahl der unter Catels direktem Zutun getöteten Kinder nicht beziffern. Er schätzt jedoch die Zahl der Mädchen und Jungen die damals reichsweit in den rund 30 Kinderfachabteilungen „umgebracht“ worden sind, auf wesentlich mehr als 5000. Das Kriterium zur Ermordung sei dabei „die soziale, das heißt produktive Brauchbarkeit“ gewesen. „Das Kind kann behandelt werden“ sei die Standardformulierung für den Mordauftrag gewesen. Die Eltern betreffender Mädchen und Jungen seien über die wahren Vorgänge im Unklaren gelassen worden. Man habe ihnen nur mitgeteilt, dass „in der Kinderfachabteilung die beste Pflege“ gewährleistet sei.

Versuche in Königstein: Catel fühlte sich im Recht

Catel versuchte auch nach dem Krieg nie, seine Einbindung in die Euthanasie-Programme der Nazis zu leugnen oder zu verheimlichen. Viel mehr bemühte er sich, sein Handeln noch lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen. Er selbst charakterisierte sich in einem Buch 1966 selbst als „überzeugter Antifaschist und Vertreter der Humanität im Dritten Reich“. 

Nach seiner Zeit auf der Mammolshöhe Mitte der 1950er Jahre zum Leiter der Universitätskinderklinik in Kiel berufen, schien der Mediziner seinen Karriereweg zunächst auch noch ungerührt und unangetastet weitergehen zu können.

1960 jedoch wurde der öffentliche Druck auf ihn und die Hochschule dann doch so stark, dass Catel den Hut nahm - offensichtlich im Gefühl, ein Missverstandener, ein Opfer zu sein.

Diesen Eindruck erweckt unter anderem ein Interview, das Catel 1964 dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gab. Darin äußert er mit dem Brustton der Überzeugung die Meinung, dass man Ärzten per Gesetz gestatten solle, „vollidiotische Kinder“ zu töten. Der Mediziner macht sich für eine „begrenzte Euthanasie“ stark, spricht von „vegetierenden Monstren“, sieht in der Tötung sogar einen Akt der Menschlichkeit und versteigt sich zu der Feststellung: „Man wird erkennen müssen, dass es menschlicher ist, die idiotischen Kinder von ihrem Unglück zu erlösen, als sie zur Qual für ihre Angehörigen vegetieren zu lassen.“ 

Stefan Jung

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